Wie gut haben Sie regiert, Frau Merkel?

Fakten-Box | 28. November 2024

• Die zwei Leben von Angela Merkel

  

  Am vergangenen Dienstag stellte die Bundeskanzlerin a.D., Dr. Angela Merkel, im Deutschen Theater in Berlin ihre Memoiren unter dem Titel „Freiheit“ vor. Auf mehr als 700 Seiten schildert sie die beiden prägenden Phasen ihres Lebens: Die erste Hälfte verbrachte sie in der DDR, die zweite in der Politik. Beide Abschnitte werden als untrennbar miteinander verbunden dargestellt. Das Buch entstand in den Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt in Zusammenarbeit mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann.
  
  Angela Merkel wurde am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren, studierte Physik an der Universität Leipzig. Ihre politische Karriere in der CDU begann nach der Wiedervereinigung Deutschlands - erst als stellvertretende Vorsitzende, anschließend als Generalsekretärin und von April 2000 bis 2018 als Vorsitzende der CDU Deutschlands. Im November 2005 wurde Angela Merkel zur Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt und bekleidete das Amt bis zu ihrem Ausscheiden im Dezember 2021.
  
  Über die Beweggründe zum Schreiben des Buches erklärt sie im Prolog ihrer Autobiografie: „Damals hatte ich entschieden, die in der Nacht vom 4. auf den 5. September aus Ungarn kommenden Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze nicht abweisen zu lassen. Diese Entscheidung, vor allem ihre Folgen, erlebte ich als eine Zäsur in meiner Kanzlerschaft. Es gab ein Vorher und ein Nachher. Damals nahm ich mir vor, eines Tages, wenn ich nicht mehr Bundeskanzlerin sein sollte, den Ablauf der Ereignisse, die Motive meiner Entscheidung, mein mit ihr verbundenes Verständnis von Europa und Globalisierung in einer Form zu schildern, die nur ein Buch ermöglicht." Bei der Buchpremiere betonte sie, dass sie das Buch schrieb, um die Deutung ihrer Geschichte nicht allein anderen zu überlassen – denn „die Geschichte einer Kanzlerin entsteht aus der Vielfalt der Geschichten über sie, inklusive der Geschichte von der Kanzlerin und Frau Baumann über die Kanzlerin.“
  
  Die ZDF-Dokumentation „Unsere Merkel-Jahre“ beleuchtet ihre 16-jährige Kanzlerschaft und zeigt die prägenden Herausforderungen und Entscheidungen, die ihre Regierungszeit bestimmten.
  
  (Quelle: dpa, kna, Reuters, Bundeskanzleramt)

  Unsere Merkel-Jahre Bildquelle: dpa / 17-2159703

• Merkels Russlandpolitik

  

  In ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft setzte Merkel durchgehend auf Dialog und eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau. Während ihrer Amtszeit traf Angela Merkel den russischen Präsidenten Wladimir Putin etwa 30 Mal. Sie setzte auf diplomatische Beziehungen und Dialog, um Russland in die internationale Politik einzubinden. Kritiker bemängeln jedoch, dass sie die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland auch nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 fortführte. Zudem habe sie Putins Bestrebungen, die Geschichte zu revidieren, unterschätzt.
  
  Im Rahmen ihrer diplomatischen Bemühungen trug Merkel 2015 gemeinsam mit Frankreichs damaligem Präsidenten François Hollande, dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Wladimir Putin zur Ausarbeitung des Minsker Abkommens bei, das als Friedensplan für die Ukraine angedacht war.
  
  Angela Merkel verhinderte während ihrer Amtszeit einen schnellen NATO-Beitritt der Ukraine, da sie eine militärische Reaktion Russlands befürchtete. 2008 blockierte sie den Beitrittskandidaten-Status der Ukraine und Georgiens auf dem NATO-Gipfel in Bukarest, was zu einem Kompromiss führte: eine allgemeine Zusage zur Mitgliedschaft, die von Russland als Provokation wahrgenommen wurde.
  
