Die Inflation in der Türkei steigt immer weiter - nun auf den höchsten offiziellen Wert seit 1998. Ökonomen stellen die Zahlen infrage und gehen von wesentlich höheren Raten aus.
Die Inflation in der Türkei steigt weiter. Im Juni erhöhten sich die Lebenshaltungskosten gegenüber dem Vorjahresmonat auf 78,62 Prozent, wie das nationale Statistikamt am heutigen Montag in Ankara mitteilte. Im Vormonat hatte die Teuerungsrate rund 74 Prozent betragen.
Opposition: Zahlen sind viel höher
- Die Transportkosten - zu denen etwa Benzin gerechnet wird - erhöhten sich im vergangenen Monat um 123,37 Prozent.
- Lebensmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich um 93,93 Prozent.
- Auch die Herstellerkosten stiegen weiter: Auf Jahressicht erhöhten sich die Preise, die Produzenten für ihre Güter erhalten, laut Statistikamt im Juni um rund 138 Prozent. Im Vergleich zum Vormonat ist das ein Anstieg von rund 6,8 Prozent.
- Die Erzeugerpreise fließen in der Regel zeitverzögert und teilweise in die Verbraucherpreise mit ein.
Die Opposition wirft der Regierung vor, die Inflationszahlen zu schönen und geht von einer deutlich höheren Rate aus. Die in Istanbul ansässige Inflations-Forschungsgruppe Enag bezifferte die Teuerung für Juni im Jahresvergleich sogar auf 175,55 Prozent.
Wegen der extrem hohen Inflation bleiben viele Kunden aus, kleinere Textilhersteller und Boutiquen können die gestiegenen Energiepreise nicht mehr zahlen.
Schwache Landeswährung, teure Rohstoffe
Die Inflationsrate in der Türkei wird durch mehrere Faktoren getrieben. Seit längerem sorgt die schwache Landeswährung Lira für erheblichen Preisauftrieb, da in die Türkei importierte Güter dadurch verteuert werden. Auch steigen die Preise vieler Rohstoffe, nicht zuletzt wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Die türkische Notenbank stemmt sich nach Meinung vieler Ökonomen zudem nicht entschlossen genug gegen die hohe Teuerung. Vielmehr haben die Währungshüter ihre Geldpolitik seit vergangenem Sommer gelockert.
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Erdogan will mit niedrigen Zinsen Konjunktur anschieben
Nach gängiger ökonomischer Lehre kann eine Erhöhung der Zinsen der Inflation entgegenwirken. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan argumentiert hingegen, dass hohe Zinsen Inflation verursachen. Die Notenbank folgt Erdogans Linie und verzichtet bislang auf Zinserhöhungen. Sie hält den Leitzins seit Januar bei 14 Prozent.
Das hat allerdings erhebliche Nebenwirkungen, weil die Lira dadurch für Anleger unattraktiver wird und sich durch den Kursverfall die Importe verteuern. Die Lira verlor 2021 um 44 Prozent gegenüber dem Dollar und ist in diesem Jahr bereits um 21 Prozent gefallen.