Chris Froome fehlt - doch sein Team, das unter dem neuen Namen INEOS startet, hat zwei weitere heiße Kandidaten auf den Tour-Gesamtsieg. Emanuel Buchmann wird da nicht mitreden können, wohl aber im Kampf um einen Platz in den Top 10.
Der kapitale Sturz von Christopher Froome beim Zeitfahren im Criterium du Dauphiné hat das Vorhaben des Briten verhindert, seinen fünften Gesamtsieg zu erringen und mit den Größten des Gewerbes gleichzuziehen - mit Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain.
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Froomes Teamkollegen, dem Vorjahressieger Geraint Thomas, 33, und dem erst 22 Jahre alten Kolumbianer Egan Bernal, ist Großes zuzutrauen. Bernal gewann gerade souverän die Tour de Suisse, wo er vor allem an den Anstiegen alle anderen stehen ließ. Zuvor beim Giro hatte den Mann aus den Anden wohl nur ein Schlüsselbeinbruch am geplanten Gesamtsieg verhindert. Nun ist er zurück und hat ein neues Ziel.
Thomas und Bernal bilden fürs Erste eine Doppelspitze. Wer als Kapitän die volle Unterstützung genießt, wird sich wie im letzten Jahr beim Duell zwischen Froome und Thomas erst während der Tour entscheiden.
Ein starkes Dutzend
Insgesamt lässt sich ein gutes Dutzend Fahrer nennen, das Chancen auf einen Spitzenplatz besitzt. Der Däne Jakob Fuglsang von Astana fährt die stärkste Saison seiner Karriere und gewann das wichtigste Vorbereitungsrennen, die einwöchige Dauphiné-Rundfahrt. Aber kann er ein hohes Niveau auch über drei Wochen halten?
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Simon und Adam Yates (Mitchelton-Scott) gelten als hervorragende Bergfahrer, doch haben auch die britischen Zwillinge oft schon einen dieser bei Radsportlern gefürchteten Tage erlebt: den "jour sans", wenn gar nichts läuft und der Zeitrückstand exponentiell anwächst.
Im spanischen Movistar-Team gibt's eine ähnliche Konstellation wie bei INEOS: Mit Nairo Quintana (Kolumbien) und Mikel Landa (Spanien) zwei starke Kapitäne, bei denen sich aber nicht immer einer dem anderen unterordnen will.
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Die Franzosen hoffen auf Thiebaut Pinot und Romain Bardet, doch deren Form müsste sich in den letzten Tagen vor Tourbeginn noch erheblich verbessern, wollten sie den Traum vom ersten Gesamtsieg seit 1986 (Bernard Hinault) für die Gastgeber erfüllen.
Der Italiener Vincenzo Nibali, letzter Nicht-Brite als Gesamtsieger 2014 (damals stürzte Froome und gab auf), hat den Giro in den Beinen - gut oder schlecht für ihn? Der Vorjahreszweite Tom Dumoulin startet nicht wegen anhaltender Knieschmerzen. Und dem Vierten von 2018, dem Slowenen Primoz Roglic, ist die Belastung nach der Italien-Rundfahrt zu hoch - er bleibt der Tour ebenfalls fern.
Die Chancen der Deutschen
Elf Deutsche, verteilt auf acht Mannschaften, sind diesmal am Start. Das ist eine durchschnittliche Zahl. Fehlen wird mit John Degenkolb ein Etappensieger des Vorjahres. Der Roubaix-Gewinner passt nicht ins taktische Konzept seiner Equipe.
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Emanuel Buchmann, Kaptiän der deutschen BORA-hansgrohe-Mannschaft will unter die besten Zehn der Gesamtwertung kommen. Und das erscheint realistisch, denn der stille Oberschwabe hat ein starkes Frühjahr gezeigt. Dieses gipfelte zuletzt in Platz drei beim Criterium du Dauphiné.
Buchmann hat sich Jahr für Jahr kontinuierlich gesteigert. Wenn ihm das Höhentraining in Livigno den letzten Schliff gegeben hat, könnte er der erste Deutsche seit zehn Jahren sein, der einen einstelligen Gesamtrang belegt (2009 wurde Andreas Klöden Sechster).
Große Unterstützung in Buchmanns Team wird auch Peter Sagan zukommen - dies aber eher auf Sprintetappen.
Team-Arbeiter
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Marcus Burghardt, der erfahrene Sachse im Buchmann-Team verkörpert den Typus des uneigennützigen Teamarbeiters. Simon Geschke, Berliner mit Bart, war auch so einer, aber er ist nicht mehr so extrem taktisch gebunden wie bei Sunweb, wo er für Tom Dumoulin fuhr. Bemerkenswert, wie der Etappensieger von 2015 (Sieg bei der Bergankunft in Pra Loup) nach Schlüsselbeinbruch zu Saisonbeginn wieder in Fahrt gekommen ist.
Mit Außenseiterchancen
Auch Nikias Arndt, der schon einmal am Etappenerfolg schnuppern durfte (Zweiter 2017 in Salon-de-Provence) und sein junger Teamkollege Lennart Kämna, mit 22 Jahren das deutsche Nesthäkchen, könnten es bei günstigem Rennverlauf mal in vordere Regionen schaffen. Sie fahren jetzt beim deutschen Team Sunweb, wo die kurzfristige Absage des letztjährigen Tour-Zweiten Tom Dumoulin ein Vakuum hinterlässt.
Tony Martin, viermaliger Weltmeister im Zeitfahren, hat mit inzwischen 34 Jahren den Traum längst ausgeträumt, zum Klassementsfahrer zu reifen. Zu viel Gewicht verlieren müsste er für die Berge, was Substanzverlust auf anderen Gebieten zur Folge hätte. Diese Gewinn-Verlust-Rechnung führt dazu, dass Martin nur an einem einzigen Tag auf eigene Rechnung fahren darf, nämlich beim Kampf gegen die Uhr in Pau.
Fürs Mannschaftszeitfahren und für die Sprintvorbereitung benötigt man ihn bei Jumbo-Vismar als Lokomotive - und Martin wird diese Arbeit bestimmt gewissenhaft verrichten.
Etappensieg-Jäger
Bei der Vergabe der Etappensiege könnten Nils Politt und Maximilian Schachmann ein Wörtchen mitreden.
Beide verkörpern die neue deutsche Radsport-Generation, sind extrem vielseitig und taktisch versiert. Und beide hatten ein erfolgreiches Frühjahr.
Schachmann weist schon sechs Saisonsiege auf. Etappenerfolge bei der Katalonien- und der Baskenland-Rundfahrt, vor allem aber Platz drei beim Ein-Tages-Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich belegen: der Berliner ist ein Mann für besondere Aufgaben.
In seiner Equipe um Sagan und Buchmann wird er mehr Freiheiten als andere bekommen. Das gerade erst gewonnene Trikot des Deutschen Meisters wird Schachmann durch offensive Fahrweise sicherlich auffällig präsentieren.
Flucht-Spezialist
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Politt sorgte mit seinem zweiten Platz beim Radsport-Monument Paris-Roubaix für ähnliches Aufsehen. Der schlaksige Kölner ist ein Mann für Fluchtgruppen, aus denen heraus er einer der schnellsten im Finale sein könnte. In seinem nicht gerade erfolgsverwöhnten Team Katusha-Alpecin ist Politt einer der wenigen Hoffnungsträger.
Buchmann, Schachmann, Politt - diese drei Fahrer könnten auch international für Aufsehen sorgen - auf unterschiedlichen Gebieten. Aber vielleicht hat auch einer der acht anderen einen großen Tag?