  Nach Beginn des russischen Angriffskriegs wurde die Kritik an Merkels Russland-Politik während ihrer Kanzlerschaft deutlich intensiver. „Mit Putins Russland hätten wir spätestens ab 2014 ganz anders umgehen müssen (...), betonte der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn rückblickend im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).Auch der CDU-Politiker und ehemalige Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen, erklärte im Spiegel: „Angela Merkel hat viel dafür getan, Europa in der Krise zusammenzuhalten. Damals hinkten wir nicht permanent hinterher. Zugleich wurden unter Angela Merkel schwere Fehler gemacht, unter Mitwirkung von mehreren sozialdemokratischen Außenministern. Spätestens nach der Annexion der Krim hätte es einen Kurswechsel gegenüber Russland geben müssen.“
  
  Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte 2022 in einer Videobotschaft Alt-Kanzlerin Merkel für ihre gescheiterte Russland-Politik angegriffen. „Ich lade Frau Merkel und Herrn Sarkozy ein, Butscha zu besuchen und zu sehen, wozu die Politik der Zugeständnisse an Russland in 14 Jahren geführt hat", sagte Selenskyj.
  
  Am Dienstagabend äußerte sich Merkel in Berlin erstmals ausführlich seit dem Ende ihrer Amtszeit im Dezember 2021. Sie verurteilte erneut den russischen Angriff auf die Ukraine, verteidigte jedoch ihre Russland-Politik. Die Ukraine hofft bis heute auf eine Mitgliedschaft in der Nato, Präsident Selenskyj hat die Aufnahme seines Landes in das Bündnis zu einem zentralen Teil seines sogenannten Siegesplans gemacht. Zwar hat die Nato ihre Unterstützung für die Ukraine immer wieder bekräftigt, doch gilt ein Beitritt des Landes als unwahrscheinlich, solange es sich im Kriegszustand befindet.
  
  (Quellen: afp, dpa, ap)

  Bildquelle: phoenix

• Abkommen von Minsk

  

  Das Abkommen von Minsk besteht aus zwei Teilen: Minsk I (2014) und Minsk II (2015). Minsk I wurde zwischen der Ukraine und von Russland unterstützten Separatisten als Zwölf-Punkte-Plan für einen Waffenstillstand vereinbart. Minsk II, das im Jahr 2015 unterzeichnet wurde, sollte den Frieden in der Ostukraine sichern und die Vereinbarungen von Minsk I umsetzen. Unterzeichnet wurde das Abkommen in der belarussischen Hauptstadt Minsk von Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland.
  
  Trotz eines Rückgangs der Kämpfe wurden viele Punkte des Abkommens nur teilweise umgesetzt. Die Vereinbarungen sahen unter anderem einen Waffenstillstand, den Abzug schwerer Waffen und die Schaffung einer Sicherheitszone entlang der Grenze vor. Weitere Kernpunkte des Abkommens zielten auf eine politische Lösung des Konflikts, wie einer Verfassungsreform in der Ukraine. Die Reform sollte die Ukraine dezentralisieren, unter anderem mit einem Sonderstatus für die umstrittenen Separatistengebiete Donezk und Luhansk. Doch die Minsker Abkommen führten nicht zur Eindämmung des Konflikts im Osten der Ukraine. Beide Seiten machten sich gegenseitig für das Scheitern der Vereinbarungen verantwortlich.
  
  Im Jahr 2022 erklärte der russische Präsident Wladimir Putin das Abkommen für gescheitert und erkannte die Unabhängigkeit der selbsternannten Volksrepubliken in der Ostukraine an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lehnte die Minsker Vereinbarungen später als Lösung ab. Er betonte, die Ukraine brauche "echten Frieden". Es werde kein weiteres Minsk-Abkommen geben. Der Kreml erklärte, ein Abkommen könne es nur geben, wenn Kiew die "neuen territorialen Realitäten" in der Ukraine anerkenne. Am 24. Februar 2022 startete Russland seinen bis heute andauernden Angriffskrieg auf die Ukraine, um nach eigenen Angaben einem bevorstehenden militärischen Vorstoß Kiews in die von prorussischen Separatisten kontrollierten Regionen Luhansk und Donezk zuvorzukommen.
  
