Interview: EU-Kommissarin Johansson über Migration und Asyl

    Interview

    EU-Kommissarin zum Asylpakt:"Keiner kann Migration allein bewältigen"

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    Von der Willkommenskultur 2015 ist nicht viel geblieben: Europa will sich abschotten gegen Migration. Was der neue Migrationspakt bringt, ein Interview mit der EU-Kommissarin.

    Auf dem Bild ist ein Boot mit geflüchteten Personen auf dem Mittelmeer zu sehen.
    Kaum ein Thema spaltet Europa so sehr wie die Migration. 2015 herrschte Willkommenskultur, seitdem schwenkt die EU zu einem härteren Umgang mit Geflüchteten.16.05.2024 | 45:19 min
    Brüssel will die illegale Migration stoppen. Jahrelang scheiterte die EU an der Flüchtlingspolitik. Nun haben sich die EU-Staaten auf einen Migrationspakt geeinigt, darin schnelle Asylverfahren schon an Europas Außengrenze, schnellere Abschiebung und eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Die EU will auch mit Transitländern wie Tunesien enger zusammenarbeiten. Ein Gespräch mit Ylva Johannson, der EU-Kommissarin für Migration.
    ZDFheute: Warum braucht Europa diesen Migrationspakt?
    Ylva Johansson: Ich denke, es ist wichtig, dass wir unseren Bürgern zeigen, dass wir manchmal vor Herausforderungen stehen und das ist nicht immer einfach. Aber es ist möglich, sie zu meistern. Wir sind an einem Wendepunkt.

    Wenn Europa die Migration nicht gemeinsam bewältigen kann, wäre das eine Katastrophe. Europa würde zur Festung.

    Ylva Johansson, EU-Kommisarin für Migration

    Die wichtigen Werte wie das Recht auf Asyl würden nicht mehr gelten. Wir müssen unseren Bürgern zeigen, dass wir die Migration gemäß unseren Werten bewältigen können.

    Pressekonferenz von Europol in Brüssel
    Quelle: dpa

    Ylva Johansson ist EU-Kommissarin für Migration. Die Schwedin ist seit 2019 im Team von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und in der EU für Inneres und Migration zuständig. Studiert hat sie Mathe und Physik auf Lehramt, war als Sozialdemokratin in Schweden lange Ministerin und muss nun Europa auf den neuen Migrationspakt einschwören. Nach jahrelanger Hängepartie gelang ihr ein Durchbruch - der Migrationspakt: Statt Willkommenskultur setzt die EU nun auf Abschottung.
    Johansson muss die EU zusammenhalten, will zeigen, dass Migration kontrollierbar ist, aber auch dafür Sorge tragen, dass Europa seine Werte nicht verkauft.

    Auf dem Bild sind der deutsche Bundeskanzler Scholz und der französische Präsident Macron zu sehen.
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    ZDFheute: Warum hat es so lange gedauert, warum war es so schwierig, einen Kompromiss zu finden?
    Ylva Johansson: Als ich 2019 anfing, gab es eine totale Spaltung zwischen den Mitgliedstaaten. Es herrschte eine sehr schlechte Atmosphäre. Es fehlte an Vertrauen. Die Mitgliedstaaten haben einander nicht zugehört. Meine erste Aufgabe bestand darin, das Vertrauen wiederherzustellen. Jetzt hören die Mitgliedstaaten einander zu und verstehen, dass keiner die Migration allein bewältigen kann. Wenn wir zusammenarbeiten, sind wir alle Gewinner. Wenn wir das nicht tun, sind wir alle Verlierer. Und die größeren Verlierer sind die Migranten.
    Pictogramm Menschen und EU-Parlament und Foto EU-Flagge
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    ZDFheute: Es gibt ja immer noch Länder wie Ungarn, die überstimmt worden sind, die noch immer sagen, sie machen nicht mit.
    Ylva Johansson: Ich glaube wirklich, dass alle Mitgliedstaaten die Verordnung einhalten werden. Es ist eine Sache, dass man ein bisschen laut ist gegenüber der inländischen Öffentlichkeit, bevor es gesetzlich verankert ist. Aber es ist doch etwas anderes, wenn das Gesetz tatsächlich in Kraft getreten ist. Und dann ist es die Rolle der Kommission, als Hüterin der Verträge, gegebenenfalls mit einem Vertragsverletzungsverfahren dagegen vorzugehen.
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    ZDFheute: Die EU will künftig enger mit Drittländern zusammenarbeiten, Tunesien zum Beispiel. Manche dieser Länder haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz. Ist das nicht ein Problem für Europa?
    Ylva Johansson: Wir müssen mit Drittstaaten zusammenarbeiten. Wir müssen die Schmuggler bekämpfen. Letztes Jahr legten um die 80 Prozent weniger Flüchtlinge in Tunesien ab. Das heißt, dass weniger Menschen sterben. Wir müssen die Grundrechte immer in vollem Umfang einhalten, aber wir müssen auch mit Ländern zusammenarbeiten, die in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit nicht zu 100 Prozent mit uns übereinstimmen.
    ZDFheute: Ist es nicht verwerflich, dass Europa sein Problem in andere Länder auslagert?
    Ylva Johansson: Die Flüchtlinge steigen oft in Boote, die nicht seetüchtig sind, Man muss die Schmuggler erwischen, die den Migranten das Geld wegnehmen und sie in diese Boote setzen. Das können nur die Drittländer tun, Wir können das nicht. Dafür muss man zum Beispiel mit Tunesien zusammenarbeiten.

    Für die EU war Migration in der Vergangenheit immer schwierig und toxisch. Aber Migration ist normal.

    Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Migration

    Es hat sie immer gegeben und es wird sie immer geben. Migration wird niemals aufhören. Unsere Aufgabe ist es, die Migration zu steuern.
    Soldaten auf Pferden zu Fuß. Politiker im Vordergrund mit großem auslandsjournal Logo
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    ZDFheute: Fürchten Sie, dass die Rechtspopulisten das Thema Migration für den Europawahlkampf ausnutzen werden?
    Ylva Johansson: Die Rechtspopulisten werden alles versuchen, um mit der Angst der Menschen Politik zu machen und die Öffentlichkeit zu verunsichern. Wir haben fast 25 Millionen Migranten, die legal in der Europäischen Union leben. Wenn sie morgen abreisen, werden wir nicht in der Lage sein, unsere Krankenhäuser zu betreiben oder unsere Häuser zu bauen oder viele andere Jobs zu erledigen, die absolut notwendig sind. Man muss keine Angst vor Migration haben, aber wir sollten sicherstellen, dass wir die Migration unter Kontrolle haben und dass wir sie bewältigen können.
    Das Interview führten Julia Rech und Ulf Röller, ZDF-Studio Brüssel

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