Norwegens Skisprungtrainer Alexander Stöckl steht eine besondere Heim-WM bevor. Der Österreicher soll seinen "fliegenden Wikingern" in Seefeld Flügel verleihen und spricht im Interview über seine Aufgabe und seine Wahlheimat.
zdfsport.de: Mit welchen sportlichen Ambitionen gehen Sie zur Nordischen Ski-WM in Ihre Heimat nach Seefeld?
Andreas Stöckl: Unser Anspruch ist klar, wir reisen nach Österreich, um Medaillen zu gewinnen.
Wie kam es überhaupt zu dem Angebot des norwegischen Skiverbands, Sie als Cheftrainer zu engagieren?
Quelle: imago/Eibner Europa
Sportchef Clas Brede Brathen war auf der Suche nach einem Trainer mit Erfahrung im Nachwuchsbereich. Er hat gut recherchiert und herausgefunden, dass ich viele Jahre im Skigymnasium in Stams gearbeitet habe. Dort hatte ich verschiedene Rollen als Trainer und Erzieher. Ich habe in diesem Zeitraum auch mit den ÖSV gearbeitet und war hauptverantwortlich für die Junioren WM. Wir haben in dieser Zeit fünf von sechs möglichen Goldmedaillen geholt, zwei Einzeltitel und drei Mannschaftstitel. Ich hatte ein Jahr vor meiner Bestellung zum Cheftrainer meinen Lebenslauf nach Norwegen geschickt und angegeben, dass ich offen bin für neue Aufgaben. Zu diesem Zeitpunkt war eine Stelle als B-Kader-Trainer ausgeschrieben. Ein Jahr später hat mich Clas Brede angerufen und gefragt, ob ich als Chef-Trainer für Norwegen arbeiten will. Das war schon überraschend.
Gab es Widerstände, gab es Kritik, schließlich fühlen sich die Norweger ja als Erfinder des Skisports?
Zu Beginn waren einige Leute etwas kritisch, weil ich ja eigentlich ein unbeschriebenes Blatt war. Aber ich habe dann relativ schnell Zustimmung bekommen, als ich mit meiner Freundin nach Norwegen gezogen bin und die Sprache gelernt habe. Ich hatte auch das Glück, dass Anders Bardal mit meiner Philosophie gut zurecht gekommen ist und von Anfang an Erfolg hatte.
Wie funktioniert die Arbeit mit den Sportlern: zentralistisch oder mit Heimtrainern, die regional in Leistungszentren in Abstimmung mit Ihnen arbeiten?
Zu Beginn haben wir eher zentralistisch gearbeitet. Wir hatten sehr viele Lehrgänge, um den Athleten Technik und spezifisches Training zu vermitteln. Lokale Trainer wurden eingeladen, und wir haben viele Sitzungen abgehalten. Heute läuft es mehr über Heimtrainer und Leistungszentren, nachdem die Philosophie und die Trainingskultur gut verankert sind.
Auf welche Erfolge sind Sie besonders stolz?
Jeder einzelne Erfolg eines Sportlers macht mich stolz. Ich lebe mit, wenn ein Athlet für sich ein Ziel erreicht. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob einer zum ersten Mal Weltcup-Punkte macht, oder ob die Mannschaft eine Medaille bei einem Großereignis erreicht. Der Gesichtsausdruck des einzelnen Athleten im Augenblick des Erfolges macht mich glücklich und stolz.
Welche Ziele möchten Sie mit Ihrem Team erreichen?
Die Vierschanzentournee hat eine lange Tradition und sehr hohes Prestige in unserem Sport. Es wäre schön, wenn wir nach langer Zeit wieder einen Norweger ganz oben hätten.
Wenn man Sie im norwegischen Fernsehen hört oder im Umgang mit den Athleten, fällt auf, dass Sie nahezu dialektfreies Norwegisch sprechen. Wie haben Sie die Sprache erlernt?
Norwegisch ist nicht so schwer, wenn man Deutsch und Englisch kann. Ich habe das Glück, zweisprachig aufgewachsen zu sein, da meine Mutter Engländerin ist. Meine Musikalität hilft mir mit der Melodie der Sprache. Gelernt habe ich Norwegisch hauptsächlich durch Zuhören, Sehen und Probieren. Ich habe nicht so viel gelesen oder gelernt im üblichen Sinn.
Wo in Norwegen leben Sie? Und fühlen Sie sich mittlerweile heimisch?
Ich lebe in Oslo. Nach sieben Jahren, muss ich sagen, fühle ich mich schon heimisch. Wir sind gut integriert, haben norwegische Freunde, und meine Tochter geht mittlerweile in den Kindergarten. Sie spricht Deutsch und Norwegisch.
Planen Sie, auf Dauer zurückzukehren nach Österreich oder in Norwegen zu bleiben?
Das weiß ich noch nicht. Zurzeit denken wir immer noch in Vertragsperioden. Ich habe einen Vertrag bis 2022, dann werden wir weitersehen.
Was an Norwegen gefällt Ihnen besonders und was nicht?
Mir gefällt einerseits die Gelassenheit der Leute. Die Menschen hier sind nicht so gestresst wie in Mitteleuropa. Alles geht schon irgendwie, auch ohne dass man ständig Druck macht. Norwegen ist ein reiches Land, und es geht den Menschen hier sehr gut. Was mir nicht gefällt ist, dass einige das nicht zu schätzen wissen. Der Umgang mit Ressourcen ist doch etwas verschwenderisch. Auf die Natur wird wenig Rücksicht genommen. Menschen hier sind zwar stolz auf die Natur, respektieren sie aber wenig und sind, was Müll und Verschmutzung betrifft nicht auf dem heutigen Stand. Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass für viele Norweger die Welt an der Landesgrenze aufhört.
Ihr Lieblingsort in Norwegen?
Die Lofoten sind sowohl im Sommer als auch im Winter ein fantastisches Reiseziel mit einer imposanten Natur. Dort findet man Berge, die direkt in steilen Hängen in Fjorde fallen. Das ist eine Region, die ich empfehle, solange dort noch nicht nach Öl gebohrt wird.
Ihr norwegisches Leibgericht?
Ribbe - das ist Schweinerippe mit viel Fett. Ich bin ein Fleischesser, und deswegen mag ich dieses Weihnachtsgericht am liebsten. Aber mir schmeckt auch lokales Gemüse gut als Beilage, z.B. Knollengemüse mit guten Saucen.
Alexander Stöckl ...
... geboren am 11.12.1973 in St. Johann/Tirol
- Cheftrainer Junioren Österreich 2007 – 2011
- Cheftrainer Norwegen seit 2011
- Größte sportliche Erfolge als Trainer: fünf WM-Junioren-Titel für Österreich; ein Weltcup-Gesamtsieg (Anders Bardal 2012), vier WM-Titel (Anders Bardal 2013; Mannschaft 2015; Skifliegen 2018: Mannschaft und Einzel/Daniel-André Tande), ein Olympiasieg (Mannschaft 2018)
ARD (ab 21. Februar) und ZDF/zdfsport.de (ab 27. Februar) übertragen die Wettbewerbe bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld live.