Der BVB muss im Meisterschafts-Showdown beim FC Bayern (18:30 Uhr) ein kniffliges Abwehrpuzzle lösen. Die jüngsten Ausfälle sowie die Ungewissheit um die Rückkehr der Rekonvaleszenten zwingen Trainer Favre zu komplizierten Planspielen.
Wenn die Abwehr auf dem Rasen nur halb so gut funktionierte wie bei Lucien Favres Pressearbeit - Borussia Dortmund könnte schon vorm Topspiel beim FC Bayern den neunten Meistertitel der Klubgeschichte feiern. Der BVB-Trainer lässt keinerlei Fragen durch die Deckung. Seine Ziele? Es zählt nur das nächste Spiel. Was bedeutet der Liga-Showdown? Schwer zu sagen. Wer ist fit für München? Wir müssen abwarten. Lucien Favre - das personifizierte Medien-Bollwerk. So geht das schon die ganze Saison, seit Favre bei den Westfalen anheuerte.
Vermutlich macht sich der stille Schweizer inzwischen sogar einen Spaß daraus, die Zeit seiner Gesprächspartner möglichst umfänglich zu verschwenden. Andererseits gibt es vorm Gipfeltreffen des Bundesliga-Spitzenreiters beim zwei Punkte dahinter lauernden Titelverteidiger wohl wirklich Dinge, die sich erst vor Anpfiff klären. Ob Mario Götze wirklich wieder den verletzt zuhause gebliebenen Paco Alcacer ersetzt. Und vor allem: Wie Favre trotz der jüngsten Ausfälle eine solide Defensive formt.
Probleme auf den Außen
Denn der BVB muss im wichtigsten Saisonspiel ein kniffliges Abwehr-Puzzle lösen. Achraf Hakimi, Senkrechtstarter der Hinrunde, war schon seit Februar im Formtief verschwunden, ehe er sich am Samstag gegen Wolfsburg den Mittelfuß brach. Der Marokkaner ist bereits operiert und steht erst nächste Spielzeit wieder zur Verfügung. In Abdou Diallo hat sich beim jüngsten Last-Minute-Erfolg der Drama-Dortmunder ein weiterer Außenverteidiger krankgemeldet. „Muskuläre Probleme“ gibt der BVB nebulös an. Der Franzose steht zwar im Kader, aber ob es bei ihm für das 100. Duell der Liga-Schwergewichte reicht? Wer weiß. Zu allem Überfluss fällt kurzfristig nun auch noch Raphael Guerreiro aus, der als erster Ersatzkandidat für die Position hinten links galt.
Gut möglich, dass mal wieder Marcel Schmelzers Stunde schlägt. Der Kapitän spielt eigentlich keine Rolle mehr in Favres Gedanken - spätestens seit Dortmunds Champions-League-Debakel bei Tottenham Hotspur. Der Not folgend, könnte ihm gemeinsam mit Marius Wolf die undankbare Aufgabe zufallen, die flinken Bayern-Wirbler Serge Gnabry und Kingsley Coman einzudämmen. Vermutlich im bewährten 4-2-3-1-System. Aber auch das birgt einige Risiken. Schmelzer fehlt die Spielpraxis, und Offensiv-Spezialist Wolf hilft zwar schon seit fünf Partien als rechter Verteidiger aus, überzeugt hat er aber bislang nie so recht.
Gegentor-Flut im Dellen-Monat
Denn defensiv wackelt Wolf, und im Spiel nach vorne fehlt die Effektivität aus Frankfurter Zeiten. Vom „Kicker“ gab es daher gleich vier Mal die Note 4. Wolf dürfte von seinem Vordermann Hilfe benötigen. Der etatmäßige Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek hat die letzten neun Pflichtspiele der Borussia verpasst, aufgrund vage kommunizierter „Fersenprobleme“. Seit Dienstag trainiert der Routinier zwar wieder voll mit, aber ein Kaltstart beim Kracher wäre ein Risiko. Auch eine Rückkehr von Edelhelfer Julian Weigl in die Defensive, etwa als Chef einer Dreier- bzw. Fünferkette, dürfte für den konservativen BVB-Coach ein zu großes Wagnis sein.
Umso wichtiger, dass die Borussia im Zentrum wieder stabiler steht und der heikle Dellen-Monat Februar überwunden ist. Da kassierte der BVB 13 Gegentore in sechs Spielen, verletzungsbedingt in immer neuen Abwehr-Konstellationen. Die Folge: Aus im DFB-Pokal, Aus in der Königsklasse und der Neun-Punkte-Vorsprung auf Verfolger Bayern verspielt. Die Rückkehr von Manuel Akanji und Dan-Axel Zagadou hat der Elf gut getan, beide waren schon im ersten Saisondrittel Garanten einer stabilen Defensive - Grundlage für den Favre-Fußball und die starke Hinrunde der Westfalen. Akanji sorgt für Ruhe, Souveränität und sicheres Aufbauspiel, Hüne Zagadou ist für die Lufthoheit zuständig und steht trotz seiner erst 19 Jahre sicher, vom Schnitzer in Augsburg mal abgesehen.
Favre zieht die nächste Mauer hoch
„Wir brauchen eine Top-Leistung, um in München zu bestehen“, sagt BVB-Sportdirektor Michael Zorc vorm Showdown am 28. Spieltag. Das gilt insbesondere für die Innenverteidiger, wenn sie Bayerns Robert Lewandowski auf dem Weg zum 200. Bundesliga-Tor bremsen wollen. Beim 3:2-Sieg der Borussia im Hinspiel gelang es beiden jedenfalls nicht, den Stürmerstar am Doppelpack zu hindern. Aktuell 19 Liga-Treffer und 11 Assists des Münchners sollten Warnung genug sein.
Egal wie die Partie ausgeht, danach müssen die Schwarz-Gelben vermutlich noch mal zum Chef: zur Nachhilfe in Sachen Defensivhaltung. Der bezeichnete das Highlight-Spiel zwar immerhin als „etwas speziell“, für den Endspurt um die Meisterschale zog Favre aber schon vorab die nächste Abwehrmauer hoch: „Wenn wir gewinnen, ist es noch nicht fertig. Wenn wir unentschieden spielen, ist es noch nicht fertig. Und wenn Bayern gewinnt, ist auch noch alles offen.“