Die Türkei macht sich international gerade unbeliebt: Ankara blockiert inmitten der Konfrontation mit Russland wegen des Ukraine-Kriegs die Nato-Erweiterung und droht zudem mit einer Offensive in Nordsyrien. Staatschef Recep Tayyip Erdogan beharrt auf der Durchsetzung türkischer Interessen, selbst wenn er damit Verbündete verärgert. Der innen- und wirtschaftspolitisch stark unter Druck stehende Präsident will sich als starke Führungspersönlichkeit profilieren - vor allem mit Blick auf die Präsidentschaftswahl in einem Jahr. Erdogan hat heute offiziell seine erneute Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr angekündigt.
Der türkische Präsident hat seine Einwände gegen einen Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands bekräftigt. “Die Nato ist eine Sicherheitsorganisation, keine Unterstützerorganisation für Terror-Organisationen“, sagte Erdogan am Mittwoch vor Abgeordneten seiner Partei. Die Türkei werde ihre Haltung zum Nato-Beitrittsantrag Schwedens und Finnlands nicht ändern, bevor sie schriftlich bindende Zusagen habe, dass die Beitrittskandidaten härter gegen Terroristen vorgingen. Die Türkei wirft Schweden und Finnland vor, die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK und Kämpfer der YPG in Syrien zu unterstützen. Die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson bleibt offen für weitere konstruktive Treffen, um eventuelle Fragen oder Missverständnisse auszuräumen.
Des Weiteren verfestigt Erdogan seinen Plan, eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone entlang der türkischen Südgrenze zu bauen. "Wir werden Tal Rifaat und Manbidsch von Terroristen säubern und das Gleiche Schritt für Schritt in anderen Regionen tun." Dabei werde man sehen, wer diese "legitimen Schritte der Türkei" unterstütze und wer sie behindere, sagte er ebenfalls am Mittwoch. Die Türkei bezeichnet kurdische Milizen in Syrien und im Irak als Terroristen. Nato–Verbündete, insbesondere die USA, haben sich gegen diese Einsätze ausgesprochen. Die Regierung in Washington zeigte sich zuletzt besorgt über neue Offensiven und erklärte, diese können die Stabilität der Region untergraben.
Kurz nach dieser Ankündigung eines erneuten Militäreinsatzes im Norden habe es türkische Angriffe auf Gebiete in Nähe der Orte Manbidsch und Kobane gegeben, teilte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. In der Region um die Grenzstadt Kobane sei Militäralarm ausgelöst worden. Vier Menschen seien getötet worden. Die Türkei machte vorerst keine Mitteilung zu dem Thema. Ob die Bombardierungen in Zusammenhang mit der angekündigten türkischen Offensive stehen, war zunächst nicht klar.
Russland dagegen ist besorgt über einen drohenden türkischen Angriff auf die von Kurden gehaltenen Gebiete im Norden Syriens. “Wir hoffen, dass Ankara auf solche Aktionen verzichtet, die zu einer gefährlichen Verschlechterung der ohnehin komplizierten Lage in Syrien führen“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Donnerstag in Moskau. Russland habe zwar Verständnis dafür, dass die Türkei ihre Sicherheit aus den syrischen Grenzregionen bedroht sehe. Die Sicherheit sei aber am besten zu gewährleisten, wenn Einheiten der syrischen Regierung entlang der Grenze stationiert würden, sagte Sacharowa. US-Außenminister Antony Blinken sagte, die USA lehnten jede Eskalation in Nordsyrien ab. Jede neue Offensive könne die regionale Stabilität untergraben. Die Türkei hält bereits Gebiete in Nordsyrien besetzt und argumentiert mit Sicherheitsinteressen. Russland ist in dem Krieg stärkster Rückhalt der syrischen Regierung und ihrer Truppen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat derweil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan über dessen Einwände gegen einen Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands gesprochen. Er habe mit Erdogan ein konstruktives Telefonat geführt, schrieb Stoltenberg auf Twitter und nannte die Türkei einen “geschätzten Verbündeten“. Erdogans Büro teilte nach dem Telefonat mit, Schweden und Finnland müssten klar machen, dass sie aufgehört hätten, “Terrorismus zu unterstützen“, müssten Restriktionen auf Rüstungsexporte aufheben und bereit sein, “Bündnissolidarität zu zeigen“. Schweden und Finnland haben als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bereits Anträge auf Aufnahme in die Nato gestellt. Die Türkei blockiert ihren Beitritt aber.
Stoltenberg schrieb am Freitagabend auf Twitter, dass er sich mit der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin getroffen und mit ihr über die Notwendigkeit gesprochen habe, die Bedenken der Türkei zu thematisieren, um voranzukommen. Diese Woche ist in Brüssel ein Treffen mit den beteiligten Staaten geplant.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow war am Mittwoch zu Gesprächen über die Ausfuhr von derzeit in der Ukraine blockiertem Getreide in der Türkei. Die beiden Länder haben sich für die Schaffung eines Exportkorridors im Schwarzen Meer ausgesprochen. Auf diesem Weg könne die Ukraine dann ihr Getreide exportieren, sagten der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und sein russischer Kollege Sergej Lawrow nach Gesprächen in Ankara. Cavusoglu erklärte, wenn Russland in diesem Fall kooperiere, sollten die westlichen Sanktionen gegen das Land im Gegenzug gelockert werden. Ein ukrainischer Vertreter war bei dem Treffen in Ankara nicht dabei.
“Wir als Türkei finden diesen Plan vernünftig und halten ihn für machbar“, sagte Cavusoglu auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Lawrow. Dafür seien jedoch Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew nötig. “Wenn die ganze Welt Bedarf an den Produkten hat, die von der Ukraine und der Russischen Föderation exportiert werden sollen, dann muss eine Methode festgelegt werden“, sagte der türkische Minister. Von ukrainischer Seite wurde die Befürchtung geäußert, Russland könne die Südküste der Ukraine leichter angreifen, wenn Minen aus den Schwarzmeerhäfen entfernt würden. Der russische Außenminister Lawrow versicherte jedoch, Russland werde seinen maritimen Vorteil nicht ausnutzen, sollten die Minen in den ukrainischen Häfen geräumt werden. Das Land werde alle notwendigen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass die Schiffe auslaufen könnten, sagte er. Von dem Plan würden beide Länder profitieren. Über denselben Korridor könnte Russland auch Lebensmittel und Düngemittel exportieren. Die Türkei würde den Transport des Getreides über das Schwarze Meer begleiten und schützen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstag, das russische Militär müsse die mit Getreide beladenen Handelsschiffe kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie keine Waffen transportierten. Russland werde nach der Beladung der Schiffe helfen, sie in internationale Gewässer zu eskortieren, erklärte er. Die Ukraine ist einer der weltweit größten Exporteure von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl. Der Krieg und die russische Blockade der Häfen haben jedoch einen Großteil dieser Exporte zum Erliegen gebracht, was die weltweite Nahrungsmittelversorgung gefährdet. Auf die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen Kiew und Moskau angesprochen, sagte Cavusoglu, die Türkei sei nun deutlich optimistischer. Er verwies auf jüngste Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und wiederholte das Angebot der türkischen Regierung, ein Treffen zwischen Selenskyj und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu begleiten. Lawrow zeigte sich zu Gesprächen bereit, warf Selenskyj aber vor, seine Position hinsichtlich der Bedingungen für ein Gipfeltreffen ständig zu ändern.
Quellen: Red. / dpa / reuters / afp / ap / rtz
Bildquelle: reuters
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