Die Angst vor einem abrupten Lieferstopp russischen Erdgases ist groß. Müssen dann auch stillgelegte Kohlekraftwerke herhalten, um die Stromversorgung aufrecht zu halten?
Kohle hatte 2021 den größten Anteil an der Stromerzeugung. Über die Hälfte der Steinkohle kam im Januar aus russischer Förderung. Was passiert, wenn der Import ausbleibt?
Russland hat über Nacht Bulgarien und Polen das Erdgas abgedreht. Was würde ein solch ungeplanter Lieferstopp für Deutschland bedeuten? Gas wird nicht nur zum Heizen gebraucht, sondern vor allem in der Industrie und zur Stromerzeugung. Gaskraftwerke springen schnell an und können an sonnen- und windarmen Tagen Strom erzeugen.
Professor Lion Hirth, Energieökonom an der Hertie School in Berlin, empfiehlt, dringend Reserven aufzubauen: "Für dieses und für nächstes Jahr ist es wichtig, dass wir jede Kilowattstunde Gas einsparen, die wir können."
Der Konzern RWE hat gerade erst im Rahmen des Kohleausstiegs einen Braunkohlekraftwerksblock im rheinischen Neurath stillgelegt, aber signalisiert, dass man diesen auch im Bedarfsfall weiterlaufen lassen könne.
Deutschland will und muss sich unabhängig von russischem Gas machen. Zeitgleich ist der Atomausstieg Ende 2022 beschlossene Sache.
Umweltschützer alarmiert
Umweltschützer vom Bund für Naturschutz (BUND) in Nordrhein-Westfalen sind alarmiert: "Das Kraftwerk in Neurath ist 50 Jahre alt und war völlig ineffektiv", meint Dirk Jansen. Kohlekraftwerke seien der größte Emittent von klimaschädlichem CO2 weltweit. Deshalb müsse die Energiewende vorangetrieben werden.
Zur Stromgewinnung sind derzeit noch 151 Kohle-Kraftwerksblöcke in Deutschland am Netz. Bei der Braunkohle wäre Deutschland komplett unabhängig - von dem Rohstoff, der im Tagebau im Rheinland, in Mitteldeutschland und in der Lausitz gewonnen wird, gibt es noch genug. Steinkohle wird komplett aus dem Ausland importiert. Im Jahr 2021 zu über 50 Prozent aus Russland.
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Kohle nicht nur aus Russland
Alexander Bethe, Vorstandsvorsitzender vom Verein der Steinkohlenimporteure, ist zuversichtlich: "Die russische Kohle ist mühelos zu ersetzen." Sogar vor Inkrafttreten des beschlossenen Importverbots in die EU ab August wäre das möglich. Schon jetzt laufe die Umstellung und man beziehe mehr Kohle aus Australien, den USA und Kolumbien. Allerdings müssten die Europäer derzeit auf dem Weltmarkt mehr für die Kohle bezahlen.
Steigende Preise bei Kohle, Gas und den CO2-Zertifikaten führen seit Monaten auch zu steigenden Strompreisen. Das merkt der Verbraucher, das merkt auch die Industrie.
Um unabhängig von Russland zu werden, sollen Riesen-Tanker Deutschland mit Flüssiggas (LNG) beliefern. Dafür beginnt heute in Wilhelmshaven der Bau eines schwimmenden Terminals.
Professor Lion Hirth dazu: "Höhere Energiepreise werden sofort übersetzt in höhere Preise für Produkte. Zum Beispiel Stahl, Aluminium - deren Preise sind jetzt schon massiv gestiegen. Das ist ein Kostentreiber in der Bauindustrie."
Längere Laufzeiten, gleicher Ausstiegstermin
Um nicht nur steigenden Preisen, sondern auch einer Strom-Knappheit vorzubeugen, empfiehlt auch Energieökonom Hirth, kurzfristig mehr Kohlekraftwerke ans Netz zu nehmen. Eine Idee, die der Verein der Kohlenimporteure unterstützt.
Dennoch ist auch den Betreibern aller Kraftwerke klar, dass ein Ausstieg bis 2038 aus der Kohleverstromung unumkehrbar bleiben wird, dass es allenfalls um ein paar Jahre zwischen heute und 2038 geht, wo die Ausstiegsdaten einzelner Kraftwerke verschoben werden könnten.
Die Bundesregierung hat sich aber noch nicht festgelegt, ob sie wirklich längere Laufzeiten von Kohlekraftwerken in Erwägung ziehen möchte, da der Kohleausstieg über Jahre mühsam erarbeitet worden ist.
Explodierende Gaspreise, leere Speicher, Angst vor Rationierung und Abschaltung– Putins Krieg hat Deutschlands Abhängigkeit von russischem Erdgas gnadenlos offengelegt.