Im Sommer 2020 schaut die ganze Nation aufs ostwestfälische Rheda-Wiedenbrück: Mehr als 1.500 Tönnies-Beschäftigte infizieren sich mit Corona. Was hat sich seitdem getan?
Vom Metzgersohn auf die Liste der reichsten Deutschen - der Aufstieg des Clemens Tönnies war rasant. Kein anderer Konzern schlachtet in Deutschland so viele Schweine wie Tönnies.
Jahrzehntelang versorgt der Konzern Millionen Deutsche - und die halbe Welt - mit günstigem Fleisch, etwa mit Tillmann´s, Gutfried, Böklunder oder Grillmeister. Clemens Tönnies umgibt sich mit Prominenz, ist auch Aufsichtsrats-Chef des Bundesligisten Schalke 04. Erst mit der Pandemie gerät der Chef in Erklärzwang.
Vielen wird klar, was den Erfolg von Deutschlands größtem Schweineschlachter begründet: Beschäftigte aus Osteuropa, die bei Subunternehmen mit Werkverträgen beschäftigt werden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht von "organisierter Verantwortungslosigkeit". Tönnies verspricht: "Wir werden diese Branche verändern."
Nach dem Corona-Ausbruch in seinem Fleischbetrieb kündigte Unternehmer Tönnies Reformen an. Das Statement in voller Länge.
Ein Jahr später: Was hat sich seitdem getan?
6.000 Beschäftigte, die vorher mit Werkverträgen arbeiteten, hat das Unternehmen nach eigenen Angaben fest angestellt. Die Bundesregierung hat mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz Werkverträge ab 2021 in den Kernbereichen der Fleischindustrie verboten.
Die Branche einigt sich auch auf einen Tarifvertrag: mindestens 10,80 Euro die Stunde ab voraussichtlich August 2021. Die Arbeitgeber fürchteten, dass ihnen sonst die Beschäftigten davonlaufen könnten, meint etwa Szabolcs Sepsi vom gewerkschaftsnahnen Bündnis "Faire Mobilität".
Pandemie sorgt noch immer für Streit
Nordrhein-Westfalen: Die Firma Tönnies sowie deren Dienstleister wollen, dass der Steuerzahler ihnen die Lohnkosten während der Quarantäne erstattet. Doch das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vertritt die Auffassung, dass die Unternehmen ihre Obliegenheitspflichten verletzt und so Corona-Ausbrüche begünstigt hätten.
Die allermeisten Anträge wurden abgelehnt. Nun laufen vor den Verwaltungsgerichten rund 1.100 Klagen der Firma Tönnies sowie deren Dienstleister. Das Unternehmen möchte das nicht kommentieren. Dabei versucht die Tönnies-Holding gerade, ihr Image zu polieren.
verspricht Tönnies auf YouTube. "Neue Zeit. Neue Wege" heißt die Kampagne.
Gewerkschaft: Androhungen von Kündigungen und Wohnungsverlust
Tatsächlich aber hätten die Beschäftigten immer noch Angst, über ihre Arbeitsverhältnisse offen zu reden, erklärt ein Mann vor den Werkstoren des Stammwerks, der nicht erkannt werden will. Thomas Bernhard von der Gewerkschaft NGG berichtet, den Beschäftigten würde "mit Androhungen von Kündigungen, Wohnungsverlust und sonstigen Spielereien" Angst gemacht, in die Gewerkschaft einzutreten. Das Unternehmen Tönnies teilt mit: Ein Verhalten, das Beschäftigten Angst macht, " ... wird von uns nicht akzeptiert oder geduldet."
Und die Wohnungen, die in teils erschreckendem Zustand waren? Tönnies verspricht, ein "neues Zuhause" zu vermitteln. Für über 4.000 Beschäftigte habe man schon Wohnraum in über 800 Wohnungen geschaffen, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit. Diese würden nach und nach renoviert.
Die katastrophalen Arbeitsbedingungen in deutschen Fleischfirmen sorgen nicht nur für Aufregung, sondern veranlassen nun Gastarbeiter zur Flucht.
Zustände in Tönnies-Unterkünften teils noch immer schlecht
Recherchen vor Ort offenbaren immer noch teils unhaltbare Zustände: Eine eingetretene Tür, eine defekte Toilettenspülung, fehlende Kacheln und Tapeten - auch für heruntergekommene Wohnungen wird Beschäftigten rund 200 Euro pro Monat vom Lohn abgezogen - pro Person.
Auf Nachfrage teilt das Unternehmen Tönnies mit: "Haben wir Kenntnis darüber, dass Wohnungen nicht akzeptabel sind, werden diese entmietet und den Mietern anderer Wohnraum angeboten."
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Kritik flacht nicht ab
Die Bundesregierung will die gesetzlichen Regeln für Sammelunterkünfte noch in diesem Jahr verschärfen, so der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Björn Böhning: "Das ist ein wichtiger Schritt, weil es nicht nur die Fleischindustrie betrifft, sondern auch die Landwirtschaft und andere Bereiche, wo viele Kolonnen arbeiten.
Was meinen Schalke 04-Fans? Im Corona-Sommer holte Clemens Tönnies eine rassistische Bemerkung aus der Vergangenheit ein. Er tritt vom Aufsichtsratsvorsitz zurück. Kritische Schalke-Fans wie Christian Sieber sagen, sie spüren die Folgen bis heute: "Das wird uns auch nachhaltig noch ganz lange verfolgen, das Image eines Rassistenclubs zu haben - und das ist für mich ganz schwer zu akzeptieren."
- Corona bei Tönnies: Was hat sich getan?
Vor einem Jahr kam es im Schlachtbetrieb Tönnies zu einem verheerenden Corona-Ausbruch. Der Betrieb schloss zeitweise, Arbeitsbedingungen wurden offenbar. Was hat sich getan?