Nach Corona: Konzertbranche noch immer in der Krise
Corona, Inflation, Termindoppel:Konzertbranche noch immer in der Krise
von Ulrike Hauswald
20.08.2022 | 14:55
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Bilder von vollen Stadien und feiernden Festivalgängern suggerieren: Alles wieder gut in der Konzertbranche - oder? Aber so ist es noch lange nicht.
Das Open-Air-Festival Hurricane hatte dieses Jahr 78.000 Besucher.
Quelle: dpa
Beim Fusion Festival haben Ende Juni rund 70.000 Fans zusammen gefeiert und getanzt. Techno, House, Goa - die Musikpalette war bunt gemischt. Feierwütige aus dem In- und Ausland genossen das Musikfestival das ganze Wochenende, nachdem es zwei Jahre wegen Corona nicht stattfinden konnte.
Doch bei den Veranstaltern herrscht mittlerweile schlechte Stimmung. Im aktuellen Newsletter wird von einem Verlust in Höhe von 1,5 bis zwei Millionen Euro gesprochen. Steigende Preise, Fehlkalkulationen und die Pandemie sind Gründe für die finanzielle Misere.
Von der Euphorie zur Enttäuschung
Und es sind nicht die Einzigen. "Im April ging es super euphorisch los. Wir alle hatten Bock, endlich ging's wieder los und wir können wieder spielen", sagt Musikerin Mono von der Band "Mono Nikitaman" rückblickend.
Und dann waren die ersten Bands an Corona, wir mussten Sachen absagen. Das haben wir auch in unserem Umfeld gemerkt, da geht es vielen Bands in etwa so. Und wir haben gemerkt: Wir können nicht da anschließend, wo wir vor zwei Jahren aufgehört haben.
Mono, "Mono Nikitaman"
Mono und Nick von "Mono Nikitaman" sind relativ gut durch die Krise gekommen, doch sie machen sich Sorgen um kleinere Bands und Newcomer. Öffentlich sprechen die wenigstens Bands darüber, dass sie heute weniger Karten als früher verkaufen.
Die Kölsch-Rock-Band Kasalla ist offensiv damit umgegangen: Sie musste ihr Tour gerade erst absagen. Die Musiker gingen damit an die Öffentlichkeit und machen auf das Problem aufmerksam - trotz des potenziellen Image-Schadens, der mit so einer Absage einhergeht.
Sexismus in der Musikbranche: Mit ihrem Open-Air-Festival DCKS will Carolin Kebekus der männlichen Dominanz in der Musikindustrie ein Ende setzen.08.06.2022 | 5:59 min
Wenige große ausverkaufte Konzerte, viele Absagen
Auch Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft, sagt: Berichte über ausverkaufte Konzerte der Mega-Stars würden den Anschein erwecken, dass das Konzertgeschäft wieder boome.
Richtig ist leider vielmehr, dass weite Teile der Branche große Angst vor der Zukunft haben und mehr Konzerte absagen als sie durchführen.
Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft
Angst vor einer Corona-Infektion und weniger zur Verfügung stehendes Geld durch steigende Preise sind nur zwei der Gründe, dass weniger Menschen zu den Shows kommen.
Viele Jobs von der Krise betroffen
Die Unsicherheit in der Branche mit Blick auf künftige Corona-Maßnahmen und die Entwicklung der Inflation betrifft dabei nicht nur die Musikerinnen und Musiker. Für Roadies, Techniker*innen für Ton-, Licht- und Videoanlagen, Booker*innen und Menschen, die die Veranstaltungsorte betreiben, gilt das Gleiche.
Hier wird der Mangel an Personal deutlich. Für viele Tätigkeiten braucht es eine zertifizierte Ausbildung, doch während der Pandemie sind viele Kräfte abgewandert.
Zudem besteht aktuell - während die 7-Tage-Inzidenz vergleichsweise relativ niedrig ist und keine Kapazitäts-Beschränkungen gelten - aufgrund der großen Anzahl von Verlegungen aus den vergangenen zwei Jahren ein Überangebot an Konzerten und Festivals. Folge: Die wenigsten Konzerte sind voll besucht.
Ist Kultur also ein Luxus, der nicht mehr in unsere Zeit passt? "Ich finde, dass sich unsere Gesellschaft das leisten können muss“, so Mono.
Für den Einzelnen ist es vielleicht ein Luxus. Aber die Gesellschaft muss das doch tragen können, dass Kultur und Kunst und Musik für alle Menschen möglich ist, zu genießen.
Mono, "Mono Nikitaman"
Wie hilfreich waren die staatlichen Hilfen?
Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Branche mit staatlichen Hilfen unterstützt. Mono und Nick haben damit gute Erfahrungen gemacht: „Da können wir uns in Deutschland eigentlich nicht beschweren“, findet Nick.
Wir haben uns mit amerikanischen Bands ausgetauscht, die haben zum Teil 600 Dollar für die gesamten zwei Jahre gekriegt. Also da sind viele Kulturschaffende hier viel besser dran.
Nick, "Mono Nikitaman"
Doch er schränkt ein: Manche Programme, die abhängig von Umsatzangaben sind, seien zum Teil an der Realität vorbeigegangen. "Ohne die diversen durchaus großzügigen Hilfen - insbesondere die November-/Dezember-Hilfe 2020 - würde es heute viele Veranstalter nicht mehr geben", gibt Branchen-Sprecher Michow zu. Aber:
Bei den Überbrückungshilfen wird häufig vergessen, dass sie dazu dienten, eine Entlastung bei den laufenden Fixkosten der Unternehmen zu bieten. Entgangene Gewinne wurden dadurch also nicht kompensiert.
Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft
Kritik an Bundesregierung
Und er übt deutliche Kritik an der aktuellen Regierung: "Die Verbände der Veranstaltungswirtschaft versuchen seit Monaten, der Politik verständlich zu machen, dass der Wirtschaftszweig auch im zweiten Halbjahr weitere Unterstützung benötigt", sagt Michow. Doch die Politik verweigere sich nahezu jeder Diskussion.
Von einem Neustart ist die Branche also noch weit entfernt. Und Jens Michow schaut wenig optimistisch in die Zukunft:
Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich die Situation 2023 nochmals verschlechtern wird.