Lange galt Spaniens Fußball als Paradies für Laissez-Faire. Nicht nur die Steuerverfahren gegen Ronaldo und andere Stars verdeutlichen, dass sich die Zeiten geändert haben. Warum die Helden in kurzen Hosen nicht mehr sakrosankt sind.
Fast unbemerkt endete im Juni ein dunkles Kapitel Sportgeschichte. Das Urteil eines Madrider Gerichts, wonach die Namen zu 211 Blutbeuteln aus dem Dopingskandal um den Arzt Eufemiano Fuentes nicht öffentlich gemacht werden dürfen, galt Insidern als letzter Sargnagel auf ein Fiasko der spanischen Justiz. Die 2006 enttarnten Mediziner blieben schon vorher unbestraft, etliche Athleten verschont, Dokumente unter Verschluss – begleitet von dem Verdacht, dass das Interesse am Schutz der Sportmarke Spanien manchmal stark mit dem an der Aufklärung konkurrierte.
Geschenke aus der Politik
Der Fußball erfreute sich lange ähnlicher Nachsicht. Die Klubs konnten hunderte Millionen Steuerschulden anhäufen, relativ folgenlos Insolvenzen anmelden und wurden trotzdem von den Behörden gepäppelt, oft gegen geltendes EU-Recht. Von der Politik bekamen sie Gesetze wie die „Lex Beckham“, nach dem ausländische Topkräfte zu besonderen Niedrigsätzen versteuern durften. So unantastbar fühlten sich die Vereine, dass sie auch gegen Transferbestimmungen der FIFA verstießen. Barcelona, Real Madrid und Atlético Madrid wurden dafür mit Einkaufssperren belegt.
Doch auch auf einheimischer Ebene ist das Laissez-Faire mittlerweile Vergangenheit. Die „Lex Beckham“ ist auf Fußballer nicht mehr anwendbar, und niemand wird den Behörden noch ein blindes Auge gegenüber dem Nationalsport und seinen Vertretern unterstellen, wo dieser Tage quasi Spaniens Fußball vor Gericht steht. Die Anzeige gegen Cristiano Ronaldo ist dabei nur der schillerndste Fall.
Verbandspräsident im Gefängnis
Der jahrzehntelange Verbandspräsident Ángel María Villar – seit zwei Wochen unter Korruptionsvorwürfen im Gefängnis; Barcelonas ehemaliger Vereinschef Sandro Rosell – bereits seit Ende Mai inhaftiert.; sein Nachfolger, der aktuelle Amtsinhaber Josep María Bartomeu – noch nicht aus dem Schneider wegen der Unregelmäßigkeiten beim Kauf des Brasilianers Neymar; die Barça-Profis Lionel Messi und Javier Mascherano – auf Bewährung nach Haftstrafen wegen Steuerhinterziehung; Real-Stars wie Iker Casillas, Xabi Alonso, Angel Di María, James Rodríguez und ein Trainer wie José Mourinho: alle Gegenstand laufender oder abgeschlossener Steuerverfahren.
Um die neue Strenge zu verstehen, muss man in die Jahre der in Spanien besonders harten Wirtschafts- und Finanzkrise zurückgehen. Millionen demonstrierten auf den Straßen gegen Klientelwirtschaft, der Slogan „Hacienda somos todos” („Das Finanzamt sind wir alle”) geriet in aller Munde. Seither werden Schlupflöcher geschlossen und „Kavaliersdelikte” entschlossener verfolgt. Dass der FC Barcelona seinen angeklagten Star mit der Solidaritätsadresse „Wir sind alle Messi” verteidigte, trug ihm von der wachsameren Öffentlichkeit nicht viel mehr als Kopfschütteln ein.
Steuerschulden um zwei Drittel verringert
Insgesamt hat der spanische Fußball den Schuss aber gehört. Der Ligaverband LFP führte Good-Governance-Regeln ein, jeder Verein bekommt nach Studium seiner Lizenzunterlagen eine individuelle Gehaltsobergrenze auferlegt und Schummeleien werden mit Zwangsabstieg geahndet, wie zuletzt 2014 beim Erstligisten Elche. Die Steuerschulden der Profivereine sind in den letzten fünf Jahren von 750 auf 230 Millionen Euro zurückgegangen und sollen bis 2020 komplett getilgt sein.
Und so spart sich im aktuellen Ronaldo-Verfahren selbst das mächtige Real lieber jeden starken Spruch. „Alle müssen wir unseren steuerlichen Verpflichtungen nachkommen“, erinnerte Präsident Florentino Pérez stattdessen. Alle, sogar die Fußballer.