Ein erstes Steinkohlekraftwerk aus der Reserve steht kurz vor dem Neustart: Mehrum soll wieder einige Monate Strom produzieren - um knapp werdendes Gas zu sparen.
Als Ersatz für Strom aus Erdgas steht das erste Steinkohlekraftwerk aus der Reserve vor dem Neustart. Es handelt sich um das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln (Landkreis Peine) zwischen Hannover und Braunschweig, das dem tschechischen Energiekonzern EPH gehört.
Es sei bislang die einzige "Marktrückkehr" eines Kraftwerks, die der Bundesnetzagentur angezeigt worden sei, teilte die Behörde auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Lindner: Mit Gas nicht länger Strom produzieren
Seit 14. Juli erlaubt eine Verordnung, dass Steinkohlekraftwerke aus der sogenannten Netzreserve wieder in Betrieb gehen können, um Erdgas einzusparen. Im Juni lag der Erdgas-Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland laut Bundesnetzagentur bei 11,2 Prozent.
Um die Stromerzeugung aus Gas entwickelte sich am Wochenende eine Kontroverse innerhalb der Bundesregierung. Finanzminister Christian Lindner sagte der "Bild am Sonntag":
"Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert", forderte der FDP-Vorsitzende.
In den Baumärkten leeren sich die Regale: Heizlüfter, Holz und Kohlebriketts gehen gut weg in diesem Sommer. Bei vielen wächst die Sorge, im Kalten zu sitzen, wenn in zwei Monaten die Heizsaison beginnt.
Habeck-Sprecher warnt vor Blackouts
In Richtung des Bundeswirtschaftsministers sagte Lindner: "Robert Habeck hätte die gesetzliche Ermächtigung, das zu unterbinden." Es spreche vieles dafür, die restlichen Kernkraftwerke nicht abzuschalten, "sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen".
[ZDF-Sommerinterview: Grünen-Chefin Lang schließt Atom-Wiedereinstieg aus]
Ein Sprecher Habecks wies darauf hin, dass ein völliger Verzicht auf Gas im Stromsektor zur Stromkrise und Blackouts führe.
Da, wo Gas aber in der Stromerzeugung ersetzt werden könne, solle es ersetzt werden - und daran werde längst mit Hochdruck gearbeitet.
Mehrum könnte halbe Million Haushalte mit Strom versorgen
Das Kraftwerk Mehrum befindet sich seit Anfang Dezember 2021 in der Reserve, wie die Kaufmännische Leiterin der Betreibergesellschaft, Kathrin Voelkner, der dpa sagte. "Wir haben die Rückkehr an den Strommarkt erklärt. Wir gehen davon aus, dass wir kurzfristig ans Netz zurückkehren."
Das Kraftwerk hat eine Nettoleistung von 690 Megawatt. 2018 erzeugte es so viel Strom, dass damit theoretisch mehr als eine halbe Million Musterhaushalte mit Strom versorgt werden konnten. Über die geplante Rückkehr von Mehrum an den Strommarkt hatte zuvor die "Braunschweiger Zeitung" berichtet.
Welche Konzerne mehr Strom verkaufen wollen
-
-
-
Verordnung zu Braunkohlekraftwerken geplant
Die Verordnung der Bundesregierung erlaubt den Stromverkauf aus Reservekraftwerken, die mit Steinkohle oder Öl befeuert werden, bis Ende April 2023. Das Wiederanfahren für mehrere Monate ist für Kraftwerksbetreiber wirtschaftlich interessant, weil die Strom-Großhandelspreise derzeit hoch sind.
Gleichzeitig ist ausreichend Steinkohle auf dem Weltmarkt vorhanden. Mit der Maßnahme soll Erdgas aus dem Strommarkt verdrängt werden.
Explodierende Gaspreise, leere Speicher, Angst vor Rationierung und Abschaltung– Putins Krieg hat Deutschlands Abhängigkeit von russischem Erdgas gnadenlos offengelegt.
Neben der bereits gültigen Verordnung für Steinkohle- und Öl-Kraftwerke wird für Anfang Oktober auch eine Verordnung für das Wiederanfahren von bereits stillgelegten Braunkohlekraftwerken vorbereitet. Hinzu kommt eine Gaseinsparverordnung, die die unnötige Verstromung von Erdgas verhindern soll.
"Die Verordnung wird aktuell vorbereitet und tritt dann in Kraft, wenn sich abzeichnet, dass noch mehr Gas bei der Stromerzeugung eingespart werden muss", hatte das Wirtschaftsministerium am 21. Juli mitgeteilt.
Grafiken- Wie es um unsere Gasversorgung steht
Wie viel Gas verbrauchen Haushalte und Industrie? Wie voll sind die Gasspeicher? Wie viel Gas bekommt Deutschland? Grafiken zur Gasversorgung in Deutschland.
von H. Koberstein, R. Meyer, N. Niedermeier, M. Zajonz