Die EU-Staaten haben sich nach wochenlangen Diskussionen auf einen weitgehenden Boykott von Öllieferungen aus Russland verständigt. Die Einigung bei einem Gipfel in Brüssel offenbart allerdings, dass es der EU nach drei Monaten zunehmend schwerfällt, mit einer Stimme auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu reagieren. Zwar bemühten sich die Staats- und Regierungschefs der 27 Staaten weiter um Geschlossenheit. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban konnte aber nur durch erhebliche Zugeständnisse dazu gebracht werden, den Embargo-Plänen zuzustimmen.
Die Einfuhr von russischem Öl per Schiff soll nach dem Kompromiss nun verboten werden – vermutlich wird das aber erst in einigen Monaten greifen. Öl-Lieferungen über den Landweg per Pipeline bleiben jedoch erlaubt. Orban hatte argumentiert, dass sein Land aus wirtschaftlichen Gründen nicht bis Ende des Jahres auf russisches Öl verzichten könne. Bei plötzlichen Lieferproblemen soll ihm auch erlaubt werden, trotz Embargos Öl per Tanker zu beziehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel, dass das von den EU-Staaten beschlossene Einfuhrverbot von russischem Öl nicht für Lieferungen über Pipelines gelte. „Das war wichtig“, sagte der Kanzler, weil einige Länder die Übergangsmaßnahmen nicht so schnell hinbekämen wie andere. Zugleich räumte Scholz aber ein, dass ein einstimmiger Beschluss der EU-Staaten nur auf diese Weise möglich gewesen sei. Scholz betonte, mit dem Beschluss werde die Einfuhr von russischem Öl in die Europäische Union um 90 Prozent gekappt.
Der Schritt diene dazu, dass Russland den Krieg in der Ukraine beende, sich aus dem Land zurückziehe und eine Friedenslösung anstrebe. Für Deutschland bleibe er bei seinem Ziel, so Scholz, bis Jahresende kein Öl aus Russland mehr zu importieren. Die Ukraine begrüßte den Schritt gegen Russland. Die neuen Sanktionen der EU würden den Kollaps der russischen Wirtschaft beschleunigen, erklärte das Außenministerium in Kiew.
Für Deutschland sieht die Lage nach diesem EU-Kompromiss so aus: Nach Angaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist der Anteil russischen Öls am deutschen Verbrauch von 35 Prozent vor dem Ukraine-Krieg bereits auf 12 Prozent gesunken. Tankeröl – vor dem Krieg etwa ein Drittel der Menge – sei ersetzt, sagte Habeck Anfang Mai. Da ändert der EU-Beschluss also nichts. Zwei Drittel der deutschen Ölimporte aus Russland kamen vor dem Krieg aber über die „Druschba“-Pipeline in die großen ostdeutschen Raffinerien in Leuna und in Schwedt. Theoretisch könnten Leuna und Schwedt nach dem EU-Kompromiss weiter über die „Druschba“ beliefert werden, da die Pipeline ja vom Embargo vorerst ausgenommen ist. Doch haben Deutschland und Polen beim EU-Gipfel eine sogenannte Protokollerklärung abgegeben: Sie bekräftigen schriftlich, den Kauf von russischem Öl bis Ende des Jahres zu stoppen.
Während der Betreiber Totalenergies für die Mitteldeutsche Raffinerie in Leuna bereits den Verzicht auf russisches Öl angekündigt hat, liegt der Fall für die PCK-Raffinerie in Schwedt mit rund 1200 Beschäftigten anders: Sie wird von der deutschen Tochter des russischen Staatskonzerns Rosneft mit russischem Öl aus der „Druschba“ betrieben. Habeck sucht für Schwedt nach alternativen Lieferwegen mit Tankeröl über Rostock und Danzig. Doch das Land Brandenburg fürchtet, dass die Raffinerie damit nur zu 60 Prozent ausgelastet wäre. Die Sorge: Die Anlage könnte unwirtschaftlich werden, Jobs könnten verloren gehen. Und die Belieferung der ostdeutschen Tankstellen, Industrie und Heizöltanks könnte ins Stottern geraten. Für alle deutschen Verbraucher und die Industrie dürfte das Öl-Embargo auch in dieser „Light“-Variante bei den Kosten durchschlagen. Denn russisches Öl muss auf dem Weltmarkt ersetzt werden, die Nachfrage treibt die Preise. Tatsächlich legten die Rohölpreise am Dienstag deutlich zu.
Offen ist, wie schwer Russland von dem Teil-Embargo getroffen werden wird. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell räumte ein, dass Moskau nicht zwingend weniger Öl exportieren werde. „Wir können Russland nicht davon abhalten, sein Öl an jemanden anderen zu verkaufen. So mächtig sind wir nicht.“ Die EU sei aber Russlands wichtigster Kunde gewesen. „Sie werden sich nach anderen umschauen müssen, und sie werden sicherlich die Preise senken müssen.“
Zusammen mit dem Öl-Embargo sollen noch zusätzliche Russland-Sanktionen in Kraft treten. So sah das sechste Sanktionspaket unter anderem Strafmaßnahmen gegen rund 60 Kreml-nahe Persönlichkeiten vor, unter ihnen das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill. Zudem sollen drei weitere russische Banken vom internationalen Finanzsystem Swift ausgeschlossen werden, darunter die Sberbank, die größte des Landes. Weiterhin sollen weitere russische Staatsmedien verboten werden.
Am Mittwoch verlangte Ungarn weitere Änderungen an dem neuen EU-Sanktionspaket gegen Russland und blockiert damit erneut dessen Inkrafttreten. Konkret fordert das Land, auf die geplanten Strafmaßnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill zu verzichten, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend bestätigten.
Nun verzichtet die EU wegen des ungarischen Widerstands vorerst auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Das sechste EU-Sanktionspaket, in dem auch ein weitgehendes Öl-Embargo enthalten ist, wurde am Donnerstag von Vertretern der EU-Staaten ohne die eigentlich gegen Kirill geplante Strafmaßnahme gebilligt, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten.
Quellen: Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna / DLF
Bildquelle: Reuters
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