Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bestreitet bereits im zweiten EM-Qualifikationsspiel in der Ukraine (16 Uhr/live im ZDF) die wohl entscheidende Partie um den Gruppensieg. Gefordert ist im Auswärtsspiel in Lwiw die treffsichere Kapitänin Alexandra Popp.
Umringt von ihren Mitspielerinnen hatte Alexandra Popp am Samstag noch größte Mühe, wenigsten noch ihren Zeigefinger in die Höhe zu halten. Dabei hat sich die Kapitänin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft doch fest vorgenommen, ihren bei der WM in Frankreich einstudierten Torjubel - wie der Außerirdische E.T. mit angedeutetem Telefonhörer am Ohr nach Hause zu telefonieren - beizubehalten.
"Ich gehe davon aus, dass diese Geste mein Merkmal wird", hatte die 28-Jährige vorher gesagt. Und dann nach einem Dreierpack zum lockeren Auftakt der EM-Qualifikation gegen Montenegro (10:0) auch Wort gehalten.
Vorbild an Einsatzfreude und Entschlossenheit
Doch die treffsichere Anführerin war auch die Erste, die den Blick sogleich auf das Auswärtsspiel in Lwiw gegen die Ukraine richtete. "Sie sind sehr viel zweikampfstärker und werden mehr nach vorne spielen", sagte Popp, die sogleich an das ukrainische Ausrufezeichen aus der WM-Qualifikation erinnerte: Da schlugen die Osteuropäer tatsächlich den Deutschland-Bezwinger Schweden mit 1:0. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg warnte zudem: "Die Ukraine wird uns sehr viel mehr fordern. Das wird kein Selbstläufer." Der DFB-Tross ist bereits am Sonntag in die sehenswerte Stadt im westlichen Teil des Landes gereist.
Die Anführerin hat ohnehin immer die Antennen ausgefahren. In Kassel fiel die 102-fache Nationalspielerin nicht nur wegen ihrer Lufthoheit und Länderspieltreffer Nummer 49 bis 51 auf, sondern ging als Vorbild an Einsatzfreude und Entschlossenheit voran. "Grundsätzlich bin ich zufrieden, wenn ich meine Tore machen, aber wir können den Ball noch schneller laufen lassen und wollen noch schneller in die Box kommen." Dieser selbstkritische Ansatz ist Markenzeichen der wohl engsten Vertrauten der Bundestrainerin, die mit Popp einst schon auf Vereinsebene in Duisburg zusammenarbeitete.
Popp: Hätte mehr reden können
Kein Wunder, dass die heimatverbundene Angreiferin des VfL Wolfsburg auch bei der WM-Analyse besonders gefragt war. "Die Köpfe haben geraucht", verriet Popp. Man habe nach kontroverser Debatte nun "einen gemeinsamen Fahrplan" festgelegt, der im Hinblick auf die EM 2021 in England zuvorderst einen Mentalitätswandel vorsieht. Mehr Mut, Festigkeit und Widerstandskraft fordert Voss-Tecklenburg, wobei Popp zu bedenken gibt: "Mentalität lässt sich aus meiner Sicht nicht antrainieren. Das hat viel mit der eigenen Vita, mit der Umgebung, mit dem Aufwachsen zu tun."
Sie hat zeitweise die in finanzielle Schwierigkeiten geratene Familie unterstützen oder sich als einziges Mädchen auf dem Berger Feld unter den Schalker Talenten behaupten müssen, nur kopierbar ist dieser Weg nicht. Denn: "Wir haben ganz unterschiedliche Charaktere, die teilweise ganz anders denken. Heute sage ich auch, dass ich noch zu ruhig war und das eine oder andere mehr hätte ansprechen können - vor allem hätte ich mehr mit dem Team reden können", räumt Popp ein. "Das kreide ich mir im Rückblick auch an."
Blick nach vorne
Dass das Prinzip der offenen Türen bei der WM nicht funktioniert habe, sei jedoch kein explizites Problem der heutigen Generation, die die Konfliktlösung verlernt habe. "Als junge Spielerin bin ich auch nicht zu Silvia Neid gerannt und habe gefragt, warum ich nicht spiele. Ich würde jemand heutzutage raten, so früh wie möglich die Kommunikation zu suchen." Gleichwohl bleibt sie weiterhin der Überzeugung, dass sie vor zwei Monaten nicht hätte zur Bundestrainerin gehen müssen, um beispielsweise ihre umstrittene Versetzung ins defensive Mittelfeld für das WM-Viertelfinale gegen Schweden (1:2) zu verhindern. "Am Ende entscheidet immer noch das Trainerteam über die Aufstellung."
Nicht zurückschauen
Überhaupt solle nicht zu viel zurückgeschaut werden. "Es bringt ja nichts, sich ständig mit der WM zu beschäftigen. Wir wollen zur EM nach England, das ist unser Maßstab." Dafür qualifizieren sich auf direktem Wege nur die Gruppenersten, deshalb gelten die nächsten beiden Qualifikationsspiele gegen die Ukraine - das Heimspiel findet am 5. Oktober in Aachen statt - bereits der wohl wichtigste Schlüssel zum Gruppensieg.
Für Popp könnte es dann schon ihr letztes Turnier sein. Ihr grober Fahrplan sieht nämlich vor, "dass ich noch bis 2022 spiele - vorausgesetzt mein Körper macht mit - und dann gegebenenfalls eine Familie gründen. Ich finde es nicht verwerflich, mit Anfang oder Mitte 30 als Frau über dieses Thema nachzudenken", sagt Popp im Gespräch mit ZDFonline.
von Frank Hellmann