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Schnellere Hilfe für psychisch Kranke?

Psychotherapeutin macht Notizen

Bislang waren lange Wartezeiten für einen Termin beim Psychotherapeuten nichts Ungewöhnliches. Eine Neuregelung soll dies seit dem 1. April ändern – doch ob dies tatsächlich funktioniert, darüber herrscht bei den Experten kein Konsens.

Datum:
03.04.2017
Verfügbarkeit:
Video leider nicht mehr verfügbar

Knochenbrüche werden in Deutschland sofort operiert, seelische Verletzungen aber bleiben monatelang unbehandelt. Denn der Andrang ist groß, die Therapieplätze aber rar. Grund für die langen Wartezeiten und Engpässe ist allerdings nicht etwa ein Mangel an ausgebildeten Psychotherapeuten, sondern an Kassenzulassungen. Es gibt zwar 24.000 psychotherapeutische Praxissitze mit Kassenzulassung, aber mehr als 2,6 Millionen Krankschreibungen im Jahr wegen seelischer Probleme. Zurückzuführen ist dieser gestiegene Bedarf unter anderem auf auch die eigentlich erfreuliche Entwicklung, dass die Psychotherapie-Behandlung enttabuisiert wurde.

Besonders bedenklich: Bei psychischen Erkrankungen spielt der Faktor Zeit eine kritische Rolle. Denn je länger die Erkrankung unbehandelt bleibt, desto schwerer wird man sie wieder los. Diplom-Psychologe Gerd Höhner, der Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, nennt ein Beispiel: „Nehmen Sie ein Kind, das drei Monate nach der Einschulung verhaltensauffällig wird, nicht mehr schläft, sich wieder einnässt. Nach zehn Monaten kommt es in Therapie. Viel zu spät, die Bildungskarriere ist versaut. Man muss doch etwas unternehmen, bevor der Patient schwer krank wird.“

Alte Zahlen

Angesichts des wachsenden Bedarfs an psychotherapeutischer Behandlung stellt sich die Frage, warum die Zahl der Kassenzulassungen bislang nicht angepasst wurde. Tatsächlich beruht diese - wie bei allen Arztberufen - auf einer sogenannten Bedarfsplanung. Bei den Psychotherapeuten geht diese zurück auf das Jahr 1999. Damals hatte man einfach gezählt, wie viele Psychologen tätig sind und diese Anzahl zum „Bedarf“ erklärt. Doch diese Art der „Bedarfsplanung“ ist sehr umstritten. Diplom-Psychologe Gerd Höhner sagt hierzu: „Die Bedarfsregelung bezieht sich auf eine Regelung aus dem Jahr 1999. Der Bedarf ist gestiegen. Die Kassen sagen aber, 30 Prozent der Patienten seien gar nicht behandlungsbedürftig, wir wissen nicht, wie sie auf diese Zahlen kommen.“ Dass der Bedarf gestiegen ist, belegen auch Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO – gerade im Bereich der Depressionen.

Immerhin: Auch die Bundesregierung sieht mittlerweile Reformbedarf. In ihrem Auftrag wird die Versorgung zur Zeit überprüft. Schnelle Abhilfe ist allerdings nicht in Sicht, denn die Ergebnisse sollen erst in zwei bis drei Jahren vorliegen.

Experten äußern Kritik

Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Sabine Maur kritisiert diese Neuregelungen. „Ich sehe die Patienten früher, aber ich finde es total bitter, dass ich ihnen in der Regel keinen Therapieplatz anbieten kann, die wegschicken muss, und es wird eher so sein, dass noch Therapieplätze insgesamt wegfallen, weil wir ja die neuen Leistungen anbieten müssen.“ Dipl.-Psychologe Gerd Höhner begrüßt zwar die Neuregelung, die den ersten Kontakt neuer Patienten zu einem Psychotherapeuten einfacher machen soll. „Die persönliche Erreichbarkeit eines Psychotherapeuten ist wichtig. Es gibt Menschen, die rufen hier bei uns in der Kammer an und sagen, dass sie 30 Therapeuten angerufen haben und nur auf dem AB landen. Das ist in einer akuten psychischen Situation verheerend.“ Allerdings merkt auch er an: „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein - denn mehr Therapieplätze gibt es dadurch nicht!“

Denn: „Geht es um wirklich Notfälle, wird Patienten durch Therapeutennetzwerke heute schon geholfen. Aber durch die Neuregelung gibt es ja nicht mehr Therapieplätze. Eher weniger, denn durch das Einrichten der Notallsprechstunden verlieren die ja die Therapeuten. Und man muss auch sehen, dass seelische Leiden die Patienten auch anders beeinflussen. Sie sind mental vielleicht gar nicht in der Verfassung, bei der Terminvergabestelle anzurufen, sondern wollen, wenn überhaupt, einen ihnen bekannten oder empfohlenen Therapeuten sprechen. Betroffene müssen Anträge bei ihren Krankenkassen stellen und sind selbst vielleicht gar nicht in der psychischen Verfassung, das zu tun.“

Konflikt zwischen Kassenärzten und Krankenkassen

Kritik an der neuen Regelung kommt ebenfalls von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die Kassenärzte werden den Krankenkassen vor, die Ausweitung der Angebote für psychisch kranke Menschen nicht angemessen zu honorieren. Es handle sich um echte Verbesserungen für die Patienten. „Doch die Krankenkassen haben die Interessen ihrer eigenen Versicherten torpediert. Sie weigern sich, den Mehraufwand für die Psychotherapeuten adäquat zu finanzieren», so der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. „Die Krankenkassen leisten damit den Versicherten einen Bärendienst.“

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen sieht das anders. Er argumentiert, die Vergütungen der Sprechstunden und der Akutbehandlungen sowie weitere Neuregelungen führten zu zusätzlichen Einnahmen der Psychotherapeuten von etwa 100 Millionen Euro. Bei durchschnittlich 23 durchgeführten Therapiestunden pro Psychotherapeut pro Woche sei noch Luft nach oben. „Es ist bedauerlich, dass die KBV reflexhaft über zu wenig Geld jammert, nur weil die Beitragszahler über ihr nicht das Füllhorn ausschütten», erklärte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz. KBV-Vize Stephan Hofmeister erklärte dagegen: „Die psychotherapeutischen Sprechstunden einzurichten, stellt einen hohen - nicht nur inhaltlichen, sondern auch administrativen - Mehraufwand dar, der zum Teil sogar mit der Einstellung von Praxispersonal verbunden ist. Das macht man nicht eben nebenbei, wie die Vertreter der Krankenkassen offenbar meinen.“

Die GKV-Argumentation unterschlage regelmäßig die Aufwände für Organisation, Anträge, Stellungnahmen, aber vor allem auch für Vernetzung und Kontakte. „Es liegt in der Natur der Tätigkeit, dass Rückrufe bei Terminanfragen nicht von Praxishilfen geleistet werden können, da es immer auch um die Probleme der Anrufer geht“, sagt Gerd Höhner. Ein weiteres GKV-Argument sei, dass es genügend Patienten gebe, diese aber nur falsch verteilt seien. „Wenn das so wäre, dann müssten wir doch neben den überlaufenen Praxen, wie zum Beispiel in Köln, auch die halbvollen Praxen auf dem Land haben. Doch das ist nicht der Fall. Eine Umverteilung würde nichts helfen. Man kann ja auch nicht einfach die Patienten oder Fachärzte aufs Land schicken“, führt der Experte aus.

Mit Material von dpa

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