DAK-Studie: Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen wächst
DAK-Studie zur Online-Nutzung :Wie Jugendliche in die Mediensucht geraten
von Sven Rieken
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Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren verbringen fast vier Stunden täglich mit Gaming und Social Media. Die neue DAK-Studie sieht dringenden Handlungsbedarf.
Digitale Medien haben ein enormes Suchtpotential. Eine neue Studie zeigt: ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen weisen ein riskantes oder krankhaftes Verhalten auf.12.03.2025 | 1:39 min
Der 15-Jährige - nennen wir ihn Justus - zieht seinen Kapuzenpulli tiefer ins Gesicht. Er sitzt in einem Therapieraum des Suchtzentrums am Hamburger Uni-Klinikum.
"Irgendwann", erzählt der Junge, dessen Namen wir geändert haben, "habe ich komplett die Kontrolle verloren." Er hat gezockt bis früh in den Morgen, bis nachmittags geschlafen. Die Schule hat Justus irgendwann links liegen gelassen.
Ich wollte mich in den Spielen in den Rängen verbessern, immer weiter aufsteigen.
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Justus, mediensüchtig
Laura ist abhängig von Instagram, Tik-Tok und WhatsApp. Ihr Leben spielt sich fast nur noch in der virtuellen Welt ab. Um ihre Sucht zu behandeln, geht sie in die Spezialklinik Can Ros.14.10.2024 | 43:27 min
Jugendpsychiater: Eltern brauchen mehr Medienkompetenz
Nach mehr als einem halben Jahr schlugen seine Lehrer Alarm und sprachen mit der alleinerziehenden Mutter. Die wusste nicht weiter - auch sie brauchte Hilfe. Professor Rainer Thomasius, Leiter des Suchtbereiches am Hamburger Uniklinikum, kennt diese Mechanismen nur zu gut.
25 bis 40 Prozent der Eltern in Deutschland sind mit dieser Aufgabe überfordert.
Laut Weltgesundheitsorganisation zeigt jeder zehnte Jugendliche Anzeichen einer suchtartigen Nutzung sozialer Medien. Sie warnt vor zunehmender Internet-Nutzung.05.10.2024 | 1:38 min
Der Jugendpsychiater fordert, dass Eltern sich selbst viel mehr Medienkompetenz aneignen. "Eines der Hauptprobleme", so Thomasius im Gespräch mit ZDFheute, "ist auch, dass wir Eltern selbst gerne Medien nutzen." Deshalb erkennen Erwachsene die Problematik meist nicht oder erst zu spät.
Es handelt sich um eine Suchtstörung, ganz ohne Zweifel.
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Rainer Thomasius, Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters
Online-Sucht vergleichbar mit Drogen wie Alkohol
Unterschiede zwischen der Droge Social-Media, Gaming und Alkohol oder Cannabis macht Rainer Thomasius nicht mehr. Dafür ist der Grad der Abhängigkeit zu groß. Die neueste Studie, die das Uniklinikum gemeinsam mit der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) durchgeführt hat, bestätigt das.
Woher wissen Social-Media-Plattformen, was uns interessiert und was nicht? PUR+ zeigt euch die Tricks der Social-Media-Apps und wie sie uns beeinflussen können.07.02.2025 | 23:41 min
105 Minuten gamen Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren im Schnitt an Wochentagen, an schulfreien Tagen sogar 171 Minuten. Social Media zieht die Kids noch mehr in die Online-Welt: 157 Minuten unter der Woche, 227 an schulfreien Tagen - das sind fast vier Stunden täglich.
Mediensucht bei Kids führt zu Stress, Depressionen, Einsamkeit
"Damit erreichen die Werte die Zeit aus der Corona-Krise", erläutert Dr. Kerstin Paschke, Mitautorin der Studie. Auffällig ist aus ihrer Sicht, dass inzwischen 90 Prozent aller Jungen und 94 Prozent aller Mädchen der Altersgruppe zehn bis 17 Jahre regelmäßig Social Media Inhalte nutzen.
