Rewe bietet in seinen Märkten "klimaneutrales" Hähnchenbrustfilet an. Von der Verbraucherorganisation Foodwatch gibt es dafür den Preis für die dreisteste Werbelüge des Jahres.
Vor exakt einem Jahr, am 14. Dezember 2020, verschickte die Rewe Group eine Pressemitteilung. Überschrift: "Klimaneutral hergestelltes Geflügelfleisch von Wilhelm Brandenburg". Ab sofort gebe es das "klimaneutrale" Geflügelfleisch im SB-Regal von mehr als 520 Rewe-Märkten in Deutschland. Damit sei Rewe der erste Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland, der klimaneutrales Frischgeflügelfleisch anbiete.
Goldener Windbeutel für Klimalüge von Foodwatch
Heute bekommt Rewe für genau dieses Produkt den Negativpreis "Goldener Windbeutel" der Verbrauchschutzorganisation Foodwatch. Bei einer Online-Abstimmung hatten rund 28 Prozent von mehr als 63.000 Teilnehmern das Hähnchenbrustfilet zur dreistesten Werbelüge des Jahrers gewählt.
Die Werbung erwecke den Eindruck, dass sich die Produktion des Hähnchenfleisches nicht negativ auf das Klima auswirke, so Foodwatch. Nach Recherchen der Organisation sei jedoch weder die Herstellung emissionsfrei, noch würde der anfallende CO2-Ausstoß adäquat ausgeglichen. Foodwatch hatte deshalb Anfang Dezember eine Abmahnung wegen irreführender Werbung an Rewe geschickt.
Das Problem mit der CO2-Kompensation
Bei den meisten Herstellungsprozessen von Nahrungsmitteln oder anderen Produkten entstehen Treibhausgase. Viele Unternehmen versuchen diese zu reduzieren, die wenigsten werden jedoch auf diesem Weg "klimaneutral". Um "unvermeidbare Emissionen" auszugleichen, gibt es sogenannte CO2-Kompensationsprojekte.
Mit so einem Projekt gleicht auch Rewe nach eigener Aussage die Emissionen der Herstellung des Hähnchenfilets aus. Es handele sich dabei um ein Projekt zum Waldschutz in Peru (Tambopata), in dem unter anderem Paranüsse angebaut werden. Das dort eingesparte CO2 wird in Form von CO2-Zertifikaten gehandelt. Rewe kauft also in Peru die Erlaubnis zur Emission für die Produktion des Hähnchenfilets - immerhin gut 9.000 Tonnen CO2.
Foodwatch: Verbraucher werden getäuscht
Das Problem: Viele dieser Projekte sind schwer zu durchschauen, Experten haben Zweifel, dass die Menge an ausgegebenen Zertifikaten tatsächlich gerechtfertigt ist. Foodwatch sagt daher: Das Hähnchenfleisch ist alles andere als "klimaneutral" und dürfte nicht so beworben werden.
Streit um die Berechnung der Zertifikat-Menge
Foodwatch hat einen Umweltwissenschaftler beauftragt, das Kompensationsprojekt in Peru zu untersuchen und zu überprüfen, ob die Menge an ausgegebenen CO2-Zertifikaten gerechtfertigt ist. Das Ergebnis:
Nach Projektbeginn habe die Entwaldung nicht wie versprochen abgenommen, sondern sogar zugenommen.
Rewe widerspricht dieser Darstellung. Der Konzern habe die Zertifikate über den Dienstleister Climate-Partner erworben, eine Organisation, die Unternehmen dabei berät, wie Emissionen durch Naturschutzprojekte ausgeglichen werden können. In einer Stellungnahme zu den Vorwürfen wirft Climate-Partner Foodwatch methodische Fehler bei der Untersuchung des Waldschutzprojekts vor.
"Klimaneutralität" ist für viele Unternehmen das Ziel
Die Abmahnung gegen Rewe dürfte auch viele andere Unternehmen aufhorchen lassen. Das Label "klimaneutral" ist zu einem echten Verkaufsargument geworden. Und viele versuchen diese auf genau dem selben Weg zu erreichen wie Rewe. Unter anderem haben auch Penny, Katjes, Aldi und Netto CO2-Zertifikate von dem Projekt in Peru erworben.
Auch BP und verschiedene deutsche Energieversorger haben schon Emissionen mit dem Paranuss-Projekt ausgeglichen, um zum Beispiel fossiles Erdgas als "klimaneutrales" Ökogas vermarkten zu können.
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