  (Quellen: Deutsche Welle, afp, dpa)

  Bildquelle: ap

• Merkels Migrationspolitik

  

  Nicht zuletzt mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ hat Merkel für ihre Migrationspolitik internationale Bekanntheit erlangt. Sie äußerte ihn auf der Bundespressekonferenz im Sommer 2015 als Reaktion auf die sich immer weiter zuspitzende Flüchtlingskrise in der EU.
  
  Im September 2015 erreichte die Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich einen Höhepunkt. Um eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern, entschied Angela Merkel gemeinsam mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann und dem ungarischen Staatschef Viktor Orban, keine Grenzkontrollen nach Österreich und Deutschland einzuführen und damit Flüchtlingen die Einreise zu ermöglichen.
  
  In den Folgemonaten stieg die Zahl der Asylsuchenden weiter exorbitant an – allein in Deutschland wurden 2015 rund 890.000 Asylsuchende registriert, mehr als das Doppelte als noch 2014. Die Schutzsuchenden stammten vor allem aus den Krisenregionen Syrien, Irak und Afghanistan.
  
  Angela Merkels Entscheidung, die Grenzen zeitweise offenzuhalten, war sehr umstritten. Kritiker warnten vor den Folgen für den sozialen Zusammenhalt und forderten die Einführung einer Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschland aufnehmen könne. Eine solche hat Merkel stets abgelehnt: „Was wir in Deutschland nicht können, ist, einseitig festzulegen: wer kommt noch, wer kommt nicht.“
  
  Merkels Entscheidung führte außerdem zu einem Zerwürfnis mit der Schwesterpartei CSU und derem damaligen Vorsitzenden Horst Seehofer. „Ohne eine Obergrenze geht es nicht“, sagte Seehofer auf einem Parteitag der Schwesterpartei CSU im November und forderte von Merkel ein klares Bekenntnis zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen.
  
  Merkel hat ihre offene Haltung in Migrationsfragen stets mit der Achtung der Menschenwürde, die im ersten Artikel des Grundgesetzes verankert ist, begründet. Sie hat sich außerdem konsequent dafür ausgesprochen, dass die Migrationskrise nur von der EU gemeinsam bewältigt werden könne. Bei einem informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im September 2015 plädierte sie etwa für eine „faire Verteilung der Flüchtlinge“ innerhalb der EU, wofür ein „dauerhaftes Verfahren“ gefunden werden müsse. Die Lastenteilung in der EU könne auf Dauer nur funktionieren, wenn es konsequente Kontrollen an den EU-Außengrenzen gebe, so Merkel.
  
  2016 erreichte die Zahl der Erst- und Folgeanträge auf Asyl beim BAMF einen Höchststand von knapp 750 000 neuen Anträgen – mehr als 250 000 Anträge mehr als noch 2015. Seitdem ist die Zahl der Asylanträge laut Statistiken des BAMF immer weiter zurückgegangen.
  
  (Quellen: dpa, zdf, bpb, Bundestag)

  Bildquelle: Bernd Von Jutrczenka/dpa (Archiv)

• Merkels Klimapolitik

  

  Für ihre Klimapolitik ist Angela Merkel auch mit dem Spitznamen „Klimakanzlerin“ in die deutsche Geschichte eingegangen. Innerhalb ihrer Amtszeit hat sich die Kanzlerin a.D. für Klimaschutz und eine grüne Energiepolitik engagiert und den Begriff der Energiewende maßgeblich geprägt.
  
  Zentrale Pfeiler ihrer Energiepolitik waren etwa der Ausbau der Wind-, Solar- und Bioenergie und die Erweiterung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), um den Anteil grüner Energie am Strommix zu erhöhen. 2010 formulierte sie das Ziel, den Anteil der Erneuerbaren bis 2020 auf über 40 Prozent anzuheben und die CO₂-Emissionen zwischen 2010 und 2020 um 20 Prozent zu senken. Dieses Ziel hat Deutschland erreicht.
  
