Populismus und Angst vor Kontrollverlust | Terra-X-Kolumne
Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:Populisten und die Angst vor Kontrollverlust
von Eric Mayer
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Wenn das Gefühl von Kontrollverlust einsetzt, scheinen wir oft empfänglich für einfache Antworten. Was steckt aus psychologischer Sicht dahinter, und wie können wir damit umgehen?
Es kann uns abrupt überkommen, wenn extreme Ereignisse wie Krankheit oder Tod unser Leben aus der Bahn werfen. Oder schleichend, wenn uns der ständige Nachrichtenstrom über Krisen, Kriege und politische Unsicherheiten unter die Haut und in den Kopf kriecht: das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben. Es setzt sich fest, macht Angst, verunsichert. Ohnmächtig fragen wir uns: Wieviel Kontrolle über die Welt, in der ich lebe, habe ich eigentlich noch?
Stephan Grünewald, Psychologe und Mitbegründer des rheingold Instituts, beschreibt das Gefühl von Kontrollverlust als "den größtmöglichen Störfall", bei dem wir uns "unendlich klein und bodenlos fühlen."
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Kontrollverlust stärkt populistische Bewegungen
Was Kontrollverlust mit uns macht und zu was er uns bringen kann, darum geht es in einer Terra-Xplore-Folge, für die ich Marco Schild getroffen habe. "Ich hatte das Gefühl, dass ich keinen Einfluss auf die Prozesse habe", sagt er. Inmitten der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 fühlte sich Marco überfordert, sah die Bilder, hörte die Zahlen, und auf einmal schien für ihn das ganze Land außer Kontrolle zu geraten.
Diese Ohnmacht trieb ihn dazu, sich einer Partei zuzuwenden, die Antworten versprach: die AfD. Marcos Geschichte zeigt, wie eng das Gefühl von Kontrollverlust mit dem Erfolg populistischer Bewegungen zusammenhängt.
Krieg, Messerangriffe, Pandemie, Klimawandel, Inflation: Gefühlte Dauerkrisen machen Angst . Wie können wir lernen, damit umzugehen? Gibt es eine wissenschaftliche Antwort darauf?02.09.2024 | 26:50 min
Wir wollen eindeutige Antworten - und zwar schnell
Wir alle kennen das Bedürfnis nach klaren und schnellen Einordnungen, um komplizierte und vielleicht beängstigende Situationen und Prozesse für uns abschließen zu können. "Need for Cognitive Closure" nennt das die Psychologie. Doch die Welt bietet auf komplexe Situationen selten einfache Lösungen und Antworten - was allerdings nichts daran ändert, dass wir diese gerne hätten.
Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Karsten Fischer erläutert, wie Populisten das gezielt ausnutzen. Sie bieten verführerisch einfache Lösungen an, indem sie etwa den Klimawandel leugnen oder behaupten, Migration sei die Wurzel aller Probleme. Der Dreiklang von "Leugnen, Lügen und Lähmen" sei ein Kernmerkmal des autoritären Populismus, der keine wirklichen Lösungen schaffe, sondern das Gefühl von Ohnmacht letztendlich noch verstärke, so Fischer.
Ein lautes Geräusch etwa leitet der Thalamus an die Hirnregion weiter, die für die Einschätzung von Gefahr zuständig ist. Sie leitet die körperlichen Angstreaktionen ein.07.03.2022 | 0:31 min
Doomscrolling befeuert das limbische System
Das endlose Konsumieren negativer Nachrichten - auch Doomscrolling genannt - kann das weiter befeuern. Wenn wir uns ständig von beängstigenden Schlagzeilen umgeben sehen, reagiert unser Gehirn instinktiv, indem es auf das limbische System zurückgreift.
Die Amygdala wird dabei aktiviert, versetzt uns in Alarmbereitschaft und erzeugt ein Gefühl von Panik. Jahrtausende lang schützte uns diese Reaktion vor Gefahren in der Natur, heute löst sie jedoch Ängste aus, die uns lähmen und uns anfällig für simple und auch falsche Versprechungen machen.
Sie täuschen, manipulieren und fälschen. Für die Macht ist manchen Herrschern alles recht. "ZDF-History" blickt auf sieben große Lügner und Lügen der Geschichte.21.06.2020 | 42:50 min
Wie wir die Kontrolle zurückgewinnen können
Wir können diese Mechanismen durchbrechen. Wenn wir uns aktiv mit ihnen auseinandersetzen und verschiedene Perspektiven auf die Themen zulassen, die uns beschäftigen. Psychologe Grünewald betont, dass es entscheidend sei, "im Gespräch zu bleiben, sich zu öffnen, gerade wenn es unbequem ist".
Und Politikwissenschaftler Fischer bringt es so auf den Punkt: "Wer Sorge vor Kontrollverlust hat, sollte zuvorderst die Demokratie schützen, und dazu gehört, niemandem zu vertrauen und die Macht zu geben, der als autoritärer Entscheider auftritt und behauptet, das sei mit Demokratie vereinbar."
Mit kritischem Denken Kontrolle zurückgewinnen
Am Ende liegt es an uns, wieder Herr unserer eigenen Wahrnehmung zu werden. So wie auch Marco Schild, der sich heute von AfD und Junge Alternative distanziert.
Lassen wir uns nicht zum Spielball der Angst machen. Es liegt in unserer Hand, die Kontrolle nicht an die Lautesten und Verführerischsten abzugeben, die behaupten, sie uns dank einfacher Antworten zurückzugeben. Wir können das Gefühl von Kontrolle selbst wiedererlangen: durch kritisches Denken, informierte Entscheidungen, bedachtes Handeln und den Mut, die Komplexität unserer Welt zu akzeptieren.
Negative Erlebnisse, Emotionen und Gedanken haben einen größeren Einfluss auf die Psyche als positive. Das hat weitreichende Konsequenzen für unser Denken und Handeln.01.02.2024 | 58:40 min
... ist Moderator und Reporter für das Wissenschaftsmagazin NANO bei 3sat, Terra X und vielen Kindern und Jugendlichen schon lange aus den Sendungen PUR+ und logo! bekannt. Er sagt: "Unterhaltsame Wissensvermittlung ist wichtig und schafft die Basis für eine fundierte Meinungsbildung bei unseren Zuschauer*innen." Der Natur- und Tierfan liebt es, über Wiesen und Felder zu joggen und engagiert sich in seiner Freizeit seit Langem bei Projekten zum Empowerment queerer Jugendlicher.
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