Wegen der Inflation können sich manche Familien den Einkauf nicht mehr leisten. Da müsse der Staat helfen, alle anderen müssten den Gürtel enger schnallen, so Ökonom Holtemöller.
Die Preise für Lebensmittel sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen: Laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Vorjahr um 8,6 Prozent. Die hohe Inflationsrate macht sich im Portemonnaie bemerkbar - bei manchen mehr als bei anderen.
Eine deutliche Besserung sei vorerst nicht in Sicht, sagt der Ökonom Oliver Holtemöller. Ein Gespräch über die Gewinner und Verlierer der hohen Inflationsrate und warum Tankrabatt oder 9-Euro-Ticket falsch sind.
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ZDFheute: Im Mai 2022 lag die Inflationsrate bei 7,9 Prozent. Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
Oliver Holtemöller: Es trifft die Breite der Haushalte. Unser Einkommen und unser Lohn passen sich den steigenden Preisen nicht automatisch an. Das führt dazu, dass wir in diesem Jahr das seltene Phänomen erleben, dass das real verfügbare Einkommen in Deutschland sinkt. Die meisten haben weniger Geld im Portemonnaie.
ZDFheute: Gleichzeitig leiden viele Menschen noch unter den Folgen der Corona-Krise. Wie sehr verschlimmert sich ihre Situation?
Holtemöller: Wir kommen von einer Krise in die andere, beide Krisen treffen die Gesellschaft ungleich. Die Verlierer sind allem die einkommensschwachen Haushalte.
ZDFheute: Wer profitiert von der hohen Inflationsrate?
Holtemöller: Ein großer Gewinner ist der Staat. Das liegt an unserem Steuersystem: Je höher die Einkommen sind, desto höher ist der Durchschnittssteuersatz. Wenn jetzt aufgrund der Inflation die Einkommen steigen sollten, nimmt der Staat mehr Steuern ein. Und er gewinnt, weil sich seine Schulden entwerten.
Es gewinnen auch Privatpersonen. Wer zum Beispiel zu günstigen Konditionen einen Kredit aufgenommen hat, um ein Haus zu bauen, muss an die Bank jetzt einen niedrigeren realen Wert zurückzahlen.
Grafiken- So teuer wurden Verkehr und Essen im Oktober
Das Tanken war so teuer wie noch nie, die Lebensmittelpreise ziehen ebenfalls an. Wie hoch die Inflation bei einzelnen Produkten ist - der Überblick in interaktiven Grafiken.
von Robert MeyerZDFheute: In den 1970er- und 80er-Jahren war die Inflationsrate schonmal sehr hoch. Können wir aus der damaligen Situation lernen?
Holtemöller: Eine pauschale Lehre gibt es nicht. Ähnlich ist, dass wir einen realen Einkommensverlust in Deutschland haben. Wir sind als Volkswirtschaft insgesamt ärmer geworden, der Kuchen ist kleiner geworden:
Wenn die geringverdienenden Haushalte weiter das gleiche Stück vom Kuchen bekommen sollen, weil sie ohnehin ein kleines Stück haben, dann müssen diejenigen, die bisher die großen Stücke haben, etwas verzichten.
ZDFheute: Welche Maßnahmen sind notwendig?
Holtemöller: Sinnvoll sind direkte Transfers an einkommensschwache Haushalte. Die gibt es ansatzweise mit dem Kinderbonus oder dem Energiebonus für steuerpflichtige Erwerbstätige. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber zu wenig zielgerichtet.
Der Tankrabatt oder das 9-Euro-Ticket sind Maßnahmen, die genau in die falsche Richtung gehen, weil sie für alle gelten und nicht nachhaltig sind. Wir haben reale Knappheit an Energie. Wenn Energie aber staatlicherseits subventioniert wird, fördert das die Nachfrage und treibt den Wert weiter in die Höhe. Diese stimulierenden Maßnahmen sind kontraproduktiv und wirken inflationstreibend.
Stattdessen braucht es Anreize, weniger Energie nachzufragen - also zweimal darüber nachzudenken, ob man das Auto betankt oder eine Reise unternimmt.
"Armut ist nicht ansteckend, aber diejenigen, die davon betroffen sind, werden in unserer Gesellschaft wie Aussätzige behandelt", so der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Wegen der starken Inflation müsse der Mindestlohn noch mehr steigen.
ZDFheute: Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf der Inflationsrate ein?
Holtemöller: Der Energiepreisanstieg beschleunigt sich nicht weiter. Es wird aber eine Weile dauern, bis wir bei den Verbraucherpreisen eine wirkliche Verlangsamung sehen. Das hängt auch davon ab, was an der Lohn-Front passiert.
Wir sehen jetzt höhere Forderungen der Arbeitnehmenden. Da besteht die Gefahr der "Zweitrundeneffekte" - dass steigende Lohnkosten die Unternehmen dazu bringen, erneut ihre Preise anzupassen. Wenn das passiert, kann sich die Inflation verfestigen. Die Anzeichen sind nicht besorgniserregend. Aber wir beobachten das.
ZDFheute: Müssen wir uns an eine hohe Inflationsrate gewöhnen?
Holtemöller: Wir kommen aus einer Phase sehr niedriger Inflation. Sie lag unterhalb des Preisstabilitätsziels der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent pro Jahr. Jetzt sind wir in einer Phase, wo für längere Zeit die Inflationsrate darüber liegen wird.
Im Jahresdurchschnitt wird die Inflation über sechs Prozent liegen. Im nächsten Jahr erwarten wir, dass es sich zwischen zwei und sechs Prozent abspielt, eventuell bei vier Prozent einpendelt.
Das Interview führte ZDF-Reporterin Luisa Houben.