Mit klarer Mehrheit hat das US-Repräsentantenhaus am Mittwochabend einen Importstopp von russischem Öl beschlossen. Die Abgeordneten verabschiedeten die Vorlage mit 414 zu 17 Stimmen. Der Entwurf ging noch über den Vorschlag von US-Präsident Joe Biden hinaus und regt an, Russlands Status in der Welthandelsorganisation zu prüfen. Der texanische Abgeordnete Lloyd Doggett, der an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs mitwirkte, sagte: „Das ist eine Möglichkeit, unsere Solidarität zu demonstrieren.“ Noch vor wenigen Tagen zögerte die Regierung von US-Präsident Joe Biden, russische Öleinfuhren zu verbieten, weil sie befürchtete, die weltweite Energieversorgung zu beeinträchtigen und die Benzinpreise in die Höhe zu treiben – zu einer Zeit, in der die US-Haushalte bereits mit einer Rekord-Inflation konfrontiert sind.
Zuletzt war der Druck auf die USA und die Europäer gestiegen, die Ölimporte aus Russland zu stoppen. Denn trotz anderer schwerwiegender Sanktionen wird durch sie nach wie vor Geld in die Kriegskassen von Präsident Wladimir Putin gespült. Russland drohte mit Vergeltung für die Wirtschafts- und Finanzsanktionen der westlichen Welt. Nach Darstellung des Präsidialamtes in Moskau hätten die USA Russland den Wirtschaftskrieg erklärt. Die russische Regierung werde nun genau prüfen, welche Schritte sie unternehme, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die britische Außenministerin Liz Truss hat inzwischen alle G7-Staaten zum Verzicht auf russische Energie-Importe aufgefordert. Die großen Industriestaaten müssten „die Nutzung von russischem Öl und Gas beenden“, sagte Truss. Sie forderte, die Sanktionen gegen Russland zu „verdoppeln“. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zeigte sich optimistisch, dass die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland schneller reduzieren kann als gedacht. Die EU-Staaten hätten bereits so viel Flüssiggas (LNG) eingekauft, dass man in diesem Winter ohne russisches Gas auskommen könne, sagte sie im ZDF. Zugleich verteidigte die Kommissionspräsidentin, dass die EU anders als die USA keinen Ölimport-Stopp beschlossen hat und verwies auf die geringere Abhängigkeit der USA bei Öl. Es gehe darum, mit den Sanktionen vor allem Russland und nicht die westlichen Staaten zu treffen.
Auch die Bundesregierung hatte mit Blick auf die größere Abhängigkeit von russischem Öl abgelehnt, sich dem US-Schritt anzuschließen. Die USA seien Exporteur von Gas und Öl, was man für Europa insgesamt nicht sagen könne, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. „Und deshalb sind die Dinge, die getan werden können, auch unterschiedlich.“ Doch auch da erhöhte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, den Druck. Angesichts der hohen Zahl der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung sei das Nein zu einem Importstopp „moralisch nicht tragbar“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Wir rufen die Deutschen auf, eine einzig richtige Entscheidung zu treffen und dieses Embargo unverzüglich einzuführen, um dem Putinschen Krieg gegen die ukrainischen Frauen und Kinder ein Ende zu setzen.“ Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck erklärte in der ARD: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ Scholz versicherte, die Bundesregierung arbeite an dem Ziel, die Abhängigkeit vom Import fossiler Rohstoffe zu reduzieren. Mit den Arbeiten an diesem Ziel habe seine Regierung bereits nach ihrem Amtsantritt im Dezember begonnen, also vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Allerdings wisse die Bundesregierung deshalb auch bereits, „wie kompliziert“ es sei, diese Abhängigkeiten zu reduzieren.
Die Unionsfraktion im Bundestag forderte die Bundesregierung auf, den Bezug von Gas über die Pipeline Nord Stream 1 zu stoppen. Dies würde „eine neue Qualität in den Sanktionen bedeuten“, sagte Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). Angesichts der „massiven Kriegsverbrechen“ Russlands in der Ukraine sei eine solche Eskalation notwendig. „Das ist eine Einschränkung der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland“, räumte Merz ein. „Wir sind der Meinung, dass wir das akzeptieren müssten angesichts der Lage, die dort entstanden ist.“ Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lehnte einen Boykott von Gas aus Russland erneut ab. „Die zerstörerische Wirkung dieser extrem hohen, völlig außer Rand und Band geratenen Energiepreise auf die deutsche Volkswirtschaft, auf die europäische Volkswirtschaft, auf uns alle als Verbraucher, die wäre so verheerend, dass man diesen Weg nicht gehen kann“, sagte Kretschmer im ZDF. Wenn Deutschland aus den vergleichsweise günstigen Lieferverträgen mit Russland ausstiege, müssten neue Verträge zu viel schlechteren Konditionen geschlossen werden.
Angesichts der jetzt schon explodierenden Energiepreise forderten Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Bundesregierung auf, die Mineralölsteuer zu senken und die Mehrwertsteuer auf Benzin von 19 auf 7 Prozent zu reduzieren. Der Liter Benzin könnte so um etwa 40 Cent je Liter billiger werden, rechnete Merz vor. „Wir brauchen die Spritpreisbremse“, betonte Dobrindt. Laut den Berechnungen von Greenpeace könnte etwa ein vorübergehendes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen Deutschlands Mineralölimporte um etwa 2,5 Prozent pro Jahr senken. Die Homeoffice-Pflicht in Teilen zu verlängern, könne weitere 1,7 Prozent einsparen, ein Verzicht auf jede zweite Freizeit-Autofahrt von über 20 Kilometern sogar 2,6 Prozent. Auch ein Verbot von Inlandsflügen, eine Stärkung des Güterverkehrs und des ÖPNV sowie ein Absenken der Raumtemperatur um ein oder zwei Grad oder autofreie Sonntage werden als mögliche Maßnahmen genannt. Ein breites Bündnis aus Experten und Aktivisten verlangte das Ende von Gas-, Öl- und Kohlelieferungen aus Russland in die Europäische Union. „Wir alle finanzieren diesen Krieg“, heißt es in einem offenen Brief von Umweltaktivisten, Wissenschaftlern, Schauspielerinnen sowie Politik- und Wirtschaftsexperten an die Bundesregierung.
Quellen: Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna
Bildquelle: dpa
Kommentare