Mittlerweile sind sich die meisten Experten einig: Bei den Lecks an den Nord-Stream-Pipelines handelt es sich um Sabotage. Trotzdem gibt es viele Fragen - und einige Antworten.
In den Pipelines der Ostsee wurde ein viertes Leck entdeckt. Vieles deutet auf Sabotage hin. Sollte sich das bestätigen, hat die Nato Konsequenzen angekündigt.
Die Explosionen an den Ostsee-Gasröhren Nord Stream 1 und 2 können ein neues, gefährliches Kapitel in der Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen aufschlagen. Hinweise auf eine gezielte Zerstörung werden dichter - ein zeitgleiches Unglück an mehreren Stellen erscheint unwahrscheinlich. Die wichtigsten Fragen:
Wie kann so ein Akt durchgeführt werden? Was braucht man dafür?
Sprengen unter Wasser ist kein Hexenwerk, vor allem, wenn es - wie in der Ostsee - nicht um große Tiefen geht. Militärtaucher aller Nationen sind darin geübt. So werden Seeminen eines möglichen Gegners in der Regel unter Wasser kontrolliert gesprengt, nicht entschärft.
Dänemark und Schweden gehen von mindestens zwei Explosionen unter Wasser aus. Seismologische Institute hätten eine Stärke von 2,3 und 2,1 gemessen, was "vermutlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm" entspreche.
Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline mindestens noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten. Die Röhre wird mit einem "Molch" gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter, der mit Sprengstoff bestückt werden kann, sofern Täter Zugang zu dem System haben.
Die Lecks in den Gas-Pipelines Nord Stream I und II verdeutlichen, dass Versorgungs- und auch Datenleitungen Ziel von Angriffen sein könnten, so ZDF-Korrespondent Florian Neuhann.
Gibt es Spuren zu Tätern?
Die Ostsee gehört zu den am besten überwachten Seegebieten überhaupt - zumal nach der Eskalation der Spannungen mit Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Alle Anrainer beobachten den Schiffs- und Flugverkehr mit Sensoren, und es gibt dabei auf deutscher Seite hochentwickelte Fähigkeiten.
So werden Bewegungen von Fahrzeugen im Wasser verfolgt, indem die akustische Signatur aufgenommen und mit einer Datenbank abgeglichen wird. Die Marine erstellt aus all diesen Informationen ein "Unterwasserlagebild", das allerdings bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote auch an Grenzen stößt. Der US-Nachrichtensender CNN berichtet unter Berufung auf europäische Geheimdienstmitarbeiter, dass russische U-Boote letzte Woche nicht weit von Lecks beobachtet wurden.
Zur Beweislage gehört auch das Schadensbild an der Pipeline. Weil das austretende Gas aber zunächst erheblich Blasen schlägt, ist eine genauere Analyse erst später möglich - Dänemarks Verteidigungsministerium geht von ein bis zwei Wochen aus, bis die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersucht werden können.
Die Sorge über Umweltschäden, die das austretende Gas in der Ostsee verursachen könnte, wächst. Laut Umweltbundesamt werden rund 300.000 Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen.
Wer ermittelt nun?
Eine länderübergreifende Ermittlung soll Licht in die offenkundige Sabotage bringen. Daran soll sich auch die deutsche Marine beteiligen. Die Ermittlungen haben bereits begonnen - auch ohne dass man bislang an die Lecks herankommt. EU-Kommissarin Ylva Johansson äußerte sich zuversichtlich, dass herausgefunden werden kann, wer hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt steckt.
Bislang gibt es dazu zwar nur Arbeitshypothesen, doch die Auswertung der Radar- und Satellitendaten von Booten, Schiffen und U-Booten, die sich im fraglichen Zeitraum in dem Gebiet aufhielten, läuft auf Hochtouren.
Wer hätte was davon, diesen Anschlag auszuführen?
Europäische Regierungen halten sich derzeit mit Schuldzuweisungen zurück. Einige europäische Politiker und Energieexperten vermuten Russland hinter den Ereignissen. Das in der Ukraine kriegführende Land profitiert direkt von höheren Energiepreisen und ökonomischer Sorge in Europa. Wer eine Urheberschaft Russlands annimmt, hält es damit für möglich, dass Moskau die eigene Infrastruktur dauerhaft beschädigt und sich auch selbst die Möglichkeit nimmt, die Gasversorgung als Druckmittel gezielt an- und auszuschalten. Russland selbst widerspricht und beschuldigt den Westen.
Sabotage an der Pipeline? Reaktionen aus Deutschland:
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Ist die Sabotage der Pipelines ein kriegerischer Angriff, der einer entsprechenden Antwort bedarf?
Dänemark und Schweden betonen, dass sie nicht angegriffen worden seien. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den "Ausschließlichen Wirtschaftszonen" beider Staaten vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen. Die Frage eines Angriffs auf schwedischem oder dänischem Territorium stellt sich aus Sicht beider Regierungen also nicht.
Deutschland ist in diesem Sinne - ungeachtet der langfristigen Folgen - noch weniger betroffen.
Auf Anforderung Moskaus wird sich am Freitag der UN-Sicherheitsrat mit Nord Stream befassen, wie das schwedische Außenministerium mitteilte.
Die schwedische Küstenwache hat ein weiteres Gasleck an Nord Stream 2 entdeckt. Die Nato droht mit einer „gemeinsamen und entschlossenen Reaktion“.
Welche Folgen hat das Leck für die Umwelt?
Keine der beiden Pipelines war in Betrieb, jedoch waren beide mit Gas gefüllt. Die Gasmenge, die aus den drei bis Donnerstag bekannten Lecks an den Unterwasser-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gelange, entspreche etwa 32 Prozent der Summe der CO2-Emissionen, die Dänemark jedes Jahr ausstoße, teilte der Leiter der dänischen Energiebehörde, Kristoffer Böttzauw, mit. 2020 soll Dänemark etwa 45 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt haben. Der Ausstoß des am Freitag gefundenen Lecks ist noch unklar.
Auch das Umweltbundesamts (UBA) rechnet mit schweren Klimaschäden. Sämtliches Methan in den Pipelines werde in die Atmosphäre gelangen, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Grund dafür sei, dass es keine Abschottungsmechanismen an den Pipelines gebe. Insgesamt werden laut UBA und Deutscher Umwelthilfe voraussichtlich 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Methan sei "deutlich klimaschädlicher als CO2".
Die DUH forderte die Betreiber der Pipelines und die deutschen Aufsichtsbehörden auf, das verbleibende Gas aus allen Strängen "unverzüglich abzupumpen". Bereits jetzt sei durch die Lecks ein "unermesslicher Schaden für den Klimaschutz entstanden".
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