Waffen, Sanktionen, Allianzen – die Ukraine kämpft um ihre Zukunft

Fakten-Box | 25. Mai 2023

• Militärische Lage

  

  Die Ukraine hat in der vergangenen Nacht nach eigenen Angaben 36 Drohnen des Typs Shahed aus iranischer Produktion abgeschossen und damit alle russischen Luftangriffe abgewehrt. Das schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. „Keine von ihnen hat ihr Ziel erreicht. Ich danke unseren Luftabwehrkräften für den 100-prozentigen Erfolg.“
  
  Selenskyj forderte den Iran auf, die Lieferung tödlicher Drohnen an Russland zu überdenken: „Welchen Nutzen hat der Iran von einem solchen zynischen Töten? Eure Schaheds, die jede Nacht die Ukraine terrorisieren, bedeuten nur, dass das iranische Volk immer tiefer in die dunkle Seite der Geschichte getrieben wird.“
  
  Ziel der Drohnenangriffe waren der ukrainischen Luftwaffe zufolge militärische Einrichtungen und kritische Infrastruktur im Westen des Landes. Auch im Luftraum um die Hauptstadt Kiew seien mehrere Drohnen abgefangen worden, sagt der Leiter der Kiewer Militärverwaltung. Es war der zwölfte Angriff auf Kiew in diesem Monat.
  
  Söldner der russischen Wagner-Gruppe haben nach Angaben ihres Chefs Jewgeni Prigoschin mit der Übergabe ihrer Stellungen in der ostukrainischen Stadt Bachmut an die russische Armee begonnen. „Wir ziehen heute Einheiten aus Bachmut zurück“, sagte Prigoschin in einem am Donnerstag von seinem Pressedienst veröffentlichten Video. Bis zum 1. Juni werde der Großteil der Einheiten auf andere Stützpunkte verlegt sein. Der Wagner-Chef hatte zuvor die Einnahme von Bachmut gemeldet.
  
  Die Kämpfe um Bachmut haben die Berichte vom Kriegsverlauf in den vergangenen Monaten dominiert. Mehrfach war die Einnahme der Stadt von russischer Seite erklärt und von ukrainischer Seite dementiert worden. Zur Verwirrung trug Präsident Selenskyj selbst bei, als er am Wochenende beim G7-Gipfel in Japan mit einer missverständlichen Formulierung die Übernahme durch Russland einräumte, später aber von seinem Sprecher korrigiert wurde.
  
  In Bachmut lebten einst 70.000 Menschen. Die Schlacht um die Stadt gilt als längste und blutigste seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022. Es wird vermutet, dass beide Seiten große Verluste erlitten haben. Die Meldungen von den Frontabschnitten können von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden.
  
  Viele Experten gehen davon aus, dass der Fall Bachmuts zwar ein Dämpfer für die Ukraine wäre, aber kein kriegsentscheidendes Ereignis. Die russischen Truppen müssten auch danach noch viele weitere, teils schwer befestigte Städte einnehmen, um ganz Donezk unter ihre Kontrolle zu bringen, eine jener Provinzen, die Moskau im vergangenen Jahr völkerrechtswidrig annektiert hatte.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: AFP

• Angriff auf russisches Territorium

  

  Zwei Tage nach dem Angriff auf die russische Region Belgorod von der Ukraine aus haben die beteiligten Milizen ihre Mission als „Erfolg“ gepriesen. „Jede Überquerung der russischen Staatsgrenze und erfolgreiche Rückkehr kann man definitiv als Erfolg bezeichnen“, sagte Denis Kapustin, Anführer des „Russischen Freiwilligenkorps“, am Mittwoch im Norden der Ukraine vor Journalisten.
  
  Die russische Grenzregion war seit Montag Schauplatz von Gefechten zwischen aus der Ukraine eingedrungenen Kämpfern und der russischen Armee. Ein russischer Zivilist soll dabei getötet worden sein. Bei dem Angriff handelte es sich um den schwerwiegendsten Vorfall dieser Art auf russischem Staatsgebiet seit Beginn des Kriegs in der Ukraine im Februar 2022.
  
