Erst tat die EZB lange nichts gegen die Inflation. Jetzt will sie offenbar den Stier bei den Hörnern packen und erhöht die Zinsen gleich um 0,5 Prozentpunkte.
Die EZB reagiert auf die Rekordinflation, kündigt eine Serie von Zinserhöhungen an. Deutlicher als erwartet fällt die Anhebung mit 0,5 Prozentpunkten aus. Kritiker werfen ihr vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Doch Sparer könnten profitieren.
Lettland 19,2. Litauen 20,5. Estland 22. Das sind nicht die aktuellen Wassertemperaturen der baltischen See, sondern die gegenwärtigen Inflationsdaten in diesen Ländern. Die Teuerung liegt damit massiv über der restlichen Eurozone, welche im Schnitt bei 8,6 Prozent liegt.
Preisanstiege im Blick
Das Baltikum hat relativ früh darauf gesetzt, keine Energie mehr aus Russland zu erhalten. Die Quittung: extrem hohe Energiepreise. Die Kerninflation, also ohne Lebensmittel oder Energie, ist dort ähnlich wie in den restlichen Ländern der EU. Die Höhe des Preisanstiegs in den unterschiedlichen Staaten der EU ist aber ein Punkt, den man im EZB-Tower berücksichtigen musste.
Die EZB erhöht den Leitzins, um der Rekordinflation in Europa entgegenzuwirken, aber wie steht es um hochverschuldete Länder wie Italien? ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann weiß mehr.
Die Zentralbank ist Diener vieler Länder. Und wenn sich bei uns schon so etwas wie eine Psychose vor hoher Inflation entwickelt, dann sollte man erst recht mal in Tallinn, Vilnius oder Riga nachfragen.
Inflation wird drei bis vier Jahre bleiben
Denn bei der heutigen Entscheidung der Europäischen Zentralbank ging es sozusagen auch darum, die Seele und das Denken von uns Verbrauchern zu beeinflussen:
Die Frage dabei laute: "Glauben wir daran, dass es der EZB mittelfristig gelingt, die Teuerung zu drücken oder nicht“, ergänzt Brzeski.
Deshalb heute auch der energische Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten. Auch Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Dekabank, sieht das so: "Inflation bekommt man nur langsam aus den Köpfen der Menschen heraus. Erst wenn die Leute nicht mehr an sie denken, ist sie kein Thema mehr. Das wird drei bis vier Jahre dauern."
Erhöhung soll Lohn-Preis-Spirale brechen
Die Erhöhung heute soll vor allem den Glauben an die Zentralbank fördern und vor allem den gefürchteten Kreislauf unterbrechen, der sich Lohn-Preis-Spirale nennt. Vereinfacht läuft diese so ab: Wenn die Inflation anzieht und die Gewerkschaften sich mit hohen Lohnforderungen durchsetzen, müssen die Unternehmen wieder ihre Preise erhöhen – und so weiter. Löhne und Preise schaukeln sich sozusagen gegenseitig hoch.
Die EZB erhöht den Leitzins von Null auf 0,5 Prozent. Während Sparer davon profitieren, wird es für diejenigen, die sich ein Haus oder eine eigene Wohnung kaufen wollen, teurer.
Am Ende steht meist ein Wirtschaftseinbruch. Höhere Zinsen sollen dem entgegenwirken. Ob dieser Kreislauf durchbrochen wird, ist noch längst nicht absehbar.
Zinserhöhung kommt im Alltag an
Dafür sind allerdings schon andere Auswirkungen der Zinserhöhung zu sehen. Die Zeiten, als Sparer ihrer Bank noch etwas bezahlen mussten, damit sie deren Geld aufbewahren, scheinen vorbei zu sein. Negativzinsen auf Spar- und Tagesgeldkonten werden abgeschafft. Einige Banken haben auch schon Zinsen für Spareinlagen erhöht.
Auf der Gegenseite werden diese positiven Effekte für viele wieder aufgefressen, wenn sie einen Kredit aufnehmen. Denn höhere Leitzinsen haben leider den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie die Zinsen für Darlehen erhöhen. Noch aber sind die Auswirkungen der Zinswende überschaubar und es wird klar: mit diesem einen Zinsschritt wird es lange nicht getan sein.
Eine so hohe Inflation wie zuletzt, schreit geradezu nach noch höheren Zinsen. Da ist die EZB spät dran. Die Amerikaner, die Briten - alle haben bereits ihre Zinsen viel massiver erhöht. Die Europäische Zentralbank wird weiter nachziehen müssen. Am besten schon bald, so lange die Wirtschaftsdaten noch einigermaßen in Ordnung sind.
Chefvolkswirt Kater erwartet sogar bis zum Frühjahr ein Zinsniveau von "1,5 Prozent". Allerdings glaubt er auch, dass die EZB "bis zum Jahresende nicht viel ausrichten kann, da die Hälfte der Inflation Kriegsinflation ist." Deshalb wird es wohl im nächsten Jahr noch "Richtung zwei Prozent gehen". Es sieht nach einem Marathonlauf aus - für die EZB, aber auch für uns Verbraucher.
- Nahrungsmittel teurer, Bahnfahrten günstiger
Energie, Lebensmittel, Freizeit: In fast allen Bereichen sind die Kosten auch im Juni gestiegen. Doch 9-Euro-Ticket und Tankrabatt wirken dem Trend entgegen.