Gaspreise explodieren und Energieversorgern droht die Pleite. Die Bundesregierung springt ein und garantiert Milliardenkredite. So soll die Branche vor dem Kollaps bewahrt werden.
Deutschlands Gaskonzerne balancieren am Abgrund. Wegen des Ukraine-Kriegs explodieren nicht nur für Verbraucher die Preise - auch die Versorger müssen deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um sich auf dem Weltmarkt einzudecken. Fallen Lieferanten aus, oder kürzt Russland Liefermengen, kann das schnell den Bankrott bedeuten. Haushalte und Firmen stünden ohne Gas da.
Warum musste die Bundesregierung aktiv werden?
Genau das drohte zuletzt Gazprom Germania, der früheren deutschen Tochter des russischen Gasgiganten Gazprom. Seit April steht das Unternehmen unter Zwangsverwaltung der Bundesnetzagentur. Es drohte die Pleite. Claudia Kemfert, Energie-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sagt ZDFheute:
Am Dienstag stellte die Bundesregierung Gazprom Germania einen KfW-Kredit über bis zu 10 Milliarden Euro bereit - gedeckt durch Steuergelder. Zudem prüfe die Bundesregierung, "das Darlehen in Eigenkapital umzuwandeln", schreibt das Wirtschaftsministerium. Faktisch hieße das, den Konzern zu enteignen.
Im Moment sei die Gasversorgung laut Bundesnetzagentur zwar stabil, die Lage jedoch weiterhin angespannt. Deshalb ruft Wirtschaftsminister Habeck zum Energiesparen auf.
Wie könnte der Bund Gazprom Germania übernehmen?
Mit der Gewährung eines Kredits erwerbe der Bund erst einmal keine Anteile an einem Unternehmen, betont Christoph Weber, Professor für Energiewirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. "Allerdings könnte der Fall eintreten, dass Gazprom Germania den Kredit nicht zurückzahlen kann, oder auch durch andere Gründe in eine finanzielle Schieflage gerät."
Im Gegenzug für einen Schuldenerlass könnte der Staat dann Anteile am insolventen Unternehmen übernehmen, sagt Weber ZDFheute. Er verweist auf ähnliche Beispiele, als die Bundesregierung Anteile an der Commerzbank und der Lufthansa zeitweise übernahm.
Ökonomin Kemfert rechnet damit, dass Gazprom Germania und Rechtsnachfolger bis auf weiteres in staatlicher Hand verbleiben werden. "Der Gasmarkt wird auf absehbarer Zeit ein schwieriger Markt sein aufgrund von Markt-Volatilitäten in Krisenzeiten. Kaum ein Unternehmen wird derzeit diese Risiken marktwirtschaftlich übernehmen wollen."
Profitiert Russland jetzt von deutschem Steuergeld?
"Offiziell und direkt hat die Gazprom Germania nichts mehr mit Russland oder dem Gazprom-Konzern zu tun", sagt Tobias Federico von der Beratungsagentur Energy Brainpool ZDFheute. Ein neuer Name soll weitere Hinweise auf die Russland-Vergangenheit vergessen machen: Securing Energy for Europe. "Dann wäre das letzte Überbleibsel der Gazprom im Namen weg", so Federico.
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Kredit, Umbenennung und eine geplante neue Rechtsgrundlage für eine verlängerte Treuhänderschaft: Die jüngsten Maßnahmen des Bundes verfolgen eine klare Strategie: Der Markt soll zu diesem systemrelevanten, aber toxischen Akteur neues Vertrauen aufbauen. "Dabei wird sichergestellt, dass das Geld nicht nach Russland fließt" schreibt das Wirtschaftsministerium.
"Bisher hat die Bundesregierung hier sehr gute Arbeit gemacht", lobt Experte Tobias Federico. In den Simulationen zum Energiemarkt, die Energy Brainpool durchgespielt habe, sei der Konkurs von Gazprom Germania eines der wahrscheinlichsten Szenarien gewesen.
"Allerdings braucht der Markt dringendst eine Perspektive für die Gazprom Germania und deren Töchter über den 30. September 2022 hinaus", betont Federico. "Da reicht schon ein klares Bekenntnis: Der Bund steigt ein und wird 100-prozentiger Anteilseigner der Gazprom Germania." Dann habe der Markt wieder Vertrauen.
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Wie geht es mit den Staatshilfen nun weiter?
Es könnte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der Staat der Energiebranche zur Seite springen muss. Am Freitag gaben Wirtschafts- und Finanzministerium bekannt, dass auch andere betroffene Unternehmen in den Genuss von KfW-Kreditlinien mit Bundesgarantie kommen sollen. Dazu kommt ein fünf Milliarden Euro Notprogramm zur Abfederung steigender Energiepreise in Betrieben.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) begrüßt diesen Schritt gegenüber ZDFheute: "Mit dem heute gestarteten Schutzschild hat die Bundesregierung einen sehr wichtigen Beitrag für eine sichere Gasversorgung geschaffen", so Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.
Doch selbst diese Instrumente könnten angesichts der historischen Verwerfungen auf den Energiemärkten nicht ausreichend sein - weitere Maßnahmen seien nötig, betont der BDEW.
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