Gewalt gegen Politiker: Wachsende Wut, Suche nach Schuldigen

    Interview

    Gewalt gegen Politiker:"Die Wut wächst und Schuldige werden gesucht"

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    Hinter den aktuellen Angriffen auf Politikerinnen und Politiker sieht der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge ein tieferes Übel: wachsende soziale Ungleichheit.

    Ein Wahlplakat der SPD
    Darauf setzt Innenministerin Faeser nach den Angriffen gegen Politiker. Wie gehen Wahlkämpfende eine Woche nach der Attacke auf SPD-Politiker Matthias Ecke mit der Angst um. 11.05.2024 | 1:48 min
    ZDFheute: Welche Gedanken lösen die vermehrten Attacken auf Politikerinnen und Politiker bei Ihnen aus?
    Christoph Butterwegge: Angriffe dieser Art sind für mich Ausdruck der zunehmenden Verrohung einer Gesellschaft, die auseinanderzufallen droht. Aber die Wurzeln dieser Gewalt geraten bislang kaum in den Blick.
    Neben anderen Faktoren sollten wir stärker auf die wachsende sozioökonomische Polarisierung schauen:

    Während Armut immer stärker in die Mitte der Gesellschaft vordringt, konzentriert sich der Reichtum immer stärker in wenigen Händen. Die Menschen spüren die wachsende Ungleichheit.

    Die Gertrud-Haß-Bibliothek in Rudow.
    Nach dem brutalen Angriff auf den SPD-Europapolitiker Ecke hat es Attacken auf zwei Politikerinnen gegeben; darunter die Berliner Wirtschaftssenatorin Giffey.08.05.2024 | 1:38 min
    Aus dem Grund wächst ihre Wut und werden Schuldige gesucht. Das sind x-beliebige Politiker, die als Sündenböcke für Regierungsentscheidungen herhalten müssen, mit denen sie gar nichts zu tun haben.
    ZDFheute: Aber lassen sich so diese Gewaltausbrüche erklären?
    Butterwegge: Es war in der deutschen Geschichte häufig so, dass sich in Krisenzeiten Teile der Bevölkerung politisch nach rechtsaußen gewandt haben, weil sie den regierenden Demokraten vorgeworfen haben, sie nicht vor einem drohenden sozialen Abstieg zu schützen. Ähnliche Tendenzen sehe ich jetzt auch.

    Christoph Butterwegge, aufgenommen am 16.07.2021
    Quelle: Imago

    … erforscht seit Jahrzehnten wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Bis 2016 lehrte der Politikwissenschaftler an der Universität Köln. Das Problem wachsender Ungleichheit bezeichnet Butterwegge als "das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der gesamten Menschheit". Der Kölner ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen über "Armut und soziale Ungleichheit". Zuletzt hat er das Buch "Deutschland im Krisenmodus" veröffentlicht.

    ZDFheute: Die Bundesregierung hat viele Milliarden Euro ausgegeben für staatliche "Rettungsschirme" und "Energiepreisbremsen". Was ist damit?
    Butterwegge: Davon haben armutsgefährdete Mitglieder der Mittelschicht, die früher halbwegs über die Runden kamen, jetzt aber jeden Cent zwei- oder dreimal umdrehen müssen, meist wenig profitiert.
    Aber das Problem reicht tiefer: Die verteilungspolitischen Maßnahmen der Regierung haben seit Jahrzehnten eine Schlagseite: Wer hat, dem wird gegeben. Und wer nur wenig hat, dem wird auch das zum Teil noch genommen.
    Eine Frau sucht in einem Mülleimer nach Leergut.
    Laut Statistischem Bundesamt galten 21,2 Prozent der Deutschen 2023 als armutsgefährdet. Etwa 5,7 Millionen Menschen hatten sogar in erheblicher Armut gelebt.10.04.2024 | 0:20 min
    ZDFheute: Was fordern Sie?
    Butterwegge: Es braucht eine Rückverteilung des Reichtums von oben nach unten - hin zu denjenigen, die wenig haben und oft genug den Reichtum anderer erarbeitet haben.
    Es muss Schluss damit sein, dass Reiche und Hyperreiche, wie ich sie nenne, immer stärker entlastet werden. Es braucht eine Trendwende zu höheren Kapitalertrag- und Körperschaftsteuern, den Einkommensteuern der Kapitalgesellschaften.