Millionen Kinder spielen täglich auf Roblox. Doch Kritiker bemängeln: Die Plattform biete nicht genügend Schutz für junge Nutzer. 05.02.2025 | 28:17 min
"Das ist neu", so Kerstin Paschke. Die Auswirkungen seien nach Ansicht der Psychologin bei den jüngeren Nutzern Stress, Depressionen und mehr Einsamkeit.
Die Studie hat deshalb auch die Eltern mit einbezogen. Gerade in der besonders beeinflussbaren Altersgruppe von zehn bis zwölf Jahren zeigte sich dabei, dass jedes fünfte Kind überhaupt keine zeitlichen Vorgaben in der Nutzung bekommt und auch inhaltlich nicht begleitet wird.
DAK-Vorstand: "Wir brauchen das Schulfach Gesundheit"
Bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) sind sich die Experten daher sicher, dass es verbindliche Hilfe für Kinder in dieser Entwicklungszeit braucht. DAK-Vorstand Andreas Storm erläutert im ZDFheute-Interview:
Ein reines Handyverbot würde viel zu kurz greifen. Wir brauchen eine ganzheitliche Lösung, insbesondere ein Schulfach Gesundheit.
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Andreas Storm, DAK-Vorstand
Fake News erkennen und politische Inhalte einordnen können - dafür braucht es Medienbildung. Ein Mainzer Gymnasium zeigt, wie man Jugendliche über Mediennutzung aufklären kann.27.09.2024 | 2:38 min
Und dabei müsse der richtige Umgang mit digitalen Medien, also die psychische Gesundheit und der Umgang mit den Gefährdungen, denen die Jugendlichen täglich ausgesetzt seien, erlernt werden, ist für Storm klar. Mit dieser Forderung wendet sich nicht nur die DAK, sondern wenden sich auch Deutschlands Jugendpsychologen an die Politik.
"Phubbing" verändert soziale Interaktionen
Wie dringend nötig der richtige und dosierte Umgang mit sozialen Netzwerken ist zeigt ein von Psychologen als "Phubbing" bezeichnetes Phänomen. Gemeint ist damit, dass immer häufiger in Gesprächen von Angesicht zu Angesicht, das Smartphone mit von der Partie ist und Aufmerksamkeit bindet. Das bringt soziale Bindungen ins Wanken und hinterlässt ein Gefühl von Nicht-Beachtung.
Ein Drittel der von uns Befragten kennen das Phänomen, dass sie ignoriert werden.
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Kerstin Paschke, Mitautorin DAK-Studie
Social Media sind gut für den Austausch in einer Gesellschaft, haben aber auch ihre Schattenseiten. Schüler brauchen deshalb Medienkompetenz, sagt Eva Berendsen.11.02.2025 | 5:46 min
Man merke also, dass die Sucht nach Medien auch in solchen Situationen soziale Interaktionen verändere, fügt die Psychologin hinzu. Auch die zukünftige Leiterin der Suchthilfe am UKE fordert deshalb frühzeitig Aufklärung, am besten schon im Kindergartenalter.
Weg aus der Online-Sucht: Nur mit Hilfe möglich
Justus, der Online-Gaming-abhängige 15-Jährige hatte Glück in der Sucht: seine Lehrer und seine Mutter haben einen Therapieplatz für ihn gefunden. Zwei Monate ist er jetzt jeden Tag im Uniklinikum, redet viel mit Gleichgesinnten und entwöhnt sich von seinem Spieledrang.
"Teilweise hat es bei mir schon Klick gemacht", erzählt er im ZDFheute-Gespräch. Jetzt wolle er wieder Fuß fassen in der Schule und seinen mittleren Schulabschluss nachmachen. Ohne Hilfe hätte er das nicht geschafft.
Für die anderen in seiner Altersgruppe wünscht er sich, dass Eltern ein gesundes Maß vorgeben und sich viel mehr für das interessieren, was ihre Kinder hinter der verschlossenen Tür online machen.
Sven Rieken ist Korrespondent im ZDF-Studio Hamburg.
Quelle: dpa
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