"Derbysieger, Derbysieger, hey, hey!" schallt es aus der Schalker Kabine, als die U12 der Königsblauen vor 14 Tagen den BVB mit 6:0 vom Platz fegt. Schön wär's, denken sich die Gelsenkirchener mit Blick auf das "große Derby".
Quelle: ap
Wenn sich am Samstag um 15.30 Uhr (ab 23 Uhr im ZDF-Sportstudio) in der Schalker Arena die beiden Ruhrpott-Rivalen zum 93. Nachbarschaftsderby in der Bundesliga und zum 153. Pflichtspiel-Duell überhaupt gegenüber stehen, dann ist der FC Schalke nämlich alles andere als der Favorit. Im Gegenteil, selbst einige eingefleischte Knappen gehen von einem Auswärtssieg des ungeschlagenen Spitzenreiters Dortmund aus. Und nur Daueroptimisten im Schalker Lager setzen auf die besonderen Gesetze dieses ewig spannenden Duells.
Vorbild Borussia
Ja, sogar S04-Manager Christian Heidel lobt den Nachbarn aus Dortmund für seine jüngste Erfolgsgeschichte, nachdem die Schalker in der vergangenen Saison nicht nur die Derbybilanz (4:4/2:0) für sich entscheiden konnten, sondern als Vizemeister endlich auch mal wieder in der Abschlusstabelle der Bundesliga die Schwarz-Gelben hinter sich ließen. Aktuell sieht die Situation aber ganz anders aus, der unter Trainer Lucien Favre runderneuerte BVB rangiert aktuell mit 19 Punkten Vorsprung vor dem Tabellenzwölften Schalke.
Ein wesentlicher Grund für den Dortmunder Aufschwung ist die optimierte Nachwuchsarbeit. "Der BVB hat die wirtschaftlichen Möglichkeiten, in junge Spieler zu investieren, auch wenn immer ein wirtschaftliches Risiko besteht. Das haben die Dortmunder einfach gut gemacht und das ist neben der eigenen Jugendarbeit in der Knappenschmiede sicher auch ein zukünftiges Ziel von Schalke 04", sagte Heidel.
"Knappenschmiede" abgehängt
Jahrelang galt die "Knappenschmiede" unter Trainer-Guru Norbert Elgert in Fußball-Deutschland und sogar darüber hinaus als Vorzeigemodell für die perfekte Ausbildung. Allein vier Weltmeister – Manuel Neuer (Bayern München), Benedikt Höwedes (Lokomotive Moskau), Mesut Özil (FC Arsenal) und Julian Draxler (Paris St. Germain) – gingen durch die Schule des 61-Jährigen. In Joel Matip (FC Liverpool), Sead Kolasinac (Arsenal), Leroy Sané (Manchester City) sowie Thilo Kehrer (Paris) schafften weitere Youngster den Sprung aus Elgerts U19 in die Bundesliga, in die Nationalelf und sogar zu Weltklubs. Ja, der Schalker Jungbrunnen schien unaufhörlich zu sprudeln und brachte dem Klub so über 120 Millionen Euro an Ablöse ein.
Das ist vorbei. Neben Torhüter und Kapitän Ralf Fährmann ist der US-Amerikaner Weston McKennie aktuell der einzige Spieler im Kader von S04-Trainer Domenico Tedesco, der aus dem eigenen Nachwuchs hochrückte. Einen gebürtigen Gelsenkirchener sucht man dort vergebens, der letzte war Kaan Ayhan und spielt inzwischen bei Fortuna Düsseldorf.
Vormachtstellung ist Geschichte
Dass Schalke seine Vormachtstellung in der Talentschmiede verloren hat, liest sich auch in der Tabelle der U19- und U17-Bundesliga. Während die Knappen bei den A-Junioren immerhin Zweiter hinter Borussia Dortmund sind, rangiert Schalke im jüngeren Jahrgang unter ferner liefen: Platz sechs, zuletzt holten sich die Jungs von Trainer Frank Fahrenhorst sogar eine 2:3-Niederlage beim Nobody SG Unterrath ab.
"Nur weil wir Zweiter sind, sehe ich uns noch nicht als Spitzenmannschaft", sagte Elgert erst letzte Woche nach einem 4:2 im kleinen Derby gegen den VfL Bochum dem "RevierSport" und mahnte angesichts von nur einem Punkt in der aktuellen Youth League: "International sowieso nicht, aber das muss der Schalker Anspruch sein."
Noch schlimmer: Schalke droht den nächsten vielversprechenden Youngster zu verlieren, und zwar Ahmet Kutucu. Der FC Bayern scheint ein Auge auf den gebürtigen Gelenkirchener geworfen zu haben, jedenfalls war Hermann Gerland, Leiter des Münchner Nachwuchsleistungszentrums am Sonntag beim Duell der Schalker U 19 gegen Bochum in Ückendorf vor Ort und lobte den 18-jährigen Deutsch-Türken: "Den habe ich im Vorjahr bereits im Finale gegen Hertha BSC gesehen. Auch damals war er schon der beste Schalker. Das ist ein guter Spieler, ja", erklärte der "Tiger" gegenüber "RevierSport". Obwohl Kutucu bis 2020 vertraglich an Schalke gebunden ist, befürchten die S04-Fans schon den Weggang des vielseitigen offensiven Mittelfeldspielers.
Top-Scouting beim BVB
Der BVB ist da deutlich besser aufgestellt: Jadon Sancho, Jacob Bruun Larsen, Christian Pulisic, Abdou Diallo, Manuel Akanji und Achraf Hakimi sorgen gerade für ordentlich Furore. Sie sind zwar keine Dortmunder Jungs im ursprünglichen Sinne, aber die Westfalen haben es vermocht, Toptalente früh zu sichten und an sich zu binden. Nun spricht ganz Europa von den "jungen Wilden" aus Dortmund. Was für die Fans eines Traditionsklubs, der sich trotz allem Kommerz und über 500 Millionen Euro Umsatz im Jahr auf seine Wurzeln in der Region beruft, wichtig ist: Immerhin ein Spieler im Kader ist auch ein gebürtiger Dortmunder: Weltstar Marco Reus. Genügend Stallgeruch bringen außerdem Marcel Schmelzer und Mario Götze mit, die früh in der eigenen Jugend auf sich aufmerksam machten und dann beim BVB Profis wurden.
Schalke hat das Problem erkannt und sich nicht nur im Scouting neu aufgestellt, sondern steckt auch viel Geld in die Infrastruktur. 90 Millionen Euro gibt der Verein für den Umbau seines Vereinsgeländes an der Arena aus – um wieder Toptalente zu fördern und dem Nachbarn nicht mehr hinterher zu laufen.