Schon seit Jahren leiten Wasserversorger in Großbritannien massig ungeklärtes Abwasser in Seen, Flüsse und Küstengewässer ab. Jetzt haben betroffene Anwohner und Urlauber genug.
Ungeklärte Abwässer verschmutzen zunehmend Gewässer in England. Laut der britischen Umweltbehörde floss 2023 so viel ungeklärtes Abwasser wie noch nie in offene Gewässer ein.11.04.2024 | 2:19 min
Eigentlich kommen Urlauber gerne nach Windermere. Der idyllische Ort im Nordwesten Englands ist Teil des Lake District Nationalparks und verspricht viel Natur, viel Erholung und viel Badespaß. Doch seit Gästen wie Anwohnern dort beim Schwimmen im See immer häufiger menschliche Fäkalien entgegenkommen, treibt die Wut die Menschen in der Ferienregion auf die Straße.
Und nicht nur dort. Überall im Land machen Briten immer lautstarker gegen lokale Wasserversorger mobil, weil die regelmäßig ungeklärtes Abwasser in offene Gewässer ableiten. Eine Praxis, die in vergangenen Jahren bereits für Empörung sorgte.
Im vergangenen Jahr aber pumpten die Versorger nach Angabe der britischen Umweltbehörde so viel ungeklärtes Abwasser in Gewässer wie noch nie, und zwar allein in England 3,6 Millionen Stunden lang. Insgesamt gab es 464.000 Fälle.
In Deutschland kommt sauberes Wasser aus dem Wasserhahn. Wenn es durch den Ausguss abfließt, ist es mit vielen Schadstoffen belastet. Eine Problemflut rollt auf die Klärwerke zu.28.07.2022 | 19:49 min
Mangelnde Investitionsbereitschaft in marode Kanalisation
In Großbritannien fließen Regenwasser und Abwässer in denselben Rohren zu den Kläranlagen. Doch die Kanalisation auf der Insel ist veraltet, die Kapazitäten entsprechend begrenzt. Regnet es stark, ist das System schnell überfordert: Es drohen Überflutungen, Schmutzwasser könnte sich durch die Rohre zurück in Häuser und Straßen drücken. Fälle, in denen die Wasserversorger überschüssiges Abwasser ins Meer oder in Flüsse leiten dürfen. Dabei handelt es sich lediglich um eine Notmaßnahme, die allerdings von etlichen Unternehmen teilweise großzügig genutzt wird, so der Vorwurf von Umweltschützern und Protestlern.
Und noch etwas stinkt den Menschen nicht nur in Windermere gewaltig: Die Fäkalien-Krise hätte wohl verhindert werden können, hätten die Versorger das Geld ihrer Kunden in Infrastruktur investiert und ein moderneres Abwassersystem geschaffen.
Viele Demonstranten halten die Privatisierung der Wasserversorgung in den späten 1980ern für einen großen Fehler und sehen jetzt die Regierung am Zug: "Wenn die nicht aktiv wird, wählen wir sie eben ab", ist auf der Demonstration zu hören.
Mit Lügen, Feindbildern und radikalen Ideen haben die Populisten die Briten vom Brexit überzeugt. Vier Jahre später ist die Bilanz in Großbritannien düster und das Volk gespalten. 30.01.2024 | 12:33 min
180 Millionen Pfund gegen Überschwemmungen
Öffentlicher Druck, der eine erste Wirkung zeigt: Die Hauptstadt London etwa will der Verschmutzung in der Themse und in umliegenden Gewässern nun mit einem nagelneuen Super-Abflussrohr Herr werden. Und landesweit sollen die Abwasserunternehmen nun kurzfristig 180 Millionen Pfund, umgerechnet über 210 Millionen Euro, investieren, um die Überschwemmungsgefahr des Kanalisationssystems zu reduzieren, verkündete die britische Regierung Mitte März.
Auch die United Utilities Group, die für die Wasserverschmutzung in Windermere verantwortlich ist, gibt sich motiviert, das Problem zu beheben. Bezahlen sollen das letztendlich die Kunden:
"Wir werden unsere Investoren bitten, uns finanzielle Mittel vorzustrecken, damit wir jetzt schnell handeln können", erklärt Chris Matthews, der bei United Utilities in Windermere für Nachhaltigkeit zuständig ist.
Es wird wohl auch Jahre dauern, bis Britanniens Gewässer vom Abwasserschmutz befreit sein werden, darauf stellen sich die Menschen in Windermere ein. Und darauf, dass sie als Kunden der Versorger die Kosten am Ende tragen müssen. Aus ihrer Sicht ein weiterer Skandal im Skandal.