Leverkusens Champions-League-Gegner Atlético Madrid muss einen personellen Umbruch gestalten. Stilistisch hat sich jedoch nichts geändert: Das Team von Trainer Diego Simeone brilliert nur in der Defensive. Anpfiff in Madrid ist am Dienstag, 18.55 Uhr.
Quelle: reuters / Sergio Perez
Diego Costa hat den Ball schon auf den Elfmeterpunkt gelegt, als der Schiedsrichter am Spielfeldrand noch den Videobeweis studiert. Dann läuft der Mittelstürmer von Atlético Madrid an, verlädt Valencias Torwart und schießt ein. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Dabei ist es das längst nicht mehr.
Von 80 auf 20 Prozent
Costa, 31, hatte seine große Zeit in Atléticos Meisterjahr 2014. Damals traf er im Schnitt in fast 80 Prozent der Ligaspiele. Es folgte ein Wechsel nach England zu Chelsea und vor zwei Jahren die Rückkehr. Seither trifft er nicht mal mehr in 20 Prozent der Partien.
Er steht damit stellvertretend für eine Mannschaft, deren Torproblem ihr die erste große Saisonkrise beschert hat. Im robusten Konterfußball von Trainerguru Diego Pablo Simeone war die Offensive selten die große Stärke. So schlimm wie diesmal waren die Zahlen allerdings noch nie.
Schlechtester Saisonstart unter Simeone
Quelle: Juan Medina / reuters
In den ersten neun Ligaspielen hat Atlético nur acht Tore erzielt. Weniger waren es zu diesem Zeitpunkt zuletzt in der Saison 1968/69. Gleich zwölf Mannschaften der Primera División schießen öfter aufs Tor als der Klub mit dem drittgrößten Budget.
In der Tabelle liegt man damit nur auf Platz fünf. Mit 16 von 27 möglichen Punkten ist der schlechteste Saisonstart in Simeones achtjähriger Amtszeit egalisiert. Und so gab es am Samstag auch Pfiffe, als die Partie gegen den FC Valencia letztlich 1:1 endete.
Die Schwalben des Sommers
Atlético ist insofern das Opfer seines exzellenten Sommers mit einem 7:3-Testspielsieg gegen Real Madrid und drei Siegen in den ersten drei Ligaspielen. Die frühen Erfolge nährten eine Illusion: Jene, dass Umbrüche keine Zeit brauchen.
Nach der vergangenen Saison verlor Simeone seinen Abwehrchef, Kapitän Diego Godín, und seinen Superstar, Goalgetter Antoine Griezmann. Es gingen außerdem die beiden langjährigen Außenverteidiger Juanfran und Filipe Luís - sowie vermeintliche Säulen der Zukunft, Verteidiger Lucas Hernández (zum FC Bayern), und Mittelfeldmann Rodri Hernández. Das alles brachte über 300 Millionen Euro in die Kasse.
Rekordtransfer João Félix als Sinnbild
Quelle: reuters/ Sergio Perez
Gut zwei Drittel davon wurden reinvestiert, vor allem in den 19-jährigen João Félix von Benfica Lissabon – mit 126 Millionen Euro war er der teuerste Transfer in ganz Europa.
Doch die Entwicklung des Halbstürmers verhält sich analog zur Mannschaft: Nach verheißungsvollem Beginn ist er verblasst. Statt mit seiner Phantasie und seinen Sololäufen zu glänzen, rieb er sich zunehmend in den bei Simeone unverhandelbaren Defensivaufgaben auf. Am Samstag verletzte er sich auch noch am rechten Knie und wird mindestens das Hinspiel gegen Leverkusen verpassen.
"Wenn dir Pizza schmeckt, iss' Pizza"
Während Simeone seine zu Saisonbeginn noch imposant offensivstarken Außenverteidiger-Zugänge Kieran Trippier (Tottenham Hotspur) und Lodi (Paranaense, Brasilien) zuletzt auf der Bank ließ, hat er auch rhetorisch in Verteidigungsmodus umgeschaltet. Auf die in Krisenzeiten immer wiederkehrende Kritik am defensiven Spielstil antwortete er mit einem Ausflug in die Gastronomie: "Uns schmeckt Pizza. Und wenn dir Pizza schmeckt, dann iss' Pizza. Nichts anderes."
Der Argentinier unterstrich damit sein altes Credo, bei Rückschlägen umso mehr auf alte Tugenden zu setzen. Dergestalt hält Atlético seit Jahren konstant hohes Niveau, und er selbst ist der dienstälteste Coach bei Europas Spitzenklubs. Zumindest hinten scheint der Umbruch auch schon gelungen, denn die neuformierte Abwehr steht solide wie eh und je. Weniger Gegentore als Atlético (fünf) kassierten in Europas großen Ligen bisher nur die Franzosen von Stade Reims.