Ein einzigartiger Fall in der deutschen Kriminalgeschichte: Noch nie stand die Chefetage eines ehemaligen Dax-Konzerns im Verdacht, eine kriminelle Bande gewesen zu sein.
Markus Braun, einst Chef von Wirecard, steht mit zwei ehemaligen Managern vor Gericht; unter anderem wegen bandenmäßigen, gewerbsmäßigen Betrugs und Marktmanipulation.
Der Strafprozess gegen den ehemaligen Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und gegen zwei weitere Funktionäre hat begonnen.
Vorwurf: Mit frisierten Zahlen Kurs in die Höhe getrieben
Zweieinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite wird nun vor dem Landgericht München I der mutmaßlich größte Betrugsfall der Nachkriegszeit verhandelt. Der Vorsitzende Richter Markus Födisch eröffnete den Prozess mit einer Dreiviertelstunde Verspätung, der Zuschauer- und Medienandrang war groß.
Braun habe sich mit anderen Spitzenmanagern zu einer "Bande" zusammengeschlossen, um das Bild einer erfolgreichen Firma vorzutäuschen, sagte Staatsanwalt Matthias Bühring zum Prozessauftakt vor dem Landgericht München. In Wirklichkeit habe Wirecard Verluste geschrieben und Kredite gebraucht, "um den Kollaps des Unternehmens zu verhindern". Mit den frisierten Geschäftszahlen sollte zudem der Kurs der Wirecard-Aktie in die Höhe getrieben werden.
Die Staatsanwaltschaft wirft Braun vor, mit seinen Komplizen in der Chefetage des mittlerweile abgewickelten Dax-Konzerns Bilanzen gefälscht und die Kreditgeber um 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben - das wäre der größte Betrugsschaden in Deutschland seit 1945. Noch nie war die Chefetage eines ehemaligen Dax-Konzerns beschuldigt, als organisierte Betrügerbande agiert zu haben.
Das Landgericht München verhandelt ab heute über den größten Wirtschaftsskandal Deutschlands. Ex-Firmenchef Braun werden Scheingeschäfte in Milliardenhöhe vorgeworfen.
Markus Braun ist nicht der einzige Angeklagte
Mit Braun angeklagt sind der ehemalige Chefbuchhalter des Konzerns und Oliver Bellenhaus, ehemaliger Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft in Dubai. Aber die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die "Wirecard-Bande" wesentlich größer war: Beteiligt waren laut Anklage ein vor dem Kollaps des Konzerns ausgeschiedener früherer Finanzvorstand, der seit 2020 untergetauchte Vertriebsvorstand Jan Marsalek sowie mehrere Mittäter im Ausland, wie Oberstaatsanwalt Matthias Bühring sagte.
Eine Chronologie des Wirecard-Skandals:
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Markus Braun sieht sich selbst als Opfer
Im Prozess wird Aussage gegen Aussage stehen: Braun bestreitet die Vorwürfe und sieht sich selbst als Opfer krimineller Machenschaften. Widerpart des Ex-Vorstandschefs und Kronzeuge für die Anklage ist der frühere Dubai-Geschäftsführer Bellenhaus.
Wie lässt sich die Geschichte des gescheiterten Finanzkonzerns zusammenfassen? Börsenexpertin Valerie Haller berichtet.
Zur Eröffnung des Verfahrens bestätigte der 53 Jahre alte Braun lediglich seine Personalien. "Absolut richtig", antwortete der seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Manager auf die Frage, ob er in Bayerns größtem Gefängnis untergebracht sei. Zu den Vorwürfen aussagen soll Braun kommende Woche.
Über das Dubaier Tochterunternehmen Cardsystems Middle East verbuchte die "Wirecard-Bande" laut Anklage erfundene "Drittpartner"-Umsätze in Milliardenhöhe. Diese Drittpartner waren Firmen, die im Wirecard-Auftrag Zahlungen abwickelten. Vor der Pleite im Sommer 2020 hatte das Unternehmen mutmaßliche Scheinbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, das Geld ist bis heute unauffindbar.
Das Problem sei, „dass unsere Behörden nicht so aufgestellt sind, wie sie sein müssten, z.B. bei der Bekämpfung von Geldwäsche“, so Finanzexperte Fabio De Masi.
Kronzeuge Bellenhaus spielt wichtige Rolle im Prozess
Kronzeuge Bellenhaus will in vollem Umfang kooperieren: "Er wird seine Schuld eingestehen", sagte vor Verhandlungsbeginn Florian Eder, einer von Bellenhaus' Verteidigern.
Im Gegenzug für Bellenhaus' Kronzeugenrolle erhoffen sich die Verteidiger die Entlassung aus der Untersuchungshaft und im Urteil einen "sehr deutlichen Strafnachlass" für ihren Mandanten.
Der Wirecard-Skandal rückt die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen in den Fokus. Mit ihren Abschlussprüfungen sollen sie Vertrauen in die Unternehmen schaffen. Trügt der Schein?
Verlesung der Anklage dauert Stunden
Markus Braun wiederum hatte seinen ehemaligen Untergebenen bereits vor Prozessbeginn krimineller Machenschaften beschuldigt. Nach Brauns Darstellung existierten die seit 2020 vermissten Milliarden, wurden aber unter Beteiligung von Bellenhaus veruntreut. "Wenn derartige Angriffe kommen, sind das schlichtweg Nebelkerzen", sagte der Anwalt von Bellenhaus dazu.
Allein die Verlesung des 89-seitigen Anklagesatzes in dem unterirdischen Hochsicherheitstrakt neben dem Gefängnis sollte am ersten Verhandlungstag geschätzt fünf Stunden dauern. Das Urteil ist nach derzeitigem Stand Anfang 2024 zu erwarten.