Der Leichtathletik-Trainer Karl-Heinz Düe hat so manchen Parasportler zum Weltklasseathleten geformt. Der Lohn: Er darf nicht in Rente. Zumindest bis zu den Paralympics 2020 ist der 70-Jährige weiterhin Teil des enormen Aufschwungs im Behindertensport.
Die ungewöhnlichste Frage, mit der Karl-Heinz Düe in seinen 45 Jahren als Leichtathletik-Trainer beim TSV Bayer 04 Leverkusen konfrontiert worden ist, kam von Jörg Frischmann. Düe konnte sie nicht sofort beantworten, er holte zunächst den Rat seiner Frau ein. "Schatz, da ist ein Sportler, der hat keine Finger und keine Füße und fragt, ob ich ihn trainieren kann", erzählte er am Abend zu Hause. Wäre Iris Düe von diesem Ansinnen so irritiert gewesen wie ihr Mann, wäre die Geschichte an dieser Stelle zu Ende. Ihre Antwort lautete jedoch: "Das ist doch kein Problem. Behandele ihn wie alle anderen, dein Mitleid will er sicher nicht."
Einer der kompetentesten Trainer im Behindertensport
Heute ist Karl-Heinz Düe einer der kompetentesten Trainer im Behindertensport. Wobei er keinen Unterschied macht zwischen seinen olympischen (etwa Jennifer Oeser, zweimal WM-Zweite im Siebenkampf) und paralympischen (etwa Heinrich Popow mit unter anderem zwei Olympiasiegen und dreimal WM-Gold im Weitsprung und Sprint) Athleten. "Ich bin Leichtathletik-Trainer, und Punkt", sagt Karl-Heinz Düe.
Als Frischmann 1992 zu Düe kam, hatte er gerade bei den Paralympics in Barcelona Gold im Kugelstoßen und Silber im Speerwerfen gewonnen. Er wollte professioneller trainieren, wirklichen Hochleistungssport betreiben, das war damals noch ungewöhnlich im Parasport. Düe steckte ihn in eine Gruppe mit seinen nichtbehinderten Athleten. Frischmann holte 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney drei weitere paralympische Medaillen - und sorgt als Parasport-Geschäftsführer bis heute beim TSV Bayer 04 dafür, dass Behindertensportler beste Trainingsbedingungen vorfinden.
Etwa 30 Para-Leichtathleten betreiben in Leverkusen Leistungssport, der Schwerpunkt liegt beim Sprinten und Springen mit Beinprothese(n) oder Beinbehinderung. Prothesen-Weitspringer Markus Rehm gehört zum Team, Weltrekordhalter, dreimaliger Paralympicssieger und sechsmaliger Weltmeister. Er wird von der ehemaligen Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius trainiert. Und Johannes Floors gehört dazu, beidseitig unterschenkelamputierter Sprinter, der zuletzt bei der WM in Dubai mit zwei Siegen in Weltrekordzeit über 100 und 400 Meter für Furore sorgte. Er wird von Düe trainiert. Wieder.
Eigentlich bereits in die Rente verabschiedet
Denn eigentlich hatte sich der 70-Jährige bereits in die Rente verabschiedet. Seit Sydney 2000 hat er alle Paralympischen Spiele mitgemacht. Als er auch noch olympische Athleten betreute, war er zeitweise drei Monate pro Jahr unterwegs. "Und da sind die Wochenenden noch gar nicht mit eingerechnet", erzählt Düe. Ihm reichte es. Seiner Frau auch. Es sollten jüngere Trainer übernehmen.
Aber die Athleten probten den Aufstand. Sie wollten ihren alten Coach zurück. Dabei war Düe nie zimperlich mit seinen Sportlern. David Behre, beidseitig unterschenkelamputierter Sprinter und mehrfacher Gewinner von Paralympics-Medaillen, erzählt, wie er 2008 zu Düe in die Trainingsgruppe kam und sich mit nicht behinderten Sprinterinnen und Mehrkämpferinnen messen musste: "Ich bin erst mal hinterher gelaufen." Demoralisiert hat ihn das nicht. Im Gegenteil, es war ein Ansporn. "Wer will schon gegen Frauen verlieren?
Paralympics 2020 in Tokio
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Rasante Entwicklung im Parasport
Egal ob die zwei Beine haben oder nicht", sagt Düe - der den Ruf der Athleten vor einem Jahr nicht mehr ignorieren konnte und bis zu den Pralympics 2020 in Tokio doch wieder tagtäglich in der Trainingshalle steht. Er hat so viele Athleten fit für große Medaillen gemacht - nun sollen doch noch einige mehr folgen. "Wenn man über so viele Jahre etwas aufgebaut hat und dann sieht, es klappt überhaupt nicht, dann will man sich das natürlich nicht kaputt machen lassen", sagt Düe.
Nicht nur in Leverkusen hat sich der Parasport rasant entwickelt, weltweit sieht es ähnlich aus. Die WM-Siege und Weltrekorde von Johannes Floors haben es in diesem Jahr in die "Tagesschau" geschafft. "Das war im Jahr 2000 nicht vorstellbar", so der Leverkusener Trainer. Aber auch die Leistungen der Athleten hätten sich "enorm entwickelt". Das mache den Einstieg für Anfänger schwerer, die Wettkämpfe dafür um so rasanter und spannender. Ein Ende der Entwicklung sei nicht in Sicht. Weshalb die Vorfreude auf Tokio 2020 groß ist.