Die durch den Ukraine-Krieg veränderte geopolitische Lage könnte ein auf Eis gelegtes Handelsabkommen wiederbeleben: Die Kooperation zwischen der EU und den Mercosur-Staaten.
Lithium, Erdgas und Erdöl: Südamerika hat, was Europa derzeit dringend braucht, um seine Versorgungssicherheit herzustellen. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine und der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, wird plötzlich ein fast schon abgeschriebenes Projekt wieder interessant.
Denn bislang fehlt ein umfassendes Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund - bestehend aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay sowie dem derzeit wegen Menschenrechtsverletzungen suspendierten Venezuela. Das rückt durch die neue geopolitische Lage nun wieder verstärkt in den Blickpunkt.
Kurz vor Abkommen waren Umweltbedenken zu groß
Eigentlich war das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen schon 2019 so weit austariert, dass nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen eine Ratifizierung bevorstand. Dann wuchs der Widerstand der Umweltschutzorganisationen - insbesondere wegen der wieder zunehmenden Abholzung im Amazonas-Regenwald und der umweltfeindlichen Rhetorik von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.
Greenpeace kritisierte noch vor wenigen Wochen den vorliegenden Entwurf:
Wirtschaftsexperte Ignacio Bartesaghi aus Uruguay sagt hingegen im Gespräch mit ZDFheute: "Dies ist ein Abkommen, das aus handelswirtschaftlicher Sicht Chancen eröffnet."
Wie der Regenwald in Südamerika unter dem Klimawandel leidet, schildet Zeit-Korrespondent Thomas Fischermann.
USA und Venezuela: Festgefahrene Positionen verändern sich
Wie schnell sich politisch scheinbar festgefahrene wirtschaftspolitische Positionen durch eine neue Weltlage ändern können, zeigt derzeit ein anderes Beispiel aus der Region:
Venezuela und die USA haben nach Jahren politischer Eiszeit wieder Gespräche aufgenommen. Die USA suchen nach einem Ersatzlieferanten für Erdöl, das Washington nicht mehr aus Russland kaufen will. Schon allein die Aufnahme der Gespräche war eine diplomatische Überraschung.
Wirtschaft fordert Handelsbeziehungen
Erst im Februar rief der Bundesverband der Deutschen Industrie die Bundesregierung dazu auf, die G7-Präsidentschaft dazu zu nutzen, sich für ein Abkommen mit den Mercosur-Staaten einzusetzen.
Sowohl im Wirtschafts- und Klimaministerium als auch im durch die ehemalige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan verstärkten Auswärtigen Amt wird längst diskutiert, wie eine um die Bereiche Klimaschutz erweiterte Version des Mercosur-Abkommens aussehen könnte.
Experte: Südamerika kann wichtiger Energie-Partner werden
In Berlin und Brüssel wird mit Spannung auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Oktober in Brasilien gewartet, die Umfragen sagen derzeit eine Niederlage Bolsonaros voraus. "Krisen zwingen die betroffenen Regionen dazu, sich erstmal mit deren Bewältigung zu beschäftigen", sagt Experte Bartesaghi - der deshalb jedoch nicht an ein übereiltes Comeback der Verhandlungen glaubt.
Auf der anderen Seite wachse aber auch der Druck, sich nach neuen Partnern und Alternativen umzuschauen, so Bartesaghi. Neuen Auftrieb für Verhandlungen mit dem Mercosur sieht Wirtschaftsanalyst Carl Moses aus Buenos Aires, ein Unterstützer des Abkommens, durch die dringende Notwendigkeit, Europa unabhängig von Gas und Öl aus Russland zu machen.
"Südamerika kann ein wichtiger Partner für die zukünftige Energieversorgung Europas werden. Vor allem wenn es um grünen Wasserstoff und Ammoniak geht, der in Südamerika zu den günstigsten Kosten hergestellt werden kann. Da fällt langfristig alles ins Lot, die Deckung der Energielücke und der Klimaschutz, das alles mit einer Region, die uns Europäern besonders vertraut und verbunden ist."
- "Inflationärer Schock" an Rohstoffmärkten
Russlands Krieg führt zu Verwerfungen an den Rohstoffmärkten. Nicht nur bei Öl und Gas, auch bei Metallen. Die Folgen lassen sich schwer beziffern. Klar ist nur: Alles wird teurer.