Deutschlands Gasversorgung hängt zum Großteil von Lieferungen aus Russland ab. Doch was würde passieren, wenn Russland kein Gas mehr liefert? Müssten wir dann frieren?
Die Bedeutung der hiesigen Gasversorgung ist Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bewusst. Seit Tagen spricht er von der Notwendigkeit, Gasspeicher aufzubauen, genauer: Flüssiggasspeicher. Die können durch Tankladungen auf dem Seeweg befüllt werden, sind also unabhängig von Pipelines aus einzelnen Ländern wie Russland. Russland spielt für die hiesige Gasversorgung eine zentrale Rolle: Das Land unter Präsident Wladimir Putin sichert rund 40 Prozent der europäischen Gasimporte. Nur sind die mit der zugespitzten Ukraine-Krise unsicher geworden.
Deutschland abhängiger von russischem Gas als Europa
Im Fall Deutschlands ist die Abhängigkeit noch einmal größer, denn hier stammen rund 55 Prozent aller Gasimporte aus Russland. Und die Gasvorräte sind schon jetzt vergleichsweise knapp: Erdgasspeicher in Deutschland sind nur zu 37 Prozent gefüllt. Das ist ein historisches Tief. Der Energielieferant Gazprom exportiert aktuell rund 40 Prozent weniger Gas als im Vorjahr. Mit weniger Druck in den Pipelines erhöht Moskau den Druck in den Verhandlungen mit dem Westen im Ukraine-Konflikt.
DIW-Expertin Claudia Kemfert sieht die Energie, die wir aus Russland importieren, als stärkste Waffe an.
Dabei hat Deutschland auf diese Abhängigkeit in den vergangenen zehn Jahren konsequent hingearbeitet. Seit 2012 hat sich der Anteil russischer Erdgaslieferungen von 40 auf besagte rund 55 Prozent erhöht. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch die Wankelmütigkeit aktueller Regierungsvertreter bei der Nord-Stream-2-Pipeline.
Debatte auch wegen Nord Stream 2
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bis vor kurzem insistiert, die fertig gestellte und auf Betriebserlaubnis wartende Pipeline Nord Stream 2 sei ein rein privatwirtschaftliches Unterfangen - und damit quasi außerhalb des politisch verhandelbaren Orbits schwebend. Mittlerweile hat er sich der Haltung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angeschlossen und als mögliche Sanktionsmaßnahme das Aus für die Pipeline im Falle einer russischen Invasion in der Ukraine ins Spiel gebracht.
Riesentanker mit Flüssiggas wohl unterwegs nach Europa
Jedenfalls verhandeln Brüssel und Berlin aktuell mit den USA, um Europa im Notfall mit Gas versorgen zu können. So sind Branchenbeobachtern zufolge aktuell mindestens 25 Riesentanker voll beladen mit Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) aus den USA in Richtung Europa unterwegs.
Einige Schiffe haben auf ihrem Bestimmungsweg nach Asien kurzerhand ihre Routen in Richtung Europa geändert. Die US-Regierung spricht sich dabei mit Gaskunden wie Japan und Südkorea ab.
Experten: Ersatz nur eine Frage des Preises
Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht man aktuell keine größere Gefahr für die Energiesicherheit Europas oder hierzulande.
Ähnlich sieht man das bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Gemäß dem weltweiten Angebot an Erdgas könne man die Lieferungen aus Russland problemlos ersetzen. Die Frage sei nur, welchen Preis man dafür bezahlen muss.
Zu einem Erdgas-Lieferstopp von Russland in die Ukraine und die Europäische Union kam es zuletzt im Jahr 2009. Damals stritten Russland und sein Nachbar über die Höhe der Transitgebühren. Seither hat die EU darauf hingearbeitet, die Anzahl seiner Erdgaslieferländer zu erhöhen - und damit die Versorgungssicherheit im Fall von Lieferengpässen aus Russland.
Putins Freunde und die Gaspipeline
Russland ist auch vom Westen abhängig
Zudem ist die Abhängigkeit durchaus nicht nur einseitig. So erzielt Russland durch den Erdgasverkauf nach Europa hohe und wichtige Einnahmen und besitzt nur wenige Alternativen zum Export in die EU. Das ist ein Grund dafür, warum Russland in anderen Krisen der Vergangenheit praktisch immer zuverlässig weiter geliefert hat.
Energie-Expertin Claudia Wellenreuther vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut sieht trotz der angespannten Lage an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland keine Versorgungsprobleme bei Erdgas auf Deutschland zukommen.
Norwegen produziert – vor allem mit Wasserkraft und Erdgas –Strom und gibt diesen auch an andere Länder ab. Norweger vermuten hierin einen Grund für den dortigen Preisanstieg.