Pro-Palästina-Demo: Studentenprotest an der Science Po Paris
Unruhen an Frankreichs Elite-Uni:Paris: Warum Studenten für Gaza protestieren
von Anna Feist, Paris
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Auch an der französischen Elite-Uni Sciences Po kommt es zu pro-palästinensischen Protesten. Mit Barrikaden und Hungerstreik fordern sie, dass die Uni sich klar positioniert.
Protesters, supporters and journalists are surrounded by French gendarmes after the evacuation of a pro-Gaza sit-in in the entrance hall of the Institute of Political Studies (Sciences Po Paris) in Paris on May 3, 2024. Police entered France's top political science school to remove dozens of students staging a pro-Gaza sit-in in the entrance hall. (Photo by Miguel MEDINA / AFP)
Quelle: AFP
An diesem Dienstag versperren wieder Mülltonnen, Fahrräder und Absperrgitter das historische Eingangsportal in der Pariser Rue Saint-Guillaume 27. Es ist das Tor zur Sciences Po, der politischen Kaderschmiede Frankreichs. Staatspräsidenten wie François Mitterrand, Jacques Chirac und Emmanuel Macron gehören zu den Absolventen. Sie gilt als eine der besten Schulen für Politologie und Internationale Beziehungen weltweit.
"Nous sommes tous les enfants de Gaza"
"Wir sind alle die Kinder aus Gaza", skandieren dutzende Studenten in einem vollbesetzten Hörsaal: Pro-paläsistensische Studentenproteste haben die Elite-Universitäten von Paris erreicht.
Und auch wenn die französischen Studenten zahlenmäßig hinter denen der New Yorker Columbia-Universität liegen, so stehen die Pariser Demonstranten den New Yorkern in ihrem Störverhalten in nichts nach: Am Donnerstagabend lösten Sicherheitskräfte ein Protestlager mit etwa 300 Studierenden auf. Am Folgetag wurden bei dem Versuch einer Besetzungsaktion 91 Personen vorübergehend festgenommen. Der Präsenz-Unterricht ist seit Freitag erstmal eingestellt.
Die Republikaner machen Biden für die Eskalation an den Universitäten verantwortlich. Der hält sich auffällig zurück. Das macht gleich mehrere Probleme deutlich.
Anna Kleiser, Washington D.C.
mit Video
Pro-Palästinensische Protestierende: "Keine andere Wahl"
"Wir mobilisieren mit diesen unkonventionellen Mitteln, weil wir denken, dass wir keine andere Wahl mehr haben", erklärt eine Studentin, die anonym bleiben möchte. Keine andere Wahl, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Da aber die Verwaltung um Übergangs-Direktor Jean Bassère noch immer nicht reagiert hätte, würde man die Blockaden, Demonstrationen und "andere friedliche Aktionen" fortführen. Zwei Studierende etwa befänden sich seit sechs Tagen im Hungerstreik.
Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Ein Rückblick.
Wo endet der legitime Protest?
Übergangs-Direktor Jean Bassère muss sich nun mit der Frage quälen, wo der legitime Protest endet - und wo antisemitistische Drohgebärden beginnen: Er versuchte es mit einem "town hall", also einer Debatte zwischen den Studenten und der Direktion. Dabei erinnerte Bassères an seine "Unnachgiebigkeit in Bezug auf Antisemitismus". So sei an den Partnerschaften zwischen Sciences Po und israelischen Einrichtungen nicht zu rütteln. Seitdem richtet sich der Hass auch gegen ihn persönlich: "Bassères casse-toi, Sciences Po n'est pas à toi" - "Bassères verpiss dich, Sciences Po ist nicht dein", rufen die Studenten.
Valérie Pécresse, die konservative Vorsitzende der Hauptstadtregion, fordert Konsequenzen für die unnachgiebigen Studenten. Sie hat außerdem die Streichung der jährlichen Subventionen von rund einer Million Euro angekündigt.
Als „sehr brisant“ bezeichnet der US-Journalist Erik Kirschbaum die Lage bei den Pro-Palästina-Protesten in den USA. Sie könnten auch eine Gefahr für Präsident Biden werden.01.05.2024 | 3:58 min
Proteste erreichen auch renommierte Sorbonne
Die französische Hochschulministerin Sylvie Retailleau will diesen Donnerstag die Unirektoren zur Beratung einberufen. Wohlahnend, was noch auf sie zukommen könnte: längst haben sich etwa Studenten der renommierten Sorbonne mit der Bewegung solidarisch erklärt.
Für französische Politiker dürfte die Eindämmung der pro-palästinensischen Proteste zur Gratwanderung werden, denn Frankreich beherbergt nach Israel und den Vereinigten Staaten die größte jüdische Gemeinde der Welt, zugleich die größte muslimische Gemeinschaft Europas. Und dass die teils radikale Protestwelle nicht überspringt in die von muslimischen Einwanderern geprägten Vorstädte, die Banlieus, so kurz vor den Olympischen Spielen in Frankreich, das wird von höchster Priorität sein.
Seit Wochen gibt es wegen des Krieges im Nahen Osten heftige Proteste an US-amerikanischen Universitäten. Auch an einigen deutschen Unis kommt es zu Demonstrationen.04.05.2024 | 1:42 min
Hamas-Funktionär: "Eine wichtige Bewegung"
Während die Politiker im Westen ringen mit den Auswirkungen des Kriegs in Nahost an ihren Universitäten, feixen andere: Am Sonntag luden radikale Aktivisten zu einem Online-Seminar, gerichtet an die westliche palästinensische Diaspora mit Simultan-Übersetzung auf Englisch, Spanisch und Französisch. Zugeschaltet: Osama Hamdan, ein hochrangiger Hamas-Funktionär. Der lobt ausdrücklich die Studenten. Es sei, so fährt er fort, eine Bewegung, die wirklich großen Einfluss habe, denn: "Das bedeutet, dass das israelische Narrativ, dass seit deren Gründung vor 75 Jahren besteht, nun gescheitert ist und insbesondere die junge Generation nicht mehr überzeugt."
Und das werde zukünftig von enormer Bedeutung sein und zur Gefahr für den Feind Israel werden, agitiert der Funktionär der Terrormiliz, denn: "sie sind die zukünftigen Entscheidungsträger und sie werden den unvermeidlichen Wandel verwirklichen."
So wird ausgerechnet der französische und weltweit talentierteste und vielversprechendste Nachwuchs zu Komplizen gemacht von einer Terrororganisation, die ihren Israel-Hass in alle Schichten sähen und sich weltweit bestens organisiert und vernetzt haben.
Der Israel-Hamas-Krieg befeuert weltweit Antisemitismus und Antizionismus. Und es stellt sich die Frage, was sachliche Israel-Kritik ist - und wo Grenzen überschritten werden.