  Zu dem Angriff hatten sich zwei russische, gegen Präsident Wladimir Putin gerichtete Gruppen bekannt – die Miliz „Freiheit für Russland“ und das „Russische Freiwilligenkorps“. Das „Russische Freiwilligenkorps“ trat schon im März mit der Behauptung in Erscheinung, in der Grenzregion Brjansk erstmals nach Russland eingedrungen zu sein. Angeführt wird es von Denis Kapustin, einer bekannten Figur in der russischen Hooligan- und rechtsextremen Szene, der seinen Wohnsitz lange in Deutschland hatte. Nach Recherchen des Magazins SPIEGEL erhielt Kapustin 2019 in Deutschland ein Einreiseverbot – weil er „eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darstelle. Russland stuft ihn als „Terroristen“ ein.
  
  „Jede Operation, die auf dem Territorium Russlands stattfindet, zwingt die Militärführung dazu, eine große Anzahl von Kräften zu genau dem Quadranten zu verlegen, und damit einige Teile der Front freizulegen“, erklärte Kapustin, der von etwa 30 Kämpfern in Tarnkleidung flankiert wurde.
  
  Die zweite beteiligte Gruppe, die Anfang 2022 gegründete Miliz „Freiheit Russlands“, wird vom ehemaligen russischen Parlamentsabgeordneten Ilja Ponomarjow angeführt, der 2014 als einziger gegen die Annexion der Krim gestimmt hatte und anschließend in die Ukraine auswanderte. Er kämpfe „gegen das Regime von Wladimir Putin“, sagte er schon im Dezember gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Beide Gruppen geben an, über hunderte Kämpfer zu verfügen.
  
  Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu behauptet, das Militär habe nach dem Angriff „mehr als 70 ukrainische Terroristen“ getötet. Die Milizen hingegen wiesen die russischen Angaben über die Verluste zurück. Kapustin sagte, die Reaktion aus Moskau zeige, dass „Russlands militärische und politische Führung absolut nicht bereit ist für solche Dinge.“
  
  Kapustin gab an, die Ukraine habe sie „ermutigt“, ihnen aber keinerlei Waffen, Ausrüstung oder Anweisungen für das Eindringen geliefert. Die „New York Times“ hatte Fahrzeuge auf von den russischen Behörden veröffentlichten Bildern als amerikanische Militärfahrzeuge identifiziert. Die Ukraine weist jede Verantwortung zurück.
  
  Die Gefechte auf eigenem Staatsgebiet werden als Rückschlag für Russland gewertet, dessen Armee derzeit in der Ukraine kaum mehr voranzukommen scheint – während die Ukraine sich Angaben aus Kiew zufolge auf eine Offensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete vorbereitet.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: epa

• G7-Gipfel in Hiroshima

  

  Die Gruppe der sieben führenden demokratischen Industrienationen (G7) hat auf ihrem Gipfeltreffen am vergangenen Wochenende in Hiroshima Entschlossenheit im Umgang mit Russland und China demonstriert. Eine eindringliche Warnung vor der chinesischen Politik sprach der britische Premierminister Rishi Sunak aus: „China ist die größte Herausforderung unserer Zeit für die globale Sicherheit und den globalen Wohlstand.“ Die Führung in Peking werde im eigenen Land immer autoritärer und im Ausland immer forscher.
  
  In einer Gipfelerklärung formulierten die G7-Staaten eine gemeinsame Position gegenüber China. Die Gruppe will ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Peking reduzieren und Risiken in den Lieferketten verringern. Auch wiesen die G7-Staaten die Machtansprüche Chinas im Ost- und Südchinesischen Meer zurück und warnten vor militärischen Schritten gegen das demokratische Taiwan.
  
  Im Mittelpunkt der Gespräche der Staats- und Regierungschefs stand der Krieg in der Ukraine. Überraschend war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Japan gereist. Zum Abschluss des Treffens versprach US-Präsident Joe Biden dem ukrainischen Kollegen neue Militärhilfen im Umfang von etwa 375 Millionen US-Dollar (etwa 346 Millionen Euro). Das Paket umfasse Munition, Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge. Der Gesamtwert der militärischen Unterstützung der USA seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 beträgt inzwischen deutlich mehr als 30 Milliarden US-Dollar. „Zusammen mit der gesamten G7 stehen wir hinter der Ukraine, und ich verspreche, dass wir uns nicht abwenden werden“, sagte Biden zu Selenskyj.
  
