Autos, Züge, Industriemaschinen: Mit klimaneutralem grünen Wasserstoff will die Wirtschaft zunehmend fossile Energieträger ersetzen. Ein Forscher mahnt zu noch mehr Tempo.
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Die Schlagzeilen sprechen vom "Megatrend Wasserstoff" oder von der "Wasserstoff-Revolution". Und tatsächlich elektrisiert ganze Industriebranchen derzeit kein Thema so sehr wie grüner Wasserstoff, der vielen als der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energiezukunft gilt.
Industrie rüstet auf Wasserstoff um
Dabei, so scheint es, wird der viel gepriesenen "Energiequelle der Zukunft" jetzt zum Durchbruch verholfen: Alstom hat bereits Wasserstoff-Züge in Norddeutschland im Einsatz, ab nächstem Jahr werden sie auch in Bayern auf den ersten Strecken rollen.
Und die Stahlriesen ThyssenKrupp und Salzgitter haben testweise damit begonnen, Wasserstoff statt Kohlenstoff zum Stahlkochen in ihren Hochöfen einzusetzen. ThyssenKrupp will die Technologie "in den industriellen Großeinsatz" übertragen, Konkurrent Salzgitter mit dem gleichen Ansatz seinen CO2-Ausstoß um bis zu 95 Prozent senken.
Mit Hilfe von Wasserstoff soll Deutschland bis 2050 klimaneutral werden. Umweltfreundlich ist er aber nur, wenn der Strom für seine Herstellung aus erneuerbaren Energien stammt.
Das Ruhrgebiet: Statt Kohlerevier Wasserstoff-Powerhouse
"Wasserstoff soll das Ruhrgebiet prägen wie einst die Kohle", frohlockt derweil die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung". Der Grund: RWE und Thyssenkrupp wollen gemeinsam mit weiteren Partnern eine Infrastruktur aufbauen, von der Wasserstoff-Produzenten in Niedersachsen und industrielle Abnehmer in Nordrhein-Westfalen gleichermaßen profitieren.
Mit dem Projekt "H2.Ruhr" arbeitet zudem der Energiekonzern E.ON mit Partnern wie ABB und SAP daran, Industrie, Mittelstand und Kommunen im Ruhrgebiet mit grünem Wasserstoff zu versorgen.
Europäische Wasserstoff-Infrastruktur nimmt Form an
Das Thema beschäftigt zunehmend auch die Politik: So will die Europäische Union (EU) mit ihrer Wasserstoff-Strategie in den kommenden 30 Jahren nahezu eine halbe Billion Euro vor allem in die erneuerbare Wasserstofferzeugung investieren.
Und die Bundesrepublik Deutschland plant im Rahmen der "Nationalen Wasserstoffstrategie" Investitionen von derzeit neun Milliarden Euro in den Aufbau der Infrastruktur und die Förderung zahlreicher Industrieprojekte.
Deutschland soll Wasserstoff-"Leitmarkt" werden
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung verspricht weitere Investitionen:
Als gemeinsames Ziel geben die Koalitionäre einen "schnellen Markthochlauf" aus. Diese Ankündigungen und die Nachricht, dass die EU-Kommission nun eine Grundlage schafft für den weltweit ersten Wasserstoff-Binnenmarkt, versetzt Branchen-Experten in Euphorie.
- Grüner Wasserstoff - Motor für Verkehrswende?
Wasserstoff gilt vielfach als Wundermittel - vor allem wenn er "grün" ist. Große Potenziale gibt es im Verkehrssektor. Doch bis zu einem größeren Einsatz ist es ein weiter Weg.
"Goldenes Zeitalter"
"Das Goldene Zeitalter des Wasserstoffs hat begonnen", sagt Jorgo Chatzimarkakis, der Vorsitzende des Industrieverbands Hydrogen Europe.
Länder wie die Niederlande, Portugal, Dänemark und vor allem Spanien seien aktuell zwar viel weiter mit der Wasserstofftechnologie als Deutschland.
Forscher: Es braucht mehr Wind- und Sonnenenergie
Dafür braucht es den Aufbau grenzüberschreitender Pipelines, denn allein kann Deutschland die benötigten Wasserstoff-Mengen Experten zufolge nicht herstellen. "Wir haben so großen Bedarf, dass wir importieren müssen", erklärt Chatzimarkakis.
Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, bestätigt diese Einschätzung. Er mahnt gleichzeitig den Ausbau von Wind- und Sonnenergieanlagen an, denn:
Prinzipiell wäre Klimaneutralität in den 2030er-Jahren für Deutschland noch erreichbar, sodass die Bundesrepublik ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht werden könnte, so Quaschning.
Wissenschaftler Quaschning mahnt Politik zu mehr Tempo
"Doch dazu muss die neue Regierung ihre Ausbaupläne für Solar- und Windkraftanlagen im Inland noch einmal dringend nach oben korrigieren und parallel dazu für die nötigen Erzeugungskapazitäten für die grüne Wasserstoffproduktion im Ausland sorgen", fordert der Wissenschaftler.
Denn trotz erhöhten Tempos bei der Energiewende reichten die derzeitigen Ambitionen "noch nicht ansatzweise aus", um die Klimaschutzziele zu erreichen.