Es ist gerade mal vier Monate her, da kursierte das Gerücht, Borussia Dortmund sei an der Verpflichtung des Werder Bremen-Trainers Florian Kohfeldt interessiert. Beide Teams hatten sich in Dortmund gerade 2:2 getrennt und waren holprig in die Saison gestartet. Kohfeldt, der zu Saisonbeginn seinen Vertrag bei Werder vorzeitig bis 2023 verlängert hatte, galt dennoch als Trainer-Shootingstar, Lucien Favre dagegen trotz seiner Erfolge als zu introvertiert für den schwarz-gelben Emotionsfußball.
Veränderte Vorzeichen
Wenn sich beide Teams heute zum DFB-Pokal-Achtelfinale im Weserstadion wiedertreffen, sind die Vorzeichen komplett verändert. Favre hat den BVB nicht nur in der Spitze festgesetzt, sondern lässt seine Jungstars Jadon Sancho, Achraf Hakimi und Erling Haaland begeisternden Offensiv-Fußball spielen.
Auf der anderen Seite ist aus Werders Stotter-Start ein freier Fall Richtung Abstieg geworden, der nach dem blutleeren Auftritt beim FC Augsburg (1:2) in den Bremer Leitmedien erstmals die Frage aufkommen ließ, ob Kohfeldt noch Teil der Lösung oder schon des Problems ist.
Sie können auch anders
Je weiter entfernt von Bremen, desto größer ist die Verwunderung darüber, dass die Position des Trainers erst jetzt und so vorsichtig in Frage gestellt wird. Schließlich hat Werder die schlechteste Bundesliga-Hinrunde der Geschichte gespielt und ist nach der Ergebniskrise im ersten Saisondrittel in eine Leistungskrise geschlittert, die selbst bei den größten Optimisten für Ratlosigkeit sorgt. Von den fünf Nachbarn im Tabellenkeller haben alle bis auf den SC Paderborn den Trainer gewechselt.
In Bremen sagt der Geschäftsführer Sport Frank Baumann: "Wir haben keine Zweifel an Florian." Nun genießt Werder zwar den Ruf, dass die üblichen Mechanismen des Geschäfts, wonach bei ausbleibenden Leistungen der Trainer zu gehen hat, später greifen als anderswo. Die relativ kurzen Amtszeiten der Kohfeldt-Vorgänger Robin Dutt, Viktor Skripnik und Alexander Nouri zeigen aber, dass sie in Bremen auch anders können.
Der 360-Grad-Trainer
Kohfeldts Rückhalt hat zum einen damit zu tun, dass intern die außergewöhnliche Verletzungsserie als Hauptursache für die Krise angesehen wird. Noch wichtiger für die Unterstützung ist allerdings die starke Persönlichkeit Kohfeldts und seine daraus resultierende Rolle im Gesamtkonstrukt Werder Bremen. In der ist er wesentlich mehr als ein Trainer, sondern die zentrale Figur, die in alle Richtungen wirkt. Bei der Vertragsverlängerung Anfang der Saison sagte Baumann über ihn, man spüre "dass er diese Mannschaft, aber auch den Verein, jeden Tag verbessern möchte".
Mit Baumann und Aufsichtsratschef Marco Bode bildet Kohfeldt ein Triumvirat, das ähnlich tickt und sich darauf eingeschworen hat, in längeren Entwicklungslinien zu denken. Dazu gehört es auch, Täler gemeinsam zu durchschreiten.
Von der Kurve gefeiert
Die Zurückhaltung der Medien mit Entlassungsforderungen erklärt sich zum großen Teil aus der sehr kommunikativen und verbindlichen Art, in der Kohfeldt mit ihnen umgeht. Selbst in größten Stresssituationen nimmt er sich Zeit, seine Sicht der Dinge zu erläutern und speist die Zuhörenden nicht mit Floskeln ab, sondern macht sie in der Regel klüger.
Eine besondere Wechselwirkung gibt es auch zwischen Kohfeldt und den Fans. Negativ-Sprechchöre im Stadion bleiben bislang aus, in der Kurve wurde er auch nach der letzten Heimniederlage gegen Hoffenheim gefeiert. "Eine Menge Leute würden mit dir zur Not auch in die zweite Liga gehen", heißt es in einem Facebook-Post der Fankneipe "Eisen". Der in der Nachbarstadt Delmenhorst aufgewachsene Ex-Torwart Kohfeldt war früher selbst einer von ihnen. Und ein bisschen ist er es immer noch.
Der Fan im Trainer
"Wenn ich das Gefühl hätte, dass die Mannschaft einen neuen Impuls braucht, oder in irgendeiner Form nicht mehr das absolute Vertrauen der Mannschaft da ist, dann gewinnt der Werder-Fan in mir", sagte er am Sonntag. Sprich: nur dann würde er von sich aus über eine Trennung nachdenken. Das Vertrauen der Mannschaft in ihn und seine Lösungsansätze scheint ungebrochen.
Die Spieler wirken allerdings so fixiert auf seine Matchpläne, dass sie nicht im Stande sind, aus sich heraus Lösungen zu finden, wenn der Plan nicht aufgeht. Dann verzagen sie und das Team löst sich in seine Einzelteile auf, wie in der zweiten Halbzeit in Augsburg.
Abwechslung Pokal
Für einen jungen Trainer in seiner zweiten ganzen Bundesliga-Saison moderiert Kohfeldt die "dramatische Situation" (Baumann), bislang sehr nervenstark und souverän. Die Frage ist, wie stabil das Bremer Konstrukt ist, wenn es richtig zum Krach kommt - etwa nach einer weiteren Niederlage im nächsten Heim-Spiel gegen Union Berlin. Das Pokalspiel ist da erstmal eine willkommene Abwechslung von der Liga-Tristesse, oder wie Frank Baumann sagt, "eine Chance, wieder Selbstvertrauen zu tanken".