Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das Zögern der Europäer beim Verhängen von Energiesanktionen gegen Russland kritisiert. „Ich kann keine Unentschlossenheit tolerieren, nach allem, was wir durchgemacht haben und was Russland uns angetan hat“, sagte Selenskyj am Mittwoch in einer Videoansprache im irischen Parlament in Dublin. Die „russische Militärmaschinerie“ dürfe nicht länger mit Geld aus Energieexporten versorgt werden. Selenskyj prangerte „die prinzipielle Einstellung einiger führender Politiker und Wirtschaftsführer“ an, die Krieg und Kriegsverbrechen offenbar für weniger schlimm als finanzielle Verluste hielten. Neben Energiesanktionen forderte Selenskyj den vollständigen Ausschluss russischer Banken vom westlichen Finanzwesen.
Die 27 EU-Staaten haben das fünfte große Paket mit Russland-Sanktionen auf den Weg gebracht. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Donnerstagabend Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und Wodka sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Das bestätigten mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Erstmals ist auch der Energiesektor direkt getroffen werden. Die Bundesregierung hatte zuvor ihre Zustimmung dafür signalisiert, schrittweise auch den Energiebereich einzubeziehen.
Die deutsche Industrie unterstützt den Sanktionskurs der Bundesregierung und der Europäischen Union gegen Russland. „Die Gräueltaten in Butscha verlangen nach einer entschiedenen, unmissverständlichen Reaktion des Westens“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ein vollständiges, europaweit abgestimmtes Embargo auf russische Kohle geht über die von den Unternehmen bereits umgesetzte Reduzierung russischer Kohlelieferungen noch einmal deutlich hinaus. Die Umsetzung ist nicht einfach und hat ihren Preis, aber die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der Eskalation der Gewalt mehr als nachvollziehbar.“ Russwurm warnte indes vor einem Gasembargo, die Situation beim Gas sei völlig anders: „Ein Komplettausfall russischer Gaslieferungen, die andere Lieferanten nicht kurzfristig ersetzen können, wäre ein gewaltiger Stresstest für die EU – mit unabsehbaren Folgen für Versorgungssicherheit, Wachstum, Beschäftigung und unsere politische Handlungsfähigkeit.“
Ein Einfuhrverbot auf Öl und Gas wird unter den EU-Mitgliedstaaten stark diskutiert. Deutschland und Österreich, die besonders von Erdgas aus Russland abhängig sind, lehnen bisher ein Gasembargo gegen Russland ab. Für derartige EU-Maßnahmen ist ein einstimmiger Beschluss aller EU-Staaten nötig.
Als weitere Sanktionsmaßnahme haben EU-Mitgliedsstaaten in dieser Woche rund 200 russische Diplomaten ausgewiesen. Die Bundesregierung forderte 40 Diplomaten auf, Deutschland innerhalb von fünf Tagen zu verlassen.
Die sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) haben heute wegen des Ukraine-Kriegs neue Sanktionen gegen Russland angekündigt. "Wir untersagen neue Investitionen in Schlüsselbranchen der russischen Wirtschaft einschließlich des Energiesektors", hieß es in einer am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Erklärung der Staatengruppe. Zudem solle "das Ausfuhrverbot auf höher entwickelte Produkte und bestimmte Dienstleistungen" weiter ausgebaut werden. "Wir werden auch Einfuhrbeschränkungen auf eine Reihe von Exportprodukten verschärfen, mit denen Russland seine Einnahmen erhöht", hieß es weiter, ohne konkrete Produkte zu nennen. Auch "staatlichen Entitäten, die zentrale Triebfedern der russischen Wirtschaft bilden", würden weitere Sanktionen auferlegt. Die "Kampagne gegen die Eliten und ihre Familienangehörigen, die Präsident Putin in seinen Kriegsanstrengungen unterstützen und die Ressourcen der russischen Bevölkerung vergeuden", werde fortgesetzt und verstärkt, hieß es.
Der US-Kongress hat wegen des Ukraine-Krieges die Aussetzung der normalen Handelsbeziehungen zu Russland beschlossen. Der Senat und das Repräsentantenhaus verabschiedeten am Donnerstag einen entsprechenden Gesetzentwurf, der den Weg für höhere Zölle auf russische Waren freimacht. Im Senat fiel der Beschluss in einem seltenen einstimmigen Votum. Im Repräsentantenhaus gab es für die Änderung eine überwältigende Mehrheit bei lediglich drei Gegenstimmen. Der Präsident muss das Gesetz nun noch unterzeichnen. Konkret geht es um handelspolitische Vergünstigungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), die aufgehoben werden. Russland wird der Status als "meistbegünstigte Nation" entzogen. Dieser Grundsatz schreibt die Gleichbehandlung der Länder in der WTO bei Zöllen und anderen Regulierungsmaßnahmen vor. Moskau kann diese Maßnahme vor dem Streitschlichtungsausschuss der WTO anfechten.
Die UN-Vollversammlung hat am Donnerstag die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ausgesetzt. Die entsprechende Resolution war von Großbritannien und den USA eingebracht worden. 93 Mitglieder stimmten dafür, darunter Deutschland und die USA. 58 Mitglieder enthielten sich. 24 Mitglieder stimmten dagegen, darunter neben Russland unter anderem noch Algerien, Bolivien, China, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Äthiopien, der Iran und Syrien. Insgesamt kam so die notwendige Zweidrittelmehrheit zusammen, für die Enthaltungen nicht gezählt wurden. Russland verliert nun alle Rechte seiner Mitgliedschaft, das Land kann beispielsweise an den Sitzungen des Menschenrechtsrats nicht mehr teil-nehmen, auch nicht als Beobachter.
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja nannte den Antrag schon vor der Abstimmung „unglaublich“. Der Westen versuche, Russland von „multilateralen Foren“ auszuschließen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte in Moskau, „die Einschränkung der Möglichkeiten zur diplomatischen Kommunikation in einem solch beispiellos schwierigen Krisenumfeld ist ein kurzsichtiger Schritt.“ Dadurch werde der für eine Lösung des Konflikts erforderliche Dialog zwischen Moskau und der EU weiter erschwert. Die Ausweisung der russischen Diplomaten werde „unweigerlich zu Vergeltungsmaßnahmen führen“, fügte Peskow hinzu.
Quellen: Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna / DLF
Bildquelle: epa
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