Energie-Experten und Wirtschaftsvertreter warnen vor den Folgen eines Gas-Lieferstopps als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. Sie schlagen hohe Zölle als Alternativen vor.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird in Europa heftig darüber diskutiert, Energie-Lieferungen aus Russland zu stoppen. Viele Ökonomen schlagen stattdessen vor, Zölle auf russische Energie einzuführen, um weiter Druck auf Russland auszuüben.
Professor Jens Südekum, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, rät unbedingt zu Alternativen für ein komplettes Gas-Embargo.
"Die deutsche Industrie steht ohnehin unter extremem Transformationsdruck. Aber die Nonchalance, mit der einige hier das in eine völlige Disruption steigern wollen - in der guten Hoffnung, ein Gas-Embargo ließe sich schon managen und werde Putin stoppen - ist schon bemerkenswert."
Autobauer warnen vor einem Ende der Gaslieferungen
In der deutschen Wirtschaft ist die Sorge um die Gasversorgung groß. Arbeitnehmervertreter der deutschen Automobilindustrie warnen heute: "Wenn die Gaslieferungen aus Russland von jetzt auf gleich ausbleiben, dann wird die Industrie in Deutschland nach und nach zum Erliegen kommen."
"Ein Runterfahren von Maschinenbauern, Chemiebranche und Stahlherstellern würde auch die deutsche Autoindustrie massiv treffen", sagte die IG-Metall- Bezirksleiterin für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Birgit Dietze.
Zu einem Gas-Embargo sagte der Eisenhüttenstadter Betriebsratsvorsitzende des Stahlproduzenten ArcelorMittal, Dirk Vogler: "Wenn man helfen will, darf man sich nicht Arme und Beine zusammenbinden."
Importzoll statt Importstopp?
Jens Südekum hält einen Importzoll auf russisches Gas für "ein ökonomisch überzeugendes Instrument, weil es gradueller wirkt als ein komplettes Embargo". Nur sei auch dieser Schritt riskant, sagte er dem ZDF:
"Denn die Frage ist nämlich, wie Putin auf die Einführung eines solchen Zolls reagieren wird. Wird er gemäß der Theorie kompetitiver Märkte handeln, die Menge graduell zurückfahren und gleichzeitig notgedrungen auf einen Teil seiner Profitmarge verzichten? Oder wird er machtpolitisch reagieren und den Zoll als Vorwand nutzen, um den Gashahn komplett zuzudrehen - was wir zumindest derzeit ja noch nicht wollen? Diese Frage muss sorgfältig erwogen werden."
Der Zoll macht das Gas künstlich teurer - für alle
Möglicherweise würde ein Zoll die Einnahmen Russlands verringern und gleichzeitig den Schaden für die europäische Wirtschaft eindämmen. Da Russland sein Öl und Gas größtenteils nur nach Europa verkaufen kann, wären Firmen wie Gazprom dazu gezwungen, einen solchen Zoll zu zahlen.
Der Zoll verteuerte Gas und Öl aus Russland, was wiederum den Absatz und damit die Gewinne des kriegführenden Staates verringern würde.
Ist LNG eine Alternative zum russischem Erdgas? Das Grafikvideo zeigt, woher unser Erdgas eigentlich kommt. Es erklärt, was LNG ist und zeichnet den Weg von der Förderung bis zur Einspeisung.
Kurzfristig könnten die Energiepreise in Deutschland steigen
Kurzfristig dürfte ein Importzoll die Energiepreise hierzulande erhöhen. Denn die höheren Importpreise könnten an die Abnehmer weitergegeben werden. Mittel- bis langfristig würde sich wohl das Gleichgewicht von LNG und Pipeline-Gas verschieben. Momentan ist das per Schiff aus den USA importierte Flüssiggas noch deutlich teurer als das aus russischen Pipelines.
Mit einem hohen Zoll auf Gas aus Russland würde LNG wettbewerbsfähiger. Dabei ist zu beachten, dass die LNG-Infrastruktur in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Der Ausbau von speziellen Terminals könnte noch Monate und Jahre dauern. Die Gaspreise blieben wohl längere Zeit hoch.
Importzölle könnten schnell eingeführt werden
Ein Vorteil von Importzöllen wäre, argumentieren Ökonomen, dass die Politik sie über Nacht umsetzen könnte. Grundsätzlich würde ein derartiger Zoll gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstoßen. Doch die EU könnte sich auf eine im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens enthaltene Ausnahme zur nationalen Sicherheit berufen.
Das Geld aus möglichen Import-Zöllen könne genutzt werden, um die hohen Energiepreise für Verbraucher abzufedern oder den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.
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