Nach der Nationalmannschaft soll nicht auch die Bundesliga noch den Anschluss verpassen. Der nationale Wettbewerb wird in der 56. Saison zum Stimmungstest, der internationale Wettstreit zum Gradmesser. Die Mahnungen sind berechtigt, Untergangsszenarien indes nicht angebracht.
Nein, Jan Lehmann wollte kürzlich keine Auskunft geben. Das neue Vorstandsmitglied des FSV Mainz 05, zuvor bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) tätig, schweigt kurz vor der 56. Bundesliga-Saison beharrlich, wenn es um die Zahl verkauften Dauerkarten geht.
Weil es für die Rheinhessen ein bisschen peinlich wäre? Weil an der Zahl zurückgehender Saisontickets abzulesen wäre, dass der Zuspruch an diesem Standort rückläufig ist? Man sehe einen Trend vom Erwerb von Dauerkarten hin zum Erwerb von Tageskarten, teilten die Nullfünfer mit – und machten in einer Umfrage des Sport-Informations-Dienstes (SID) als einziger Klub keine Angabe zum Absatz der Dauerkarten.
Der Rest der Liga hat weniger zu verbergen. Nur der VfL Wolfsburg, zweimal strafversetzt in die Relegation, hat Einbußen bei den treuen Stammkunden zu verzeichnen. Ansonsten kehren Anhänger ihren Klubs nicht den Rücken, nur weil Nationalspieler den Ruf des deutschen Fußballs bei der WM ramponiert haben. Wer als DFB-Spieler nach Russland fuhr, bekam am Anfang den erhobenen Daumen gezeigt – am Ende setzte es mitleidiges Lächeln.
Nur auf Platz vier der Fünfjahreswertung
Weltmeisterliga war gestern. Dieses Prädikat trägt die nächsten vier Jahre die Ligue 1 in Frankreich, die auch in Sachen Talentförderung und Ausbildung im Juniorenbereich an der Bundesliga vorbeigezogen ist.
Der Mainzer Sportstand Rouven Schröder gibt unverhohlen zu, dass der französische Fußballer-Markt im Preis-Leistungsverhältnis viel mehr bietet als der deutsche. Wie gefährlich diese Entwicklung wird, zeigt der Blick auf die UEFA-Fünfjahreswertung, die für die Verteilung der Startplätze in Champions und Europa League maßgeblich ist.
Spanien ist uneinholbar enteilt, aber auch England und Italien liegen klar vor Deutschland. Die nächsten Jahre könnten die Franzosen vorrücken – und beim Überholmanöver hätte die Bundesliga statt vier fixen Startern in der Königsklasse auf einmal nur noch drei oder zwei. Das wäre ein größerer GAU für die Vermarktung als die fehlende Spannung im Meisterschaftskampf.
Ohne nationale Konkurrenz wird's auch international schwer
Die Dauer-Meisterschaft des FC Bayern, die zumeist schon im Frühjahr besiegelt ist, ist nicht nur für die Liga schädlich, sondern auch für sie selbst. Ohne den fordernden nationalen Wettbewerb gelang es den Bayern zuletzt nicht mehr, den Schalter in den entscheidenden K.o.-Spielen in der Champions League umzulegen. Der Applaus beim Ausscheiden gegen Real Madrid im Halbfinale konnte den Spannungsabfall, der sich im Grunde bis zur WM fortsetzte, nicht wettmachen.
Alle anderen Bundesliga-Vereine waren zu diesem Zeitpunkt längst ausgeschieden. Das Abschneiden kam einem Fiasko gleich. 2013 erlebte die Königsklasse noch ein flirrendes Finale der deutschen Schwergewichte Bayern München und Borussia Dortmund, 2014 gelang einem hungrigen DFB-Ensemble unter Anleitung des Fußballlehrers Joachim Löw der Weltmeistertitel. Und nebenbei war seine Mannschaft ein Sinnbild für gelungene Integration. All das ist in 2018 zusammengestürzt wie ein Kartenhaus, an dem unvorsichtigerweise herumgefingert wurde.
