Während andere Länder auf kürzere Arbeitszeiten setzen, wird hier über längere diskutiert. Ein Experte erklärt, warum die Vier-Tage-Woche helfen könnte und wo Vorsicht geboten ist.
In der Arbeitswelt wird zwischen Personalmangel und Inflation nach neuen Lösungen gesucht. Erst kürzlich entbrannte in Deutschland wieder die Diskussion um die 42-Stunden-Woche. So sprach sich etwa Industrie-Präsident Siegfried Russwurm für längere Wochenarbeitszeiten als Mittel gegen den zunehmenden Mangel an Arbeitskräften aus.
Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hält ebenfalls eine längere Wochenarbeitszeit für geboten. Er verteidigt Russwurm in der "Bild am Sonntag" und fragt: "Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?"
Andere Länder verkürzen Arbeitszeiten
In den vergangenen Jahren gab es aber immer wieder Diskussionen um mehr Work-Life-Balance und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Bereits 2015 sorgte etwa Island für Aufsehen, als das Land erstmals den Effekt einer reduzierten Arbeitszeit bei gleichem Gehalt untersuchte.
Das Ergebnis: Arbeitnehmende fühlten sich wohler und tatsächlich soll die Produktivität mitunter gestiegen sein.
Vier-Tage-Woche im Test
Beschlossene Sache ist die Vier-Tage-Woche bei gleicher Arbeitszeit seit Anfang des Jahres in Belgien. Dort können Arbeitnehmende ihre Wochenarbeitszeit auf vier oder fünf Tage flexibel aufteilen. Die Gesamtarbeitszeit ändert sich nicht.
Weitere Länder, etwa Spanien und Großbritannien, testen ebenfalls solche Modelle. Auch in Deutschland findet ab 1. September in einem niedersächsischen Produktionsbetrieb ein erster bundesweiter Pilottarifversuch für eine Viereinhalb-Tage-Woche statt.
- Drei Modelle für mehr Work-Life-Balance
Vollzeitangestellte verbringen durchschnittlich mehr als 40 Stunden pro Woche mit Arbeit. Muss das sein? Drei Modelle, die die Work-Life-Balance verbessern sollen.
Fachkräfte durch Vier-Tage-Woche gewinnen
Tatsächlich könnte eine Vier-Tage-Woche auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, erklärt Arbeitsmarktexperte Alexander Spermann im Gespräch mit ZDFheute. Denn qualifiziertes Personal sei häufig verfügbar, "grundsätzlich aber nicht bereit, zu den gegebenen Arbeitsbedingungen zu arbeiten".
Unter Umständen könnten Fachkräfte mit einem Vollzeiteinkommen bei vier Tagen Arbeit pro Woche gewonnen werden. Darin liege das eigentliche Potenzial der Vier-Tage-Woche.
Auch für diejenigen, die jetzt in Teilzeit arbeiten und gerne aufstocken würden, das aber nicht bei einer Fünf-Tage-Woche tun, werde Vollzeit interessanter. Die Vier-Tage-Woche als Vollzeitmodell biete eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie.
In der Schreinerei von Matthias Stader gilt die Vier-Tage-Woche. Nicht nur der Geschäftsführer, auch die Mitarbeitenden sind vom Modell überzeugt.
Arbeitsverdichtung und Stress als mögliche Folgen
Ein klarer Nachteil des Modells liege in der Arbeitsverdichtung, die mit der Vier-Tage-Woche verbunden sein könne, gibt Spermann zu bedenken. Denn vier Tage arbeiten bedeute, dass derselbe Umsatz für das Unternehmen erzielt werden müsse wie bei einer Arbeitswoche mit fünf Tagen.
Das wiederum führe zu erhöhtem Stress, der jetzt schon ein großes Thema auch auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland darstelle. Das dürfe nicht unterschätzt werden.
Flexibilität zur Stressreduzierung gefragt
Die Arbeitsorganisation müsse deshalb so aufgestellt werden, dass der Stress nicht noch zunehme, etwa durch einen flexiblen Arbeitsort und eine flexiblen Arbeitswoche.
Zudem müsse man sich von der "reinen Vier-Tage-Betrachtung" loslösen und beispielweise über eine Verteilung der 16 Arbeitstage im Monat nachdenken - oder sogar eine Jahreszeit- oder Lebenszeit-Betrachtung einführen, sagt Spermann.
In Deutschland fehlen in vielen Branchen Arbeitskräfte, mit gravierenden Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung.
Denn Menschen würden je nach Lebensphase mal mehr, mal weniger arbeiten wollen:
Deshalb sei es auch wichtig, dass das Vier-Tage-Modell ein Angebot darstelle und nicht grundsätzlich für alle gelte.
42-Stunden-Modell "aus der Zeit gefallen"
Das 42-Stunden-Modell ist laut Spermann "aus der Zeit gefallen" und gehe "gedanklich in die falsche Richtung", auch mit Blick auf den Fachkräftemangel.
Es gehe nicht darum, "mit den Konzepten des letzten Jahrhunderts" diesen Mangel zu bekämpfen.