Die Inflationsrate ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Im kommenden Jahr wird das bei Tarifverhandlungen eine zentrale Rolle spielen. Reallöhne könnten andernfalls sinken.
It's the inflation, stupid! Diese Abwandlung eines berühmten Slogans aus dem Clinton-Wahlkampf 1992 könnte auch das Motto der Tarifverhandlungen im kommenden Jahr werden. Die könnten besonders hart ausfallen. Während die Unternehmen möglichst schnell die Corona-Einbußen aufholen und dafür entsprechende Investitionen auslösen wollen, bangen die Arbeitnehmer um ihre Kaufkraft. Denn die Verbraucherpreise steigen dank hoher Inflationsrate derzeit deutlich schneller als die Einkommen.
Teils sanken die Reallöhne deutlich
Seit Pandemiebeginn ist die sonst weitgehend stetige Entwicklung der Tarifgehälter geradezu eingebrochen. Das Statistische Bundesamt registrierte für das dritte Quartal des Jahres zwar einen Anstieg der Nominallöhne um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zeitgleich lag die Inflationsrate aber ebenfalls bei 3,9 Prozent. Die Reallöhne stagnierten also. Im ersten Quartal sanken sie sogar um zwei Prozent. Bereits 2020 waren sie zurückgegangen.
Im November 2020 hatten Waren und Dienstleistungen mit einem Plus von 5,2 Prozent die höchste Teuerungsrate seit fast 30 Jahren. Das liegt vor allem an höheren Preisen für Energie, der wieder erhöhten Mehrwertsteuer und coronabedingten Lieferengpässen.
Chemie- und Pharmabranche verhandeln ab März
Im kommenden Tarifjahr wird nach Zählung des gewerkschaftlichen WSI-Tarifarchivs nur für rund 10 Millionen Beschäftigte verhandelt, nach rund 12 Millionen im Corona-Jahr 2021. Die Gewerkschaften stehen unter Druck, für ihre Mitglieder die negativen Folgen der schleichenden Geldentwertung abzufedern.
Die Volkswirte der Commerzbank erwarten hingegen, dass die Löhne auch 2022 noch langsamer zulegen als vor der Pandemie. Auch die geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro dürfte nach ihrer Einschätzung nicht ausreichen, bereits 2022 eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen.
Erstes Schwergewicht im Tarifjahr ist die IG BCE, die ab März für rund 580.000 Beschäftigte der deutschen Chemie- und Pharmabranche streitet.
Ein genaues Verhandlungsziel hat die Gewerkschaft noch nicht benannt, man will sich noch ein paar Wochen Zeit nehmen, um die Inflationsrate zu beobachten. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kündigte bereits an, für die Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie und der Gastronomie bis zu 6,5 Prozent mehr Geld herausschlagen zu wollen.
Hoffnung auf ein Rekordjahr wie 2014
Wie anspruchsvoll das Ziel eines Entgeltplus oberhalb der Teuerung dennoch ist, zeigt ein Blick auf die historische Entwicklung der deutschen Tariflöhne: In diesem Jahrtausend lag ihre Steigerung nur 2014 ein einziges Mal oberhalb der Drei-Prozent-Marke.
Auch der höhere Mindestlohn verändert das Lohngefüge in Unternehmen und wird bei den Verhandlungen zur Sprache kommen. Im Sommer registrierte die Bundesbank bereits wieder höhere Tarifabschlüsse mit Jahressteigerungen zwischen 2,2 (Einzelhandel) und 3,4 Prozent (Bau). Auch die anstehenden Tarifverträge dürften laut Bundesbank stärkere Lohnsteigerungen als zuletzt bringen.
Mit der IG Metall wird ab September die mächtigste deutsche Gewerkschaft über die Einkommen und Arbeitsbedingungen von rund 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie verhandeln. Dabei wird es gleichzeitig auch um die Konditionen beim rasanten Umbau der Auto- und Maschinenbaubranche gehen, mit denen die Klimaziele erreicht werden sollen.
- Mindestlohn-Erhöhung käme Millionen zugute
92 Prozent der im Niedriglohnsektor arbeitenden Menschen würden vom geplanten Mindestlohn von 12 Euro profitieren. Das legen Zahlen des Statistischen Bundesamts nahe.