Hamburger SV gegen Holstein Kiel: Die zweite Liga startet mit einem Nord-Derby, das es bislang weder in der ersten noch in der zweiten Bundesliga gegeben hat. Beim HSV herrscht trotz des erstmaligen Abstiegs Aufbruchstimmung, doch der Klub ist zum Aufstieg verdammt.
Immer wenn der HSV in den vergangenen Jahren kurz vor dem Abstieg stand, mehrten sich die Stimmen derjenigen, die das als Chance für den Klub sahen, sich in der zweiten Liga zu regenerieren. Andere warnten vor solchen Gedankenspielen und erinnerten an Traditionsklubs, die nie mehr nach oben gekommen sind.
Boom beim Absteiger
Wer von beiden recht hatte, steht noch nicht fest - zumindest kurzfristig wirkt der erstmalige Abstieg des Bundesliga-Gründungsmitglieds aber als Jungbrunnen für die Klubseele. Zum Trainingsauftakt Ende Juni erschienen 1500 erwartungsfrohe Fans, 24.000 Dauerkarten waren genauso schnell weg wie die 57.000 Karten für das Premieren-Spiel gegen Holstein Kiel am Freitag (20:30 Uhr).
Selbst die Mitarbeiter der Geschäftsstelle des eingetragenen Vereins schwitzen nicht nur wegen der Temperaturen: 7000 neue Mitglieder haben nach dem Abstieg einen Aufnahmeantrag gestellt. "Die Stimmung im Umfeld ist enorm positiv", sagt Trainer Christian Titz.
Teufelskreis durchbrechen
Der HSV weckt bei seinen leiderprobten Fans die Hoffnung, dieses Mal wirklich einen neuen Kurs einzuschlagen. Weg von der fatalen Mischung aus Größenwahn und Inkompetenz, die das vergangene Jahrzehnt geprägt hat. Hin zu Kontinuität, solidem Wirtschaften und spielerischem Aufbruch. Finanzchef Frank Wettstein drückte das im April als Interims-Vorsitzender so aus: "Sie müssen irgendwann den Kreislauf aus zu hoch angesetzten Zielen und teuren Zukäufen durchbrechen."
Ein weiterer Grund für die Zuwendung der Fans könnte die Emanzipierung von Haupt-Investor Klaus-Michael Kühne sein. Nachdem diesem der Zukauf weiterer Anteile verwehrt wurde, will er den Klub nicht mehr unterstützen. Pressemeldungen zufolge drohen dem Verein nun Rückzahlungen an Kühne, falls von ihm finanzierte Spieler wie Filip Kostic weiterverkauft werden sollten.
Jüngster Kader aller Bundesligisten
Ein äußeres Zeichen für den neuen HSV-Weg ist der mit einem Durchschnittsalter von 22,9 Jahren jünsgste Kader aller 36 Bundesligisten. In dem stehen mit Aaron Hunt, Lewis Holtby und Gotoku Sakai nur noch drei Altvordere - als Orientierungspunkte für eine Reihe von Spielern aus dem eigenen Nachwuchs um Stürmer Jann-Fiete Arp sowie wenigen Neuzugängen.
Die Verkäufe von Bobby Wood, Walace, André Hahn, Nicolai Müller, Mergim Mavraj, Luca Waldschmidt und demnächst wahrscheinlich Albin Ekdal und Kostic dienten nicht nur dem Aufräumen auf dem Platz. Sie waren unumgänglich, um den Etat von gut 30 Millionen Euro zu finanzieren, der mindestens doppelt so hoch ist wie der der Konkurrenten - mit Ausnahme des 1. FC Köln, der einen ähnlich hohen Etat zur Verfügung hat.
Kein Selbstläufer
Personell ruhen die Hoffnungen vor allem auf der sportlichen Leitung. Trainer Titz hat mit seiner verbindlichen, sympathischen Art und seinen spielerischen Impulsen bereits Ende der vergangenen Saison überzeugt, als er vom Nachwuchstrainer aufstieg und fast noch den Klassenerhalt schaffte. Und Sportchef Ralf Becker hat ausgerechnet beim Gegner Holstein Kiel unter Beweis gestellt, dass er Zweitliga-Fußball kann.
"Wenn wir denken, der HSV ist zu groß für die 2. Liga, machen wir schon den ersten großen Fehler", warnte Becker im "Kicker". "Wenn wir mit Arroganz und dem Glauben darangehen, wir kommen ohne harte Arbeit und allein mit individueller Qualität durch, werden wir in der Liga unser blaues Wunder erleben."
Aufstieg ist Pflicht
Der größte Stolperstein auf dem neuen HSV-Weg dürfte ohenhin der Zwang zum kurzfristigen Erfolg sein, also zum sofortigen Wiederaufstieg. Einen längeren Aufenthalt in der 2. Liga bezeichnete auch der optimistische Wettstein als "Totalschaden".