Polens Wirtschaft ist im EU-Vergleich weniger stark von den Folgen der Pandemie betroffen. Das ist aber nicht nur das Verdienst der nationalkonservativen PiS-Regierung.
Eine zweistellige Wachstumsdynamik, steigende Exportzahlen und ein Zuwachs an Beschäftigten - Paweł Kisiel, der Vorstandsvorsitzende der Gruppe Atlas, blickt zufrieden auf 2020 zurück. Der polnische Baustoffhersteller steht in der Corona-Krise gut da, denn in der Pandemie boomen die Renovierungsarbeiten in den eigenen vier Wänden. Doch das Unternehmen, das kurz nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Polen gegründet wurde, hatte sich schon zuvor im europäischen Wettbewerb ein gutes Standing erarbeitet.
"Wir kämpfen heute nicht mehr mit dem Preis, wir kämpfen mit der Qualität, wir kämpfen mit der Innovation", sagt Kisiel. So zeichnet sich der Hersteller etwa durch einen innovativen Gelkleber aus. In Zgierz, in der Nähe von Łódź, befindet sich mittlerweile eine der größten Produktionsstätten für Bauchemie in Osteuropa.
Prognosen sehen positive Entwicklung
Die polnische Unternehmensgruppe steht stellvertretend für eine Entwicklung, die das Land umfasst - und sich in der Pandemie bemerkbar macht. Denn das Land kommt dank seines tiefgreifenden Strukturwandels im EU-Vergleich besonders gut durch die Krise.
Polen könnte gar als einziger EU-Staat Ende 2021 das Vorkrisenniveau erreichen:
- Mit rund 2,8 Prozent ist die Wirtschaftsleistung 2020 weniger stark eingebrochen, als in vielen anderen EU-Ländern.
- Und die Prognose sieht gut aus: Die polnische Nationalbank rechnet damit, dass das Bruttoinlandsprodukt 2021 um 4,1 Prozent wächst.
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Tourismusbranche spielt eine untergeordnete Rolle
Kai-Olaf Lang, Leiter der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht mehrere Faktoren für die Entwicklung: "Zum einen verfügt das Land über eine solide, breit aufgestellte Industrie und die wird gestützt durch den Export", sagt der Osteuropa-Experte. Polen habe sich vor allem auf die Herstellung von langlebigen Gebrauchsgütern, wie Möbeln und Unterhaltungselektronik, konzentriert, nach denen die Nachfrage in der Pandemie gestiegen sei.
Auch die Rettungspakete der Regierung hätten "sicherlich eine Rolle gespielt". Zudem komme Sektoren, die besonders von der Pandemie betroffen seien, wie etwa dem Tourismus, eine eher untergeordnete Bedeutung in Polen zu, sagt Lang.
Kindergeld und höherer Mindestlohn stärken die Kaufkraft
Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) beansprucht den wirtschaftlichen Erfolg gern für sich. Allein auf die Wirtschaftspolitik der PiS lasse sich laut Lang die Lage aber nicht zurückführen. Vielmehr seien die Erfolgsfaktoren "jahrelang gewachsen" und nicht das "Produkt der einen oder anderen Regierung". Lang:
Die Nationalkonservativen haben seit dem Regierungswechsel 2015 viele Sozialleistungen verabschiedet - darunter etwa ein monatliches Kindergeld und die Anhebung des Mindestlohns.
Die Kunst des Kombinierens ist in Polen eine kreative Tradition. Polens Bar-Betreiber*innen zeigen zum Beispiel, wie sie mit teilweise absurden Ideen die Corona-Verbote umgehen.
Polen will Atomkraftwerke bauen
Wie konkurrenzfähig und krisengefestigt Warschau die Zukunft bestreitet, hängt nicht zuletzt von der Energiewende ab. Denn Polen bezieht derzeit fast 80 Prozent der Energie aus Stein- und Braunkohlekraftwerken, was das Land zu einem der größten Klimasünder in der EU macht. Bis 2030 sollen nun 240 Milliarden Euro investiert werden, um die Energiewirtschaft neu zu gestalten.
Umweltminister Michał Kurtyka will den Kohleanteil binnen 20 Jahren auf 11 bis 28 Prozent senken. Das letzte Kohlebergwerk soll im Jahr 2049 schließen. Dem europäischen Kurs mit dem Fokus auf Gas und erneuerbaren Energiequellen will Polen allerdings nicht folgen - die Regierung hat angekündigt, in die Atomkraft einsteigen und bis 2040 sechs Reaktoren zu errichten.