Joachim Löw findet in der WM-Saison eine bemerkenswerte Personalsituation vor. Zuvorderst der Confed-Cup hat das Tableau der Topspieler noch einmal vergrößert, auch wenn der Bundestrainer vor dem WM-Qualifikationsspiel in Prag gegen Tschechien (20.45 Uhr) auf viele etablierte Stammkräfte in der Startelf setzt.
Touristenmagneten hat Prag eine ganze Menge zu bieten. Das Gedränge ist groß in diesen Spätsommertagen in der Moldaustadt, wenn sich Menschen aus aller Welt mit Kamera oder Smartphone vor den architektonischen Traumkulissen wie der Karlsbrücke und dem Wenzelsplatz, dem Altstädter Ring oder Hradschin ablichten.
Süße Erinnerungen an Prag
Auch Joachim Löw hat die Sehenswürdigkeiten im letzten Jahrzehnt schon abgeklappert. „Ich war zweimal privat in Prag“, verriet der Bundestrainer auf der Pressekonferenz vor dem WM-Qualifikationsspiel Tschechien gegen Deutschland (Freitag 20.45 Uhr). Fußballerisch kramte der 57-Jährige aus den Erinnerungen neben einer EM-Qualifikationspartie von vor zehn Jahren auch noch ein Europapokalspiel mit dem VfB Stuttgart hervor, das er einst als Bundesliga-Trainer in der Hauptstadt erlebte.
Das Viertelfinale im längst eingemotteten Europapokal der Pokalsieger, mit 2:0 und 1:1 setzten sich die Schwaben damals durch. Fast zwei Jahrzehnte ist das jetzt her, und nun erlebt die inzwischen aufwändig von einem chinesischen Investor renovierte Spielstätte des tschechischen Meisters den nächsten Löw-Auftritt. Es soll wieder eine Demonstration der Stärke werden.
Lässige Ansage
„Wir wollen die weiße Weste behalten“, verlangte Löw, der vom Weltmeister erwartet, „dass wir Tschechien über unsere offensive Kraft in den Griff bekommen“. Der Fußballlehrer befindet sich in einer höchst komfortablen Situation: durch den fast zeitgleichen Gewinn von U21-Europameisterschaft und Confed-Cup ist das Portfolio an Topspielern so groß wie nie zuvor. Oder wie Löw am Donnerstag sagte: „Die Weiterentwicklung in der Breite hat gut getan.“
Der lässige Genussmensch, der zum öffentlichen Verhör im Mannschaftshotel im Herzen der Hauptstadt entspannt seine Tasse Espresso mitbrachte, kann in aller Ruhe den Ausscheidungskampf um die 23 Plätze im nächsten Sommer für die WM 2018 begutachten. Und für seine Ansage, „ein Freiticket hat niemand“, muss er nicht einmal die Stimme heben: Das reiche Reservoir aus den deutschen Talentschmieden ermöglicht es, beinahe jeden zu ersetzen.
Es gibt einige Fixpunkte
Sogar seinen Stammtorwart und Kapitän Manuel Neuer hat Löw ja zuhause gelassen, obwohl der nach seinem Fußbruch wieder genesene Keeper nach eigenem Bekunden heilfroh gewesen wäre, wenn er im Nationaltrikot weitere Spielpraxis gesammelt hätte. So aber kommt Marc-Andre ter Stegen, der sich schon beim Confed-Cup im Ausscheidungskampf gegen Bernd Leno und Kevin Trapp durchgesetzt hatte, zu seinem 15. Länderspiel.
Die Fixpunkte an Feldspielern hat der Trainer für das Tschechien-Spiel namentlich benannt: Mats Hummels in der Abwehr, Joshua Kimmich und Jonas Hector auf den Außenbahnen, dazu Toni Kroos, der beim FC Arsenal mal wieder kritisierte Mesut Özil und der beim FC Bayern zuletzt in Bremen auf der Bank schmorende Thomas Müller. Speziell Özil lebt noch von einem Vertrauensvorschuss unter Löw, den er aber mit Leistung unterfüttern muss.
Frühere Verdienste zählen nichts mehr
„Talent, Potenzial und frühere Verdienste reichen nicht mehr“, lautet die Ansage für den Verdrängungswettbewerb, „jeder tut gut daran, alles zu investieren, auch was Professionalität und Lebensweise angeht.“ Nur wenn möglichst viele seiner Kräfte in Topform seien, werde die Mission Titelverteidigung gelingen. Dass Löw anfangs auch Serge Gnabry in den Kader berief – der U21-Europameister ist wegen Sprunggelenksproblemen wieder abgereist – sollte die Durchlässigkeit demonstrieren.
Ohnehin gibt es reichlich Belege, dass es jederzeit in alle Richtungen gehen. Die Weltmeister Shkodran Mustafi und Benedikt Höwedes sind diesmal nicht nominiert worden, wobei Löw dem von Gelsenkirchen nach Turin gewechselten Defensiv-Allrounder jetzt die Tür wieder öffnete. „Wenn er bei Juventus spielt, ist er immer ein Thema.“ Niklas Süle, derzeit der Hummels-Nebenmann beim FC Bayern und vielleicht öfter auch im Nationalteam, hat allerdings auch gute Argumente auf seiner Seite. Und Sebastian Rudy, ebenfalls nach München gewechselt, ist ohnehin der am meisten unterschätzte Mittelfeldspieler. Es wäre wenig verwunderlich, wenn beide Ex-Hoffenheimer heute anfangen.
Werner hat im Sturm die Nase vorn
Im Sturm hat sich Timo Werner über den Confed-Cup, aber auch im Verein in den Vordergrund gedrängt. Löw lobte: „Er ist gut in die Saison gekommen.“ Die Startelfnominierung des flinken Leipzigers anstelle des wuchtigen Wolfsburgers Mario Gomez dient als weiteres Beispiel, wie schnell sich die Kräfteverhältnisse in der DFB-Auswahl auf einzelnen Positionen verändert haben.
Hummels erinnert die neue Situation an seine Zeiten, als er aus der U21-Nationalmannschaft ins A-Team drängte. „Damals haben wir auch Druck ausgeübt und die anderen zur Höchstleistung getrieben“, sagt der 28-Jährige. „Alle wissen, dass sie liefern müssen, weil dahinter drei, vier andere Spieler warten. Das wird uns stärker machen.“ Und dann hätte der Trainer auch in der Touristenhochburg Prag alles richtig gemacht.
Die voraussichtlichen Aufstellungen
Tschechien: Vaclik - Kaderabek, Suchy, Kalas, Gebre Selassie - Darida, Soucek - Dockal, Husbauer, Krejci - Krmencik
Deutschland: ter Stegen - Kimmich, Rüdiger, Hummels, Hector - Kroos, Rudy - Müller, Özil, Draxler - Werner
Schiedsrichter: Sergej Karasew (Russland)