Gefangene in Russland: "Eine Tragödie" für die Ukraine

    Interview

    Ukrainer gefangen in Russland:"Es ist eine Tragödie für unsere Nation"

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    In einem Gefangenenaustausch ist es der Ukraine gelungen, 230 Menschen nach Hause zu holen. Weiterhin halte Russland auch Zivilisten fest, sagt Kiews Menschenrechtsbeauftragter.

    Archiv: ukrainische Kriegsgefangene nach einem Gefangenenaustausch
    Anfang des Jahres konnten sich die Ukraine und Russland auf einen Austausch von Kriegsgefangenen einigen.
    Quelle: dpa

    Dmytro Lubinets ist der ukrainische Ombudsmann für Menschenrechte im Parlament und spricht im ZDFheute-Interview über die Herausforderungen in der Verhandlung mit Russland und wie es den Kriegsgefangenen geht.
    ZDFheute: Es ist der erste Gefangenenaustausch mit Russland seit August vergangenen Jahres, wieso ist es nicht früher gelungen, einen Gefangenenaustausch erfolgreich zu verhandeln?
    Dmytro Lubinets: Ich bin der Meinung, dass die russische Seite so versucht hat, zusätzliche Spannungen innerhalb unseres Staates zu erzeugen. Vor allem, indem sie Angehörigen von Kriegsgefangenen mitgeteilt hat, dass die Ukraine angeblich ihre eigenen Kriegsgefangenen nicht aus der russischen Gefangenschaft zurückholen wolle. Das habe ich bei Treffen mit Angehörigen von Kriegsgefangenen gehört.

    Für mich baut sich so ein Puzzle zusammen. Die Russen pausieren den Austausch, starten zugleich eine Kampagne, um insbesondere die ukrainische Seite zu diskreditieren.

    Dmytro Lubinets, ukrainischer Menschenrechtsbeauftragter

    Archiv: Dmytro Lubinets.
    Dmytro Lubinets bei einer Sitzung der Nationalen Koalition der Länder für die Rückkehr ukrainischer Kinder aus Russland im Dezember.
    Quelle: AP

    Sie sagten den Angehörigen der Kriegsgefangenen, dass man mit Streiks auf die Straße gehen müsse, Unannehmlichkeiten verursachen und Straßen blockieren, um den Austausch zu erreichen. Es gab sogar Aufrufe zur Blockade von Verwaltungsgebäuden in unserem Land. Dies ist eine neue Art des hybriden Krieges gegen unseren Staat.
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    ZDFheute: Wer unterstützt bei den Verhandlungen, auch das Internationale Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen?
    Lubinets: Nein, sie nehmen nicht daran teil. Ich gehöre zu den ständigen und konsequenten Kritikern der Aktivitäten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, da sie die ukrainischen Kriegsgefangenen nicht aufsuchen und nicht auf die Verletzungen der Rechte ukrainischer Kriegsgefangene reagieren, die durch die Russische Föderation begangen werden.
    Schauen Sie sich Fotos oder Videos an, in welchem Zustand die russischen Kriegsgefangenen zurückgegeben werden und im welchen Zustand die ukrainischen Kriegsgefangenen zurückkommen.
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    ZDFheute: Es befinden sich neben den Soldaten auch Zivilisten in russischer Kriegsgefangenschaft. Wann werden sie in die Ukraine zurückkehren?
    Lubinets: Nach den Genfer Konventionen hat Russland kein Recht, Zivilisten zu verhaften und festzuhalten. Aber leider verstoßen sie in dieser Hinsicht auch gegen das humanitäre Völkerrecht.

    Nach meinen Informationen haben die Russen eine große Zahl, Tausende Zivilisten im vorübergehend besetzten Gebiet der Ukraine festgenommen.

    Dmytro Lubinets, ukrainischer Menschenrechtsbeauftragter

    Ich verwende den Begriff "zivile Geiseln", damit deutlich wird, dass Russland dies gerade tut, um die Zahl der Gefangenen zu vergrößern. Sie lassen sie nicht frei, um Druck auf die ukrainische Seite auszuüben, damit die Ukraine politische Zugeständnisse macht.
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    ZDFheute: Wann und wo werden Zivilisten verhaftet?
    Lubinets: Bereits ab 2014 begann Russland zivile Geiseln auf dem Territorium der Autonomen Republik Krim zu verhaften und später auch in Donezk und Luhansk. Nun versuchen die Besatzer auf dem gesamten Territorium, das von der Russischen Föderation kontrolliert wird, Zivilisten zu verhaften, auch Kinder. Uns liegen Daten vor, dass Kinder in Folterkammern waren.
    Ich habe persönlich mit einem vierzehnjährigen Jungen gesprochen, der inhaftiert war. Sein Name ist Witaliy, er stammt aus der Region Cherson und das einzige, was er sich hat zu Schulden kommen lassen, ist, dass er in der Nähe von zerstörter russischer Ausrüstung war. Ihm wurde vorgeworfen, angeblich Fotos gemacht zu haben und diese an die Streitkräfte der Ukraine weitergegeben zu haben.
    Witaliy sagte, er habe nicht einmal ein Mobiltelefon. Die Russen schlugen ihn brutal zusammen, hielten ihn in einer Folterkammer fest und verlangten von ihm ein Geständnis mit der Aussage, ein ukrainischer Spion zu sein.
    ZDFheute: Wie viele Menschen befinden sich insgesamt noch in russischer Kriegsgefangenschaft?
    Lubinets: Wir nennen keine Zahlen für Kriegsgefangene, sie sind uns bekannt, aber das ist unsere Taktik bezüglich des Austauschs. Nach meinen Angaben beläuft sich die Zahl der Zivilisten auf fast 28.000.

    Es ist eine Tragödie für unsere Nation. Ich bin der Meinung, dass alles, was die Russische Föderation tut, rechtlich als Kriegsverbrechen, als Völkermord anerkannt werden sollte.

    Dmytro Lubinets, ukrainischer Menschenrechtsbeauftragter

    Es kann nicht anders interpretiert werden. Russen töten Kinder, vergewaltigen Kinder und Erwachsene und vernichten ganze Siedlungen, machen sie dem Erdboden gleich. Und sie tun es bewusst, offen, jeden Tag. Leider sterben in unserem Land jeden Tag Menschen.
    Das Interview führte Alica Jung, sie berichtet derzeit als Reporterin für das ZDF aus der Ukraine.
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