  Biden hatte während des Gipfels den Weg freigemacht, Kampfjets des in den USA gebauten Typs F-16 an die Ukraine zu liefern – im Rahmen einer Koalition mehrerer Verbündeter. Das kann aber Monate dauern. Zunächst sollen ukrainische Piloten ausgebildet werden. Später soll entschieden werden, wann und wie viele Flugzeuge geliefert werden und wer sie zur Verfügung stellt. Biden sagte, er habe eine „Zusage von Selenskyj“, die F-16 nicht zu nutzen, um „in russisches Territorium“ vorzudringen. Die Flugzeuge könnten aber „überall dort“ eingesetzt werden, „wo sich russische Truppen innerhalb der Ukraine befinden“.
  
  Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rechnet nicht mit der raschen Lieferung moderner Kampfjets. „Das, was mit der Ausbildung von Piloten verbunden ist, ist ja ein längerfristiges Projekt“, sagte er. Scholz hob hervor, die Gruppe der Sieben werde der Ukraine so lange wie nötig helfen. „As long as it takes“ heißt es wörtlich in der Gipfelerklärung. Die G7 wollen die diplomatische, finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung verstärken („We commit to intensifying …“).
  
  Nach Abschluss seiner Gespräche besuchte Selenskyj das Friedensmuseum von Hiroshima, wo Zeugnisse der Folgen des US-Atombombenabwurfs vom 6. August 1945 gezeigt werden. Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen dürften „nicht akzeptiert werden“, sagte Japans Premier Fumio Kishida. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte mehrmals seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine mit Atomwaffen gedroht. In einer Videobotschaft sprach Selenskyj nach dem G7-Gipfel erneut von einer „ukrainischen Friedensformel“, die den Abzug russischer Truppen aus allen besetzten Gebieten der Ukraine als Voraussetzung für Verhandlungen vorsieht.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: AP

• Kampfjets für die Ukraine

  

  Seit langem bittet die Ukraine um F-16-Kampfjets, lange lautete die Antwort aus Washington „Nein“. In einer Kehrtwende haben die USA nun eingelenkt und reihen sich ein in die Koalition der Unterstützer. In einem ersten Schritt sollen ukrainische Piloten an den hochmodernen Kampfflugzeugen ausgebildet werden. Wer wann welche Jets liefert, ist noch nicht geklärt.
  
  Zu der Vereinbarung, die US-Präsident Joe Biden am vergangenen Freitag beim G7-Gipfel in Japan vorstellte, sind noch keine Details bekannt. Die USA wollen sich nach Angaben aus Regierungskreisen aber auf jeden Fall an der Pilotenausbildung beteiligen. Entscheidungen zu Flugzeuglieferungen sollten dann in den kommenden Monaten fallen.
  
  Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 bittet der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Westen um die Lieferung von Kampfflugzeugen. Die westlichen Unterstützerstaaten haben dies bislang stets abgelehnt. Hauptargument war die Sorge, dass Russland die Lieferung von Kampfflugzeugen als Kriegseintritt werten könnte.
  
  Die ukrainische Luftwaffe verfügt nach Auskunft von FlightGlobal und der Luftfahrt-Datenbank Cirium ausschließlich über alte sowjetische Jagdflugzeuge vom Typ MiG-29 und Suchoi-27 zur Luftverteidigung und zur Unterstützung eigener Kräfte am Boden sowie über Kampfflugzeuge vom Typ Suchoi-25 und Suchoi-24. Ukrainische Piloten sind lediglich für diese Typen von Flugzeugen ausgebildet. Wie viele der ukrainischen Flugzeuge bei den russischen Angriffen bereits zerstört wurden, ist unklar.
  