  Für Kontroversen sorgte Merkels Atompolitik. In ihrer zweiten Amtszeit verfolgte sie zunächst eine atomfreundliche Politik, in der Atomkraft als Brückentechnologie hin zum Umstieg auf Erneuerbare Energien dienen solle. Im Oktober 2010 verabschiedete der Bundestag die umstrittene Novelle des Atomgesetzes, nach der die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert und der Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2050 auf 80 Prozent erhöht werden sollte.
  
  Doch infolge der Atomkatastrophe von Fukushima änderte Merkel ihren Kurs radikal. Sie habe zur Kenntnis nehmen müssen, „dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können“, sagte sie. Im Juni 2011 beschloss Merkel, den Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland bis 2022 umzusetzen. 2012 machte Merkel die Energiewende schließlich zur Chefsache: „Die Energiewende ist eine große Aufgabe, man kann sagen eine Herkulesaufgabe, der wir uns verpflichtet fühlen.“
  
  Merkels Energiepolitik war nicht unumstritten. Kritiker sahen mit dem Ausstieg aus der Atomenergie die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährdet. Auch der Netzausbau kam zeitweise nur schleppend voran. Der Ausstieg aus der Atomkraft sei „im Rückblick auch klimapolitisch ein schwerer Fehler“ gewesen, kritisierte etwa der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn im Spiegel.
  
  Die letzten Atomkraftwerke haben ihren Betrieb im April 2023 beendet. Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der als Kritiker von Merkels Kurs in der Atompolitik gilt, bezeichnete diesen Tag im NDR als „schwarzer Tag für Deutschland“.
  
  (Quelle: dpa, ap, Bundestag)

  Bildquelle: dpa / kappeler, michael

• Nord-Stream I und II

  

  Durch Unterwasser-Leitungen brachte Nord Stream russisches Gas nach Westeuropa. Nord Stream 2 ist die Erweiterung der bereits 2011 in Betrieb genommenen Nord Stream-Pipeline. Im September 2015 wurde der Gesellschaftervertrag für das Projekt Nord Stream 2 unterzeichnet. Die Gesamtkosten des Projekts beliefen sich auf 9,5 Milliarden Euro. Zusammen sollten beide Leitungen eine Kapazität von bis zu 110 Milliarden Kubikmetern Erdgas erreichen. Die Pipeline erstreckt sich vom russischen Ust-Luga und endet im deutschen Lubmin nahe Greifswald.
  
  Im September 2021 wurde Nord Stream 2 laut Angaben von Gazprom fertiggestellt, jedoch noch nicht in Betrieb genommen. Vor dem Hintergrund der drohenden Kriegsgefahr in der Ukraine stoppte die deutsche Bundesregierung das Projekt. Als offizieller Grund wurde das Fehlen der Zertifizierung durch die zuständigen Behörden angegeben. Kurz darauf startete Russland seinen Angriffskrieg.
  
  Das Projekt war auf politischer Ebene stets umstritten. Kritik an Nord Stream kam frühzeitig von osteuropäischen Staaten. Auch die USA unter Präsident Donald Trump versuchten, die Fertigstellung des Projekts zu verhindern, indem sie politischen Druck ausübten und Sanktionen gegen am Bau beteiligte Unternehmen verhängten. Russland warf den USA vor, sie würden eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen.
  
  Merkel verteidigte den Bau von Nord Stream 2 stets und betonte in einem damaligen Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Ich habe nicht an Wandel durch Handel geglaubt, aber an Verbindung durch Handel, und zwar mit der zweitgrößten Atommacht der Welt.“ Vor diesem Hintergrund habe sie die Pipeline nach den Verhandlungen über das Minsker Friedensabkommen für die Ostukraine für vertretbar gehalten. 
  
  Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hatte es in der Ostsee wiederholt Fälle gegeben, die auf mögliche Sabotage hindeuteten. Bei Explosionen waren im September 2022 die Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 beschädigt worden.
  
  (Quellen: ZDF, AFP, dpa)

  Bildquelle: dpa