    Die 40 Dax-Konzerne zahlen ihren Aktionären für das Vorjahr über 53 Milliarden Euro an Dividenden aus. Da ist von Krise keine Spur.

    Die geheime Welt der Superreichen
    Die Welt der Superreichen: In der ZDF-Dokumentation "Milliardenspiel" geht es um Gerechtigkeit, Neid und Steuern.12.12.2023 | 2:33 min
    Deshalb müssen solche Konzerne und auch hyperreiche Personen stärker besteuert werden.
    ZDFheute: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass sich Kapitalgesellschaften so "gezwungen" sehen könnten, Deutschland zu verlassen?
    Butterwegge:

    Von der neoliberalen Standortlogik halte ich nichts, weil man danach die politischen Entscheidungen der Wirtschaft überlassen müsste.

    Das würde den Frust sozial benachteiligter Schichten weiter erhöhen und den Rechtsextremisten noch mehr Zulauf bescheren, obwohl diese genau für eine solche Politik stehen.
    Angie (18), Luisa (16) und ihre Mutter Silvana (36) stehen an Stangen gelehnt in einem Hausdurchgang. In dem Gang befinden sich Graffitis, dahinter steht ein Hochhaus.
    Kein Geld für Hobbys, Urlaub oder Nachhilfe. Die Befreiung aus der Armutsspirale ist schwer.27.02.2024 | 28:48 min
    ZDFheute: Wie sollten denn die Multimilliardäre Ihrer Meinung nach besteuert werden?
    Butterwegge: Es darf nicht sein, dass die Mittelschicht deutlich höhere Steuern zahlt als die Hyperreichen, wo zum Teil Milliardenvermögen völlig steuerfrei vererbt werden.
    Strohdumme können über Nacht steinreich werden und immensen Einfluss ausüben - vorausgesetzt, sie haben die richtigen Eltern.

    Ich schlage vor, Steuerschlupflöcher konsequent zu schließen.

    ZDFheute: Sie schreiben in Ihrem Sachbuch zur "Umverteilung des Reichtums", es könne "keine glückliche, gesunde und gerechte Zukunft ohne Egalität" geben. Träumen Sie vom Kommunismus in Deutschland?
    Wie geht's, Deutschland? - Die ungerechte Republik
    Wie geht's Deutschland? Wie steht es um die soziale Gerechtigkeit, was bewegt die Menschen, was erwarten sie von Politikern? 07.05.2024 | 88:40 min
    Butterwegge: Soziale Gleichheit ist nicht identisch mit der Gleichmacherei eines Steinzeit-Kommunismus. Mir geht es um eine Gesellschaft, in der niemand arm ist, während andere unvorstellbaren Reichtum genießen und wie moderne Fürsten leben.
    ZDFheute: Obwohl sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland vertieft hat, bleibt ein Aufschrei bislang aus. Sie sprechen selbst von einer "Gleichgültigkeit der Bevölkerungsmehrheit". Wie erklären Sie sich diese?
    Butterwegge: Dafür hauptverantwortlich ist der herrschende Irrglaube, dass wer sich anstrengt, fleißig ist und etwas leistet, belohnt wird und zu Wohlstand gelangt. Selbst Milliardenvermögen rechtfertigt man damit.
    Dunja Hayali im Gespräch mit Karl-Rudolf Korte
    Eine Radikalisierung an den Rändern und ein "staatsverächtlicher Grundton in der politischen Mitte" seien Gründe für zunehmende physische Gewalt, sagt Politikwissenschaftler Korte.05.05.2024 | 2:14 min
    Mit Armut wird nach dieser Vorstellung dagegen bestraft, wer faul ist und nicht arbeiten will. Dieser meritokratische Mythos bröckelt jedoch.

    Denn viele Mittelschichtangehörige treibt inzwischen die Sorge um, ihre Rechnungen nicht mehr zahlen zu können.

    Sie haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Deshalb rumort es gerade in der Gesellschaft. Und es gilt, schleunigst das Ruder herumzureißen.
    Das Interview führte Marcel Burkhardt.

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