Im zweiten WM-Vorrundenspiel trifft Gastgeber Deutschland heute in Berlin auf Brasilien (18.15 Uhr/ZDF ab 18 Uhr). Die körperlich starken Südamerikaner verloren zum Auftakt nur knapp gegen Weltmeister Frankreich und strotzen vor Selbstbewusstsein.
Manchmal genügt eine einzige Szene, um den Charakter einer Mannschaft zu illustrieren. Wie die brasilianischen Handballer ticken? Das demonstrierte der Kempa-Trick, den sie in ihrem WM-Auftaktspiel gegen den Weltmeister Frankreich vorführten: Linksaußen Felipe Borges flog mit viel Tempo in den Torraum und legte für Jose Toledo auf, der ebenfalls mit großem Speed in den Torraum flog, den Ball aufnahm und vollendete – der Rückraum-Linkshänder vollzog zum 20:20-Ausgleich.
Klare Körpersprache
Da waren nur noch zwölf Minuten zu spielen, und die Körpersprache der Brasilianer machte klar, dass sie fest an die Sensation glaubten. Sie spielten mit großem Kampfgeist, frech und unerschrocken. Die Respektlosigkeit, mit der sie gegenüber dem Titelverteidiger auftraten, grenzte fast an Majestätsbeleidigung. Warum sie dann dieses Auftaktspiel doch mit 22:24-Toren verloren? Weil sie zu oft an Keeper Vincent Gerard scheiterten.
Kurzum: Der Vize-Panamerikameister zeigte, dass er tatsächlich von „einem anderen Kaliber“ (Bundestrainer Christian Prokop) als Südkorea ist, das der Gastgeber Deutschland am Donnerstag im WM-Eröffnungsspiel mit 30:19-Toren klar distanziert hatte. Wenn die Mannschaft um Kapitän Uwe Gensheimer am heutigen Samstagabend in der erneut ausverkauften Mercedes-Benz Arena gegen Brasilien antritt, ist dies nicht weniger als der erste Stresstest. „Das wird ein härterer Gegner“, weiß Rückraum-Linkshänder Steffen Weinhold (THW Kiel).
Sieg gegen DHB-Auswahl bei Olympia in Rio
Die gute Leistung der Südamerikaner kommt nicht aus dem Nichts. In der Vorrunde des olympischen Turniers von 2016 in Rio de Janeiro war ihnen der erste Sieg gegen Deutschland gelungen. Weshalb Gensheimer sagt: „Ich kann mich noch gut an die Niederlage erinnern. Dieses Mal wollen wir es auf heimischem Boden besser machen.“ Dabei sollte der Kapitän etwas beherrschter auftreten als seinerzeit, als er nach einem Tumult eine Rote Karte kassierte.
Doch auch bei den drei vergangenen WM-Turnieren zeigte Brasilien, dass es mit der europäischen Nomenklatura auf Augenhöhe spielt. Zwar schied das Team, das der spanische Coach Jordi Ribeira mit großer Geduld aufbaute, stets im WM-Achtelfinale. Doch fehlte jeweils nur ein mickriges Tor: Bei der WM 2013 in Spanien gegen Russland (27:28), bei der WM 2015 gegen Kroatien (25:26) und auch bei der WM 2017 nach dramatischer Schlussphase gegen Spanien (27:28).
Robuste Abwehr
Das größte Pfund, mit dem das Team von Washington Nunes wuchert, ist die sehr physisch agierende Abwehr, deren Robustheit auch die Franzosen in arge Bedrängnis brachte. In der Defensive spielt der Kapitän Thiagus dos Santos, genannt Petrus, eine zentrale Rolle – nicht umsonst steht er sonst in der Abwehr des ruhmreichen FC Barcelona. Und auch das Torhüter-Duo Almeida und Tercariol demonstrierte zum Auftakt gute Form.
Der Angriff wirkt demgegenüber etwas limitierter. Hier bringen vor allem die Halblinke Haniel Langaro, der in Dünkirchen sein Geld verdient, und der Halbrechte Jose Toledo (Wisla Plock) viel Wucht und Wurfkraft mit. Lässt man diese Scharfschützen ungehindert zum Wurf kommen, dann wird es auch Torhüter Andreas Wolff schwer haben. Toledo glänzte gegen Frankreich mit acht Toren aus 14 Versuchen und wurde zurecht als Player of the Match geehrt.
Wolff setzt auf Zuschauer
Zum Auftakt standen die Zuschauer klar auf der Seite der Südamerikaner, aber das wird am heutigen Samstag anders sein. Andreas Wolff fiebert schon darauf hin. „Ich freue mich, wenn es das erste Mal zu Spitz-auf-Knopf-Spielen kommt, wenn das Publikum dann auf unserer Seite ist“, sagt der Keeper. Gut möglich, dass dies heute erstmals der Fall ist.