Ob die Verbraucher bei einer möglichen Gasknappheit priorisiert werden, steht laut Wirtschaftsminister Habeck nicht unbedingt fest. "Wir müssen neu nachdenken", sagte er in Wien.
Robert Habeck
Quelle: reuters
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die bisher vorgesehene Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit infrage gestellt. Private Haushalt müssten auch "ihren Anteil leisten", sagte Habeck bei einem Besuch in Wien.
Industrie-Produktion gefährdet
Denn "eine dauerhafte oder langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion" hätte "massive Folgen" für die Versorgungssituation. Der Wirtschaftsminister erklärte:
Die europäische Notfall Verordnung Gas sieht vor, dass kritische Infrastruktur und Verbraucher geschützt sind und Industrie und Wirtschaft nicht,
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Dies sei sinnvoll bei kurzfristigen und regionalen Problemen, etwa wenn ein Kraftwerk ausfällt. "Und dann sagt man naja, das überbrücken wir mit Kurzarbeitergeld für die Industrie und wir reparieren dann später, aber frieren soll niemand." Habeck weiter: "Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt im Moment haben".
Wir reden hier möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung von Gas-Strömen.
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Deshalb müsse an dieser Stelle noch mal nachgedacht und nachgearbeitet werden.
"Wenn wir jetzt zu einer Gastnotlage noch eine riesen Stromlücke bekommen, dann potenzieren wir die Probleme", sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu drohenden Energie-Engpässen.12.07.2022 | 6:36 min
Habeck: Solidarität gefragt
Habeck äußerte sich auf eine Frage zu Erwartungen an die EU-Strategie für die Energieversorgungssicherheit, welche die EU-Kommission in der kommenden Woche vorstellen soll.
Wenn nun eine Situation entstünde, in der ein Land seine wirtschaftliche Tätigkeit zurückschraube, "um in einem anderen Land (...), für warme Wohnungen zu sorgen, muss es ein Stück weit auch einen Solidaritätsmechanismus des Ausgleichs geben", sagte der Grüne.
Planmäßig wird die Pipeline Nord Stream 1 bis Ende nächster Woche gewartet. Ob danach wieder Erdgas aus Russland nach Deutschland fließt, ist nicht sicher. Im politischen Berlin steigt der Druck. 12.07.2022 | 2:19 min
Am Montag war Habeck in Tschechien gewesen und hatte dort eine gemeinsame Erklärung zur Energiesicherheit unterzeichnet.
Ziel sei es, "ein klares Signal der Kooperation zwischen unseren Ländern zu senden", erklärte der Vizekanzler anschließend. Eine ähnliche Erklärung unterzeichnete er nun in Wien mit der dortigen Energieministerin Leonore Gewessler.
Österreich: Putin will Spaltung der Europäer
Österreich ist in hohem Maße abhängig von russischen Energieimporten und steht deshalb wie Deutschland angesichts ausbleibender Gaslieferungen stark unter Druck. Russlands Präsident Wladimir Putin habe es auf eine Spaltung der Europäer abgesehen, sagte Gewessler.
Aber es wird Putin nicht gelingen, weil und wenn wir zusammenstehen.
Leonore Gewessler, Energieministerin Österreich
Österreich als Binnenland setze etwa auf Importe über Terminals zur Anlandung von Flüssiggas an den deutschen Küsten.
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Habeck: Krise als Chance
Habeck sieht in der aktuellen Gaskrise allerdings auch eine große Chance.
Es gibt jetzt eine neue Allianz aus Klimaschutz und Energiesicherheit.
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Das sagte er in Wien mit Blick auf den angestrebten forcierten Ausbau erneuerbarer Energien. Auch wenn es aktuell um Fragen wie den Ausbau von Flüssiggas-Terminals gehe, passierten strukturell wichtige Entwicklungen.
"Unter der Oberfläche sind gerade mächtige Bewegungen im Gange, die, wenn wir diese Zeit durchstehen, diesen Kontinent, Österreich und Deutschland stark und stärker machen", so Habeck.
Wird im Winter das Gas knapp? Das ist schwer vorherzusehen, doch die Städte bereiten sich auf dieses Szenario vor - erarbeiten Krisenpläne und versuchen, Energie einzusparen.