Schwierige Gratwanderung für die Gewerkschaften: Wegen Corona und Ukraine-Krieg rufen Arbeitgeber zum Verzicht auf Lohnerhöhungen auf - die Arbeitnehmer aber drängen darauf.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann will nicht so recht in die Diskussion einsteigen um die nächste Tarifforderung seiner Organisation für die Metall-und Elektroindustrie, mit rund 3,7 Millionen Beschäftigten immerhin der Kern der deutschen Wirtschaft.
Lohnforderung schon im Juni festlegen
Viel Zeit hat der erfahrene Verhandler nicht mehr, denn die Gespräche mit Gesamtmetall beginnen zwar erst im September, doch bereits im Juni will die Gewerkschaft ihre Lohnforderung für die Beschäftigten unter anderem im Maschinen- und Fahrzeugbau festlegen.
Es bleibt nicht viel Zeit angesichts der enormen Risiken aus dem Ukraine-Krieg einschließlich eines möglichen Gas-Embargos und der tiefgreifenden Störungen in den globalen Lieferketten.
Ansprüche der Mitglieder und Erwartungen der Wirtschaft
Hofmann und seine Mitstreiter suchen nach Spielraum, denn momentan befinden sie sich in einer äußerst unangenehmen Zwickmühle: Die Mitglieder erwarten sichere Arbeitsplätze, aber auch einen Ausgleich für die galoppierende Inflation, während die Unternehmen nach Corona, Lieferengpässen und Energiekostenexplosion vor weiteren Belastungen schrill warnen.
Ein hoher Abschluss werde Arbeitsplätze kosten sowie viele kleine und mittlere Unternehmen in die Insolvenz treiben, sagte Hofmanns Tarif-Gegenüber Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, am Donnerstag beim Tarifforum der Tageszeitung "Welt".
Lohn-Preis-Spirale nicht erst in Gang setzen
Von einigen Ökonomen wie auch von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kommt die Forderung, die Gewerkschaften mögen sich doch zurückhalten, um eine Lohn-Preis-Spirale erst gar nicht in Gang zu setzen.
Dahinter steht die Theorie, dass steigende Löhne zwangsläufig zu höheren Produktpreisen führen und sich in der Folge Preise und Löhne gegenseitig hochschaukelten.
Bei steigenden Renditen der Unternehmen bestehe diese Sorge offenbar nicht, kritisiert Reinhard Bispinck, der frühere Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftlichen Boeckler-Stiftung.
Trendproduktivität nicht immer erreicht
In den Jahren seit 2000 sei in der Tarifentwicklung der verteilungsneutrale Spielraum aus Ziel-Inflation der EZB (2,0 Prozent) und Trendproduktivität keineswegs immer erreicht worden. Tarifabschlüsse oberhalb der EZB-Regel seien für dieses und das kommende Jahr daher unproblematisch.
Im April lagen in Deutschland die Verbraucherpreise vor allem wegen der galoppierenden Energiekosten um 7,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Kerninflation deutlich gestiegen
Inzwischen steigt auch die sogenannte Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel deutlich. Das ist meilenweit von den 1,7 Prozent entfernt, um die nach Berechnungen der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung die Tarifverdienste im vergangenen Jahr zugelegt haben. Schon 2021 mussten die Beschäftigten in Deutschland so Reallohnverluste verkraften, weil ihre Lohnsteigerungen hinter der Inflation zurückblieben.
Zum Tag der Arbeit am 1. Mai hatte DGB-Chef Reiner Hoffmann angesichts der hohen Preissteigerungen auf deutliche Lohnerhöhungen im laufenden Jahr gedrungen. "Ein Inflationsausgleich, eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen und eine gerechtere Verteilung bleiben die Hauptziele unserer Tarifpolitik", sagte er vergangene Woche der "Rheinischen Post".
Lohn-Ringen in der Stahlindustrie
Mit ihrer Forderung nach 8,2 Prozent mehr Geld für die rund 76.00 Beschäftigten der Stahlindustrie in Nordwest- und Ostdeutschland hat die IG Metall einen ersten Hinweis gegeben, wohin die Tarifreise 2022 gehen könnte.
- Was tun gegen immer höhere Preise?
Steigende Preise machen Verbrauchern Sorgen. Die Inflation ist im April auf einen Höchstwert gestiegen. Kann eine Mehrwertsteuersenkung helfen?
Der Arbeitgeberverband Stahl wies die im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelte Forderung der Gewerkschaft umgehend zurück. Den Unternehmen fehle es angesichts der explodierenden Rohstoff- und Energiepreise schlicht an Liquidität.
Bleiben beide Seiten hart, gibt es ab Juni Warnstreiks. Einen möglichen Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma hat die Chemie-Industrie aufgezeigt.
Vorerst Einigung auf "Krisenbrücke"
Nach nur zwei Runden einigten sich Arbeitgeber und IG BCE im April auf eine "Krisen-Brücke", mit der die Verhandlungen zunächst auf den Oktober vertagt wurden und die Beschäftigten eine Einmalzahlung von 1.400 Euro erhielten.
In der Vergangenheit haben auch IG Metall und Gesamtmetall mehrmals Krisenabschlüsse gezimmert und auf Krisen flexibel reagiert.