  Diskutiert wurde viele Monate über einen sogenannten Ringtausch, wonach EU-Länder, die noch über Restbestände an MiG-29 verfügen, diese an die Ukraine abgeben und dafür mit Kampfflugzeugen westlicher Bauart „entschädigt“ werden. Slowakei, Bulgarien und Polen besitzen noch Jets aus sowjetischer Produktion. Polen hat die Maschinen zu Beginn der 2000er Jahre für die symbolische Summe von einem Euro von Deutschland bekommen.
  
  Der Vorteil einer Lieferung alter sowjetischer Maschinen lag auf der Hand: Ukrainische Kampfpiloten hätten das vertraute Gerät sofort fliegen können. Aber die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts zögerten aus doppeltem Grund. Zum einen wollen sie ihre eigenen Streitkräfte nicht schwächen, während im Nachbarland Krieg herrscht. Zum anderen wollten auch sie nicht als Kriegspartei eingestuft werden.
  
  Die Debatte über Kampfflugzeuge für die Ukraine war Anfang dieses Jahres erneut entfacht worden, nachdem der Westen nach langem Zögern der Lieferung schwerer Kampfpanzer zugestimmt hatte, unter anderem deutsche Leopard-1 und -2. Eine Debatte über Kampfjets ergebe aber „keinen Sinn“, bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz noch im Februar in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. Als Selenskyj Mitte dieses Monats Deutschland besuchte, bat er die Verbündeten um die Bildung einer „Kampfjet-Koalition“. Seit dem vergangenen Wochenende gibt es nun eine Zusage von US-Präsident Biden. Die Lieferung von F-16 wird aber noch Monate dauern.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: epa

• F-16 "Fighting Falcon"

  

  Die „kämpfenden Falken“ F-16 sind Mehrzweckkampfflugzeuge aus US-Produktion, die über hochentwickelte Radare und Sensoren sowie Raketen verfügen. Sie sind den ukrainischen Flugzeugen aus Sowjet-Zeiten weit überlegen.
  
  Im März holte das Pentagon zwei ukrainische Militärpiloten auf einen US-Stützpunkt in Arizona, um sie mit den „Falcons“ vertraut zu machen und herauszufinden, welche Voraussetzungen die Ukrainer bereits mitbrachten. Aus informierten Kreisen verlautete, die beiden Piloten hätten F-16-Simulatoren geflogen und ein Gefühl für die Jets bekommen. Die US-Luftwaffe habe sich zudem einen Eindruck verschaffen können, wie lange ein erfahrener ukrainischer Kampfpilot an den modernen Flugzeugen ausgebildet werden müsste. Etwa vier Monate, lautete das Ergebnis.
  
  Ob die USA dann lediglich anderen Ländern die Lieferung von F-16-Kampfjets erlauben oder selbst Flugzeuge schicken, ist nach Angaben aus Washingtoner Regierungskreisen noch nicht klar. Auch gebe es noch keine Einschätzung, wie viele Flugzeuge bereitgestellt würden und wann dies der Fall sei. Die Ausbildung der ukrainischen Piloten solle zwar bald beginnen, doch sei auch noch offen, wo.
  
  Das Kampfflugzeug F-16 gehört zu den leistungsfähigsten Militärjets weltweit und kommt in mehr als zwei Dutzend Ländern zum Einsatz. Der knapp 15 Meter lange Jet der US-Firma Lockheed Martin erreicht eine Geschwindigkeit von 2.400 km/h und eine maximale Flughöhe von 15 Kilometer. Die Maschinen können sowohl in der Luftverteidigung als auch gegen Ziele am Boden eingesetzt werden, also zum Zurückdrängen feindlicher Verbände. Die F-16 ist in der Lage, auch in extrem niedriger Höhe und bei jedem Wetter zu fliegen.
  
  Der erste Prototyp stieg 1974 in die Luft, 1979 ging die F-16 bei der US-Luftwaffe in Dienst. Aktuell werden weltweit mehr als 2.800 Exemplare eingesetzt. Der Modelltyp F-16C ist ein Einsitzer, die F-16D bietet Platz für zwei. Die USA sind als Herstellerland in einer zentralen Rolle, sie müssen jeder Lieferung oder Weitergabe in die Ukraine zustimmen. Bei den US-Streitkräften sind nach Zählung des Fluginformationsportals FlightGlobal aktuell 936 F-16-Maschinen im Einsatz.
  
  Unter den vormaligen Ostblockstaaten setzen auch Polen (48 im Bestand) und Bulgarien (16 Bestellungen) auf die Flieger aus US-Produktion. Unter den NATO-Partnern haben die Türkei (243) und Griechenland (153) die größten F-16-Bestände. Unter den US-Verbündeten in Nahost verfügt Israel mit aktuell 224 „Falcons“ über den größten Bestand, gefolgt von Ägypten (218). Weitere Nutzer sind die Vereinigten Arabischen Emirate (76), Oman (23), Jordanien (59), Irak (34) und Bahrain (21). Südkorea verfügt mit 167 Stück über die meisten F-16-Militärjets in Asien. Deutschland hat keine F-16.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Prigoschin und seine Wagner-Gruppe

  

  In der Ukraine kämpfen neben der russischen Armee auch Söldner der Wagner-Gruppe. Wie viele Söldner im Einsatz sind, ist nicht genau bekannt. Die US-Regierung schätzt ihre Zahl auf 50.000 und hat Sanktionen gegen die als „bedeutende transnationale kriminelle Organisation“ eingestufte Gruppe verhängt. Die russische Regierung, die lange öffentlich Distanz zur Wagner-Gruppe wahrte, wirft den USA vor, sie grundlos zu verteufeln.
  
  Auffällig ist, dass ihr Gründer und Chef, Jewgeni Prigoschin, zunehmend Präsenz zeigt. Und das, obwohl er erst im September erstmals öffentlich einräumte, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben. Nach eigenen Angaben hat Prigoschin die Gruppe bereits 2014 gegründet.
  
  Prigoschin, 61, ist ein reicher russischer Geschäftsmann, dem Nähe zu Präsident Wladimir Putin nachgesagt wird. „Putins Koch“ wird er oft genannt, weil er Mitte der 90er Jahre ein Restaurant in St. Petersburg eröffnete, in dem Putin zu speisen pflegte, zunächst als Vizebürgermeister der Stadt, später als russischer Präsident mit seinen Staatsgästen, darunter der frühere US-Präsident George W. Bush. Seine Gastronomie baute Prigoschin zu einem Imperium aus: Er besitzt ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, sowie Trollfabriken und Medien.
  
  Silvester 2022: Prigoschin sitzt an einem Tisch mit jungen Männern. Alle tragen Camouflage, alle sind vermummt – nur er, der Chef, zeigt sein Gesicht und verkündet: „Zuerst bekämpfen wir unsere eigene Bürokratie und Korruption, dann besiegen wir die Ukrainer, die NATO und die ganze Welt.“ Mit markigen Worten wendet sich Prigoschin an seine Privatarmee, die Gruppe Wagner, und deren Fans, seine Gefolgschaft. Die Videos verbreitet er online, er inszeniert sich als der neue starke Mann Russlands, als der einzige wahre, glühende Patriot.
  
  Putin hat wiederholt gesagt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den Staat. Sie verstoße aber nicht gegen russische Gesetze und habe das Recht, überall auf der Welt zu arbeiten und ihre Geschäftsinteressen zu fördern. Das tat die Wagner-Gruppe bereits in Syrien, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Söldner bei der Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden.
  
  Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Die russische Regierung hatte Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren – Straffreiheit gegen Kriegseinsatz. „Ich habe 50.000 Häftlinge ausgesucht, von denen etwa 20 Prozent getötet wurden“, sagte der Wagner-Chef in einem am Dienstagabend von einem regierungstreuen Blogger veröffentlichten Interview. Unter den professionellen Wagner-Söldnern sei die Todesrate ähnlich hoch. „Es gibt jetzt zehntausende von Angehörigen getöteter Kämpfer. Es werden wahrscheinlich hunderttausende werden. Das kann man nicht verheimlichen“, sagte Prigoschin.
  
  Zu Sowjetzeiten saß Prigoschin wegen mehrerer Delikte selbst im Gefängnis, neun Jahre lang. 1990 kam er frei und sein Aufstieg zum Oligarchen begann. Es ist nicht klar, wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hat. Aber er scheut nicht davor zurück, sich mit dem Verteidigungsministerium anzulegen. Er beklagte öffentlich die mangelnde Unterstützung für seine Söldner. Anfang Mai wütete Prigoschin in einem Video, das ihn in Kampfmontur zeigt: „Schoigu! Gerassimow! Wo ist meine verdammte Munition?“ Und fügte hinzu: „… und der glückliche Opa denkt, dass alles gut ist. Aber wie soll man den Krieg gewinnen, wenn sich herausstellt, dass dieser Opa ein völliger Idiot ist?“ Der Kreml gab dazu keinen Kommentar.
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa

• Scholz: "Imperialistischer Wahn"

  

  Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine eine Vollmitgliedschaft in der EU nach dem Ende des russischen Angriffskrieges zugesagt. Auf dem Festakt zum 160. Geburtstag der SPD erklärte Scholz am Dienstag: „Diesen Krieg darf und wird Russland nicht gewinnen. Dieses bittere Kapitel der Geschichte unseres Kontinents, heraufbeschworen von Wladimir Putin in seinem imperialistischen Wahn, wird damit enden, dass sich die freie Ukraine als vollwertiges Mitglied der Europäischen Union anschließt.“
  
  Die EU hat unterdessen weitere Hilfsgelder in Milliardenhöhe an die Ukraine gezahlt. Die 1,5 Milliarden Euro sind bereits die vierte Tranche der Ukraine-Hilfen, wie die EU-Kommission in Brüssel mitteilte. „Seit Beginn dieses Jahres hat die EU bereits 7,5 Milliarden Euro an Makrofinanzhilfe gezahlt. Diese Mittel tragen erheblich dazu bei, den unmittelbaren Finanzbedarf der Ukraine zu decken“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Im Rahmen des Makrofinanzhilfepakets sind bis zu 18 Milliarden Euro vorgesehen.
  
  Damit sollen Löhne und Renten weiter gezahlt werden und etwa Krankenhäuser, Schulen und Unterkünfte für umgesiedelte Menschen aufrechterhalten werden. Die Hilfsmittel seien daran gebunden, dass die Ukraine bestimmte Bedingungen erfülle. Unter anderem soll der Rechtsstaat gestärkt werden und transparent gemacht werden, wohin die Gelder fließen.
  
  Seit Beginn des Krieges im Februar 2022 habe die Ukraine Hilfszahlungen in Höhe von rund 70 Milliarden Euro erhalten, hieß es in einer Mitteilung. Dazu zählte etwa finanzielle, humanitäre, haushaltspolitische und militärische Unterstützung.
  
  Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hat sich für die Lieferung deutscher Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine ausgesprochen. „Die Partner der Ukraine müssen jetzt „all-in“ gehen und der Ukraine alles liefern, was die Ukraine im Gefecht der verbundenen Waffen einsetzen kann und völkerrechtlich zulässig ist“, sagte Kiesewetter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
  
  Die Lenkwaffen mit bis zu 500 Kilometern Reichweite könnten ein „sehr hilfreicher Beitrag aus Deutschland“ sein. Der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss sagte, die Marschflugkörper ermöglichten der Ukraine „Schläge gegen die militärische Infrastruktur der Russen weit hinter der Frontlinie“. Für die Bundeswehr seien vor zehn Jahren rund 600 Taurus beschafft worden. Davon seien heute noch „um die 150“ einsatzbereit.
  
  Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) reagierte zurückhaltend. Er wolle nicht auf jedes Waffensystem eingehen und auf eine hypothetische Frage eine hypothetische Antwort geben, sagte Pistorius am Rande des EU-Verteidigungsministertreffens in Brüssel. Gleichzeitig erklärte Pistorius, er sei „der Auffassung, dass wir die Ukraine mit allen völkerrechtlich zulässigen Systemen unterstützen sollten, die es braucht, um diesen Krieg zu gewinnen und die wir imstande sind, zu geben“. Auf die Frage, ob er in einer möglichen Lieferung von F-16-Kampfjets auch eine Gefahr sehe, erklärte er: „Ich sehe kein Eskalationsrisiko an der Stelle.“
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: dpa