EZB erhöht Leitzins drastisch: Das Comeback des Zinses
EZB erhöht Leitzins drastisch :Das Comeback des Zinses
von Dennis Berger
08.09.2022 | 20:38
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Die EZB stemmt sich mit dem größten Zinsschritt seit Start des Euro-Bargelds 2002 gegen die Rekordinflation. Der Kampf gegen die Teuerung wird laut Experten auch Opfer fordern.
Nachdem der EZB-Rat im Juli erstmals seit elf Jahren die Leitzinsen erhöht hatte, lässt er sie nun sprunghaft steigen. Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde erhöhen den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent und reagieren damit auf die Rekordinflation im Euroraum.
Experten kritisieren späte Reaktion der EZB
Experten kritisierten die EZB in den vergangenen Monaten immer wieder: Zu zaghaft, ja fast schon blind gegenüber der Realität sei sie gewesen. Zentralbanken weltweit hatten in den vergangenen Wochen bereits mit starken Leitzinserhöhungen reagiert. In den USA liegen die Leitzinssätze bereits bei mehr als zwei Prozent. Die kanadische Zentralbank hatte den Leitzins auf 3,25 Prozent angehoben. Auch Großbritannien erhöhte den Leitzins stark.
Ökonomen wie Ulrich Kater sahen die EZB daher längst unter Zugzwang. Der Zinsschritt sei ein Spätstart gewesen, sagt der Chefvolkswirt der Dekabank.
Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde.
Ulrich Kater, Dekabank
Während die Preise schon im letzten Jahr anstiegen, sprach EZB-Chefin Lagarde noch lange von einer "vorübergehenden" Inflation. Und das, obwohl Stimmen aus dem EZB-Rat ihr bereits deutlich widersprachen.
Bringt EZB-Zinspolitik Wende bei Inflation?
Ist das jetzt der Befreiungsschlag in der Inflationsbekämpfung? Offenbar ist der Leitzins noch nicht hoch genug. Denn die EZB kündigt weitere Zinserhöhungen in den kommenden Monaten an.
Inflation und explodierende Preise machen vielen das Leben schwer. Am Ende des Monats bleibt oft nichts mehr übrig. In der Mittelschicht wachsen Abstiegs- und Armutsängste. 27.08.2022 | 5:38 min
Silke Tober, Leiterin des Referats Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sieht jedoch die Erfolgsaussichten für niedrige Preise skeptisch.
Die EZB zielt mit den angekündigten weiteren Zinsschritten auf eine Eindämmung der Inflation, erklärt aber zugleich, sie habe keinen Einfluss auf die Energiepreise, die der wesentliche Treiber der Inflation sind.
Silke Tober, IMK
Die hohe Inflation sei ein Resultat des Preisschocks bei den Energieträgern und den dadurch höheren Produktions- und Transportkosten. Der Handlungsbedarf liege bei den Regierungen. Vor allem die Bürger müssten weiter entlastet werden, sagt die Inflationsexpertin.
Höhere Zinsen können Wachstum bremsen
Höhere Zinsen gelten zwar als Mittel gegen die Teuerung - sie wirken aber auch bremsend auf das Wirtschaftswachstum. Doch auch wenn die Konjunktur weiter leiden könnte, ist für Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, der EZB-Kurs richtig.
Dieser Kurs wird allerdings noch einige Opfer und notwendige, nachfrageseitige Anpassungen bei Haushalten, Unternehmen und dem Staat erfordern.
Fritzi Köhler-Geib, KfW
Die Währungshüter geben auch ein deutliches Signal an die Sparer: Die Nullzinspolitik ist zu Ende. Viele Banken nahmen schon die vorherigen Leitzinserhöhungen zum Anlass, sogenannte Verwahrentgelte für ihre Kunden abzuschaffen.
Wenn jetzt auch noch die Sparzinsen steigen würden, könnten sich Sparer eigentlich freuen. Die Frage ist nur: Wer hat in diesen Zeiten eigentlich noch Geld auf der hohen Kante?
Quelle: Imago
Das wichtigste Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) ist die Stabilität der Gemeinschaftswährung. Als Zielvorgabe gilt eine Inflationsrate von zwei Prozent. Die wichtigsten Stellschrauben in der Geldpolitik sind die drei Leitzinssätze der EZB, die wegen der anhaltend hohen Inflation zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate erhöht wurden.
Die Zinssätze der EZB sind das wichtigste Instrument der Zentralbank, um die Geldmenge im Eurosystem zu steuern. Dies geschieht, indem die Zentralbanker über die verschiedenen Leitzinsen die Kosten festlegen, die für Geschäftsbanken im Euroraum anfallen, wenn diese sich Geld bei der EZB leihen oder es dort hinterlegen wollen.
Bei niedrigen Leitzinsen können Banken billig Geld leihen - auch die Kredite für Privatpersonen und Unternehmen werden dann günstiger, die im Umlauf befindliche Geldmenge erhöht sich. Umgekehrt sorgen höhere Leitzinsen für höhere Kreditkosten und somit mittelbar für eine Abnahme der Geldmenge.
Beim Hauptrefinanzierungssatz der EZB handelt es sich um den wichtigsten Leitzins. Dieser legt fest, zu welchem Zinssatz sich Banken Geld von der Zentralbank leihen können. Die Mindestlaufzeit beträgt hier eine Woche. Dabei gilt: Steigt der Zins, so steigen auch die Kosten für die Banken und somit für die Verbraucher in Form höherer Zinsen auf Privatkredite.
Umgekehrt sorgt ein niedriger Hauptrefinanzierungssatz für billiges Geld und somit für günstige Kredite. Der Hauptrefinanzierungssatz lag von März 2016 bis diesen Juli bei null Prozent, stieg dann auf 0,5 Prozent und nun auf 1,25 Prozent.
Der Spitzenrefinanzierungssatz legt fest, zu welchen Kosten Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der EZB leihen können. Zwar können sich Banken auch untereinander kurzfristig Geld leihen - diese Kredite müssen aber zwangsläufig niedriger verzinst sein als der Spitzenrefinanzierungssatz der EZB, da sich das Leihgeschäft der Banken untereinander im Vergleich zur Kreditaufnahme bei der EZB ansonsten nicht lohnen würde.
De facto stellt der Spitzenrefinanzierungssatz also eine obere Zinsgrenze für das Tagesgeld dar. Er wurde im Juli von 0,25 auf 0,75 Prozent angehoben, und nun auf 1,5 Prozent.
Der Einlagensatz legt fest, zu welchem Zinssatz Banken überschüssiges Geld bei der EZB einlagern können. Ähnlich wie beim Spitzenrefinanzierungssatz können Banken auch untereinander kurzfristig Geld anlegen. Da aber kein Geldhaus einen niedrigeren Zinssatz als den Einlagenzins der EZB akzeptieren wird, handelt es sich bei diesem Leitzins de facto um eine untere Zinsgrenze für das Tagesgeld.
Im Juni 2014 senkte die EZB den Einlagensatz erstmals in den negativen Bereich, auf minus 0,1 Prozent. Banken mussten danach Geld bezahlen, wenn sie Liquidität bei der EZB anlegen wollten. Im September 2019 wurde der Einlagensatz auf minus 0,5 Prozent abgesenkt. Ab Juli lag er bei null Prozent, ab Donnerstag nun bei plus 0,75 Prozent. Quelle: AFP