Die ersten Wettkampftage – ein einziger Freudentaumel. Dann der Schock: In den frühen Morgenstunden des 5. September betritt der Terror die Weltbühne und verändert den Blick auf die Spiele von München für immer.
Rund 7000 Athleten aus über 120 Ländern und weltweit eine Milliarde Zuschauer an den TV-Geräten erleben am 26. August im neuen Münchner Olympiastadion eine Eröffnungsfeier voller Heiterkeit und Leichtigkeit. Das Konzept des Organisationskomitees um Willi Daume scheint aufzugehen - Deutschland will der Welt nach der dunklen Zeit des Nationalsozialismus ein anderes, neues Gesicht zeigen. Der dunkle Schatten der Nazivergangenheit sollte vertrieben werden.
Zunächst laufen die Spiele wie geplant - bis zum 9. Wettkampftag, der in einer Katastrophe endet. Das palästinensische Terrorkommando "Schwarzer September" verschafft sich Zugang zum Quartier der israelischen Olympiamannschaft in der Connollystraße 31. Die Attentäter töten zwei Sportler und bringen neun weitere Athleten in ihre Gewalt. Ihre Forderung: die Freilassung von über 200 überwiegend arabischen Gefangenen in Israel. Sie drohen mit der Erschießung der Geiseln, falls dem nicht nachgekommen wird. Beim Versuch, die Sportler zu befreien, werden alle neun Israelis getötet.
Was sagen, 50 Jahre später, die Angehörigen der Opfer? Was sagt der Deutsche, der den palästinensischen Terroristen geholfen hat? Was sagen die Sportlerinnen und Sportler? In seiner Dokumentation arbeitet Autor Kajo Fritz die Ereignisse von München mithilfe von Zeitzeugen auf, die jeweils ihren ganz persönlichen Blick auf das Geschehen mitbringen:
Günther Jauch war damals 16 Jahre alt und klebte zu Hause vor dem ersten Farbfernseher der Familie, wollte keine Minute der Spiele verpassen. Jauch jubelte am Abend über Ulrike Meyfarths Goldsprung und war am nächsten Tag erschüttert von den Ereignissen im Olympiadorf. "Die heiteren Spiele waren damit natürlich Vergangenheit", sagt er. "Niemand hat mit so etwas gerechnet und das alles im Angesicht von Ultimaten, die innerhalb von wenigen Stunden zu erfüllen oder nicht zu erfüllen waren."
Filmregisseur Stephan Kayser sollte im Auftrag des Bayerischen Innenministeriums eine Dokumentation über die Arbeit der Polizei bei den Olympischen Spielen drehen. Während des Terrorüberfalls im Olympischen Dorf fand er sich plötzlich inmitten des Geschehens wieder, drehte mit seinem Kameramann vom gegenüberliegenden Balkon. "Da trat dann ein Terrorist raus mit einer Waffe und zielte auf uns", erinnert er sich. Seine zum Teil unveröffentlichten Aufnahmen liefern authentische und dramatische Eindrücke vom Verlauf der Geiselnahme. Und seine eigenen Bilder erschüttern ihn noch heute: "Das nimmt mich stark mit."
Heinz Dixius war als junger Polizist im Einsatz und mit dem Geschehen genauso überfordert wie die meisten seiner Kollegen. "Keiner war darauf vorbereitet. Das war ja alles nur eine Sportveranstaltung."
Willi Voss, Mitglied des Kommandos "Schwarzer September", half den Terroristen bei der Vorbereitung. "Das war für mich eine Operation von Freunden, die mich aufgenommen hatten und zu denen ich gehörte."
Für Ulrike Nasse-Meyfarth ist ihr überraschender Sieg im Hochsprung auch heute noch nur im Kontext des Anschlags zu sehen. Und Schwimmer Klaus Dockhorn, der für die DDR an den Start ging, sagt: "Es tut immer noch weh, darüber zu sprechen." Mit seiner Fotokamera dokumentierte er das Terror-Geschehen vom Nachbar-Balkon aus und zeigt seine Bilder erstmals öffentlich.
Ankie Spitzer war die Frau von André Spitzer, dem Trainer der israelischen Fechtmannschaft, der zu den Toten von München gehört. Sie war zu Besuch bei ihren Eltern in Holland und musste am Fernsehbildschirm zusehen, wie ihr Mann stundenlang in den Händen der Geiselnehmer war. "Mein Vater hat mich aufgeweckt um 7.00 Uhr in der Früh, und dann habe ich zwölf Stunden lang nur das deutsche und holländische Programm angeschaut und nicht gewusst, was sein wird."
Als Augenzeugen kommen zudem der Sanitäter Axel Kaiser zu Wort und der Dolmetscher der israelischen Delegation, Alexander Miller, der nur durch einen glücklichen Umstand überlebte.
Der Film untersucht aber auch die Frage, was die Sicherheitsbehörden heutzutage von der "Laisser-faire"-Strategie der Polizei und den fehlenden Antiterrorplänen gelernt haben. Polizisten ohne Waffen, das Fehlen von Spezialkräften für eine Geiselbefreiung – seit München ist all das bei Großveranstaltungen undenkbar. Zudem wird hinterfragt, inwiefern sich auch zukünftige Terroristen-Generationen die Taktik des palästinensischen Kommandos zum Vorbild genommen haben. Beim Angriff auf Olympia war die mediale Aufmerksamkeit enorm und entfaltete weltweite Wirkung – das Fernsehen berichtete erstmals live und über Stunden. "Die Macht von Bildern, die die Ohnmacht von Politik und Behörden belegen, wird bis heute ausgenutzt", sagt die Historikerin Dr. Eva Gajek. Terrorismus-Expertin Julia Ebner analysiert: "München 72 ist die Blaupause für viele nachfolgende Terroranschläge."