Jobturbo für Ukrainer: "Goldrichtig" oder "Lohn-Dumping"?
Arbeitsvermittlung von Ukrainern:Jobturbo - "Goldrichtig" oder "Lohn-Dumping"?
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Die Bundesregierung wollte mit dem Jobturbo Ukrainer schneller und gezielter in Arbeit bringen. Der Erfolg des Programms sei mäßig bis fragwürdig, sagen Kritiker. Eine Bilanz.
Jobberatung für ukrainische Geflüchtete (Archivbild).
Quelle: imago
Olena K. aus Charkiw im Osten der Ukraine hat in München geschafft, was noch eher selten gelingt: Sie arbeitet seit Juli 2023 als Apothekenassistentin in der Nymphenburger Apotheke, wie das Jobcenter München berichtet.
Die junge Frau kam zu der Stelle über eine Kooperation zwischen der Apothekenkammer und dem Jobcenter. Das schickte die Bewerbungsunterlagen der in der Ukraine ausgebildeten Apothekerin an verschiedene Apotheken - mit Erfolg.
In Deutschland sind weit weniger ukrainische Flüchtlinge in die Arbeitswelt integriert als in den Niederlanden. Dabei würden viele von ihnen gern arbeiten.02.11.2023 | 2:44 min
Etwa ein Drittel der Ukrainer erst in Arbeit
Der "Jobturbo", durch den die Ukrainerin ihre Anstellung fand, setzt auf schnelle Beschäftigung, ohne erst vertiefte Sprachkenntnisse zu erwerben:
Im Januar 2024 hatten hierzulande rund 172.000 ukrainische Staatsbürger einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz.
Weitere rund 44.000 Personen gingen einer geringfügigen Beschäftigung nach.
Insgesamt sind 1,2 Millionen Flüchtlinge aus dem von Russland überfallenen Land in Deutschland, von denen aber nur rund die Hälfte eine Arbeit aufnehmen könnte. Denn viele befinden sich noch in Sprachkursen oder sind Eltern mit kleinen Kindern, die betreut werden müssen.
Prinzipiell ist die Arbeitsaufnahme für ukrainische Geflüchtete mit Schutzstatus sofort möglich. Doch davor stünden einige bürokratische Hürden, schreibt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhard in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Daraus folgten "Verzögerungen und Orientierungsschwierigkeiten".
Beschäftigung überwiegend im Niedriglohnsektor
Ein Problem: die langwierigen Anerkennungen von Berufsabschlüssen in den "reglementierten" Berufen, die nur mit nachgewiesener Qualifikation ausgeübt werden dürfen. Wartezeiten bis zu anderthalb Jahren seien dafür nicht ungewöhnlich. Beschäftigt sind Ukrainer daher oft im Niedriglohnsektor.
Die Flüchtlingshelferin Christine Domek-Rußwurm hilft ehrenamtlich Geflüchteten bei der Jobsuche. Diese Hilfe wird dringender gebraucht denn je. Aber das Engagement lässt nach.18.04.2024 | 2:39 min
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, Wilfried Hüntelmann, hält die Grundidee des Jobturbo der Bundesagentur für Arbeit (BA) für "goldrichtig":
Kritik: Fachfremde Berufe und Praktika für Geflüchtete
Das sieht die Arbeiterwohlfahrt (AWO) völlig anders: Der Jobturbo sei ein "Programm für Lohn-Dumping". Hoch qualifizierte Menschen würden in fachfremde oder niedrig-qualifizierte Tätigkeiten vermittelt, sagt Sprecherin Jennifer Rotter.
Der Jobturbo gebe den Unternehmen die Legitimation, Praktika zu vermitteln, "die weder auf eine qualifizierte Tätigkeit hinzielen noch entsprechend vergütet werden müssen".
Dem widerspricht Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) auf Anfrage des epd: "Der Jobturbo setzt an genau der richtigen Stelle an, weil die Erwerbsintegration durch eine gezielte Vermittlung und passgenaue Nachqualifizierung der zugewanderten Erwerbspersonen am besten gestärkt werden kann".
Nach 18 Monaten in Deutschland hat sich die Lebenssituation ukrainischer Flüchtlinge verbessert. So das Ergebnis einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.13.12.2023 | 2:03 min
Denn auch die Jobcenter seien von Fachkräfteengpässen betroffen und könnten nur schwer optimale Unterstützungsinfrastrukturen realisieren.
Mehr als 70 Prozent der Ukrainerinnen haben Hochschulabschluss
Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, sagte dem epd, beim Jobturbo "stimmt die Richtung, auch weil Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und Jobcenter enger zusammenarbeiten."
Dennoch blieben viele Herausforderungen, denn neben der zu langsamen Anerkennung von beruflichen Qualifikationen fehlte es auch an Kita-Plätzen, und die Wohnraumknappheit sei belastend, so Dercks.
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Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova beklagt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) die paradoxe Lage am deutschen Arbeitsmarkt: Ohne sehr gute Deutschkenntnisse sei man oft auf niedrig qualifizierte Tätigkeiten wie Reinigungsarbeiten beschränkt, obwohl "über 70 Prozent der geflüchteten Frauen einen Hochschulabschluss haben." Die Wirtschaft könne definitiv mehr tun.
Bei der Integration der Ukrainer brauche es einen langen Atem, so Kosyakova, aber anders komme man in die Berufe, für die Qualifikationen nachgewiesen werden müssen, nicht hinein - und dort auch nicht voran.
"Wir schaffen das", sagte Angela Merkel einst. Haben sie es geschafft? Hat Deutschland es geschafft? Was ist aus den Geflüchtete geworden, die nach Deutschland gekommen sind?