Spielstil oft zu einfältig
In dieser Woche steckten die hochrangigsten Vereinsvertreter die Köpfe zusammen, um nicht nur der Nationalmannschaft – in der Weltrangliste auf Platz 15 abgerauscht – wieder auf die Sprünge zu helfen. Es hieß nämlich in der Pressemitteilung: "Um die Entwicklung des deutschen Fußballs wieder auf Weltniveau zu bringen." Zuvorderst DFL-Chef Christian Seifert bangt darum, dass das amateurhafte Tun der DFB-Vertreter auf die in der Vermarktung hochprofessionell aufgestellte Liga abstrahlt.
Das bisherige Argument, zwischen Bremen, Berlin und München würden die Weltmeister vorspielen, zieht nicht mehr, wenn sich ausländische Fernsehanstalten um die Rechte bewerben. Dabei bietet die Bundesliga Woche für Woche laut Seifert so viel: nämlich die perfekte Ablenkung von den Alltagssorgen. Und einen hohen Grad an Emotionen. Das stimmt fraglos. Und doch sieht ein Stadionerlebnis oft so aus: tolle Stimmung, bunter Rahmen, einigermaßen Spannung, ordentlicher Einsatz – aber spielerische Armut.
Rangnick warnt vor Friedhof der Erinnerung
Der Spielstil vieler Klubs ist allein aufs Umschalten ausgelegt. Hinten gut stehen, vorne hilft der liebe Gott. So kamen ja auch bei der WM die meisten Teams weiter. Wer taktische Feinheiten gepaart mit virtuoser Technik bei einem offenen Schlagabtausch sucht, muss meist Champions League schauen. Dann aber auch erst die K.o.-Phase.
Einen attraktiven Spielstil will beispielsweise Ralf Rangnick bei RB Leipzig wieder hoffähig machen, der als ungeduldiger Lehrmeister noch mal ein Jahr auf der Trainerbank sitzt. Der 60-Jährige hat im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" angemahnt, wie sehr das Geld die Spielersuche bestimme. Um an die Besten heranzukommen, brauche es mehr Kapital, das nach seiner Ansicht über den Wegfall der 50+1-Regel zugeführt werden solle. Diese Sperrklausel wollten aber die 36 deutschen Profiklubs nicht kippen. Rangnick stellte nun die grundsätzliche Frage: "Was wollen wir? Weiter unsere Tradition pflegen? Dann werden wir als Liga irgendwann dort landen, wo der eine oder andere Traditionsklub leider schon gelandet ist: auf dem Friedhof der Erinnerung."
Mehr Trainer wie Julian Nagelsmann
Doch der Bruch mit der Tradition kann auch zum Bruch mit der Fanbasis führen. Ein schwieriges Spannungsfeld. Die Anhängerschaft wird mit Ligastart allerorten wieder Gewehr bei Fuß stehen. Bei den Schwergewichten aus München, Dortmund oder Gelsenkirchen sind die Stadien unabhängig vom Gegner, Wetter oder Anstoßzeit ausverkauft. Der FC Bayern mag seine Heimspiele gegen die meisten Konkurrenten mittlerweile auch gewinnen, wenn sich Nationaltorwart Manuel Neuer auf einen Klappstuhl neben die Kiste setzen würde, aber trotzdem könnte das 75.000 Besucher fassende Arena in Fröttmaning sogar die doppelte Kapazität vertragen.
Will die Liga innovativer und kreativer werden – und das muss sie zur Attraktivitätssteigerung zwingend – dann braucht sie auch mehr Überzeugungstäter wie Julian Nagelsmann. Meister will die TSG Hoffenheim werden, hat ihr erst 31 Jahre alter Trainer gesagt. Es ist ein kluger Schachzug, dass die Nagelsmänner nun am Freitag (20.30 Uhr/live ZDF) gleich das Saisoneröffnungsspiel beim FC Bayern bestreiten. In der Vorbereitung war kaum jemand so angriffslustig und spielte so spektakulär wie der Trupp aus dem Kraichgau.
Wer Nagelsmann aus seiner mutigen Ansage einen Strick dreht, hat übrigens nicht erkannt, was zur Sinnkrise des deutschen Fußball auch noch beigetragen hat: eine Verteidigungshaltung und Abschottung, die mittlerweile leider weit über den Fußballplatz